London. Die beiden Fußballgroßmächte haben sich im legendären Stadion ebenso legendäre Duelle geliefert. Wie das Abendblatt sie miterlebte.

England gegen Deutschland in Wembley, das ist eine Geschichte für sich. An diesem Freitagabend (21 Uhr MEZ/ZDF) begegnen sich die beiden Erzrivalen zum zwölften Mal im Londoner Fußballtempel. Die bisherigen elf Duelle waren meist hochklassig, bissweilen dramatisch. Und das Abendblatt war dabei immer am Ball.

1. Dezember 1954 (1:3): Seeler kommt nicht durch

Der erste deutsche Auftritt im Wembleystadion. Im dritten Spiel nach dem „Wunder von Bern“ erlebt der Sensationsweltmeister vor 100.000 Zuschauern gegen die englischen Profis die dritte Niederlage. Für Uwe Seeler ist es das zweite Länderspiel. Er lässt zwei Chancen ungenutzt. Gegen Englands Abwehrbollwerk Billy Wright, der allein hat mit seinen 64 Länderspielen mehr als die gesamte deutsche Mannschaft zusammen hat, hat es der junge HSV-Stürmer schwer.

Der Abendblatt-Reporter glaubt zu wissen, was das Problem ist: „Der ‘Dicke’ ist ein Spieler, der geschickt werden muss, er braucht Nebenleute, die ihn verstehen, die mit ihm direkt spielen.“ Zwölf Jahre später würde Seeler an gleicher Stelle die bitterste Stunde seiner Laufbahn erleben.

23. Februar 1966 (0:1): Kein Sturm in Wembley

Vor 70.000 Zuschauern erzielt Nobby Stiles auf regendurchtränktem Boden das verdiente Siegtor für den Gastgeber. Und doch wäre ein Unentschieden möglich gewesen, hätte der niederländische Schiedsrichter nicht den vermeintlichen Ausgleichstreffer von Sigi Held aberkannt.

Seeler verzichtet auf das Spiel, weil er sich gerade erst von einer Verletzung erholt hat. Das Abendblatt titelt: „Es fehlen Klassestürmer in der deutschen Elf.“

30. Juli 1966 (2:4 n. V.): Das Nicht-Tor des Jahrhunderts

Von allen legendären England-Deutschland-Duellen das legendärste. In der 101. Minute des WM-Finales erzielt Geoff Hurst ein Tor, das den Namen des Stadions bekommt – und in Wirklichkeit natürlich gar kein Tor ist: Von der Latte prallt der Ball auf die Linie. Der Schiedsrichter und mit ihm alle Engländer wollen den Ball hinter der Linie gesehen haben. England führt in der Verlängerung dadurch mit 3:2, kurz vor Schluss schießt Hurst das Mutterland des Fußballs mit einem weiteren Treffer zum bislang einzigen WM-Titel.

Das Abendblatt ist dennoch begeistert vom „untadeligen Auftreten“ der Mannschaft um Seeler und Beckenbauer und tröstet sich mit der Schlagzeile: „Die deutsche Elf gewann neue Freunde.“

29. April 1972 (3:1): Zauberlehrlinge und Musterschüler

Der erste Sieg in England – und bis heute eines der besten Spiele in der Geschichte der Nationalmannschaft. Im Viertelfinalhinspiel der EM-Qualifikation schaffen Uli Hoeneß, Gerd Müller und der überragende Günter Netzer mit ihren Toren die Grundlage für den späteren Titelgewinn – und die 96.800 Zuschauer sind tief beeindruckt.

Das Abendblatt schwärmt: „Es bleibt ein Privileg deutscher Nationalmannschaften, Überdurchschnittliches zu leisten, wenn große Entscheidungen anstehen. Kondition, Disziplin, Taktik. Technik, Spielauffassung und Spielverständnis eines jeden Einzelnen zu einem harmoden (sic!) diffizilen Umgang mit der Materie Fußball und ihrem Fundus an fast unerschöpflichen Variationsmöglichkeiten buchstäblich spielend. Und es sind keine Übertreibungen oder falschen Komplimente, wenn selbst englische Journalisten schwärmen: Bundestrainer Helmut Schön sei ein Meister der Taktik und die deutschen Spieler Zauberlehrlinge und Musterschüler. Ein schwacher Punkt in der deutschen Elf wäre auch mit einer Lupe nicht zu entdecken gewesen.“

12. März 1975 (0:2): Kraftlos im Schlamm

Im 400. Länderspiel schwächelt der Welt- und Europameister. „Wembley erlebte einen glanzlosen Weltmeister“, titelt das Abendblatt und wirft dem deutschen Mittelfeld „Versagen“ vor. Und weiter: „Regen und Schlamm waren für die Weißblauen kein Hindernis, und durch die großartige Kondition und Einsatzbereitschaft stachen sie den Weltmeister klar aus.“

Der spätere HSV-Star Kevin Keegan hätte vor 100.000 Zuschauern in der Schlussminute sogar auf 3:0 erhöhen können, doch sein Schuss prallte von der Unterkante der Latte ins Feld – diesmal eindeutig. Es ist bis heute die letzte deutsche Niederlage in Wembley.

13. Oktober 1982 (2:1): Ein Sieg für die Statistik

Zwei Kontertore von Karl-Heinz Rummenigge sichert dem Europameister den zweiten Sieg in Wembley, der eingewechselte Tony Woodcock kann vor 68.000 Zuschauern nur noch verkürzen. Das Abendblatt ist dennoch kritisch: „Ein schöner Sieg für die Statistik, doch vom Glanz großer Zeiten fehlte einiges.“

11. September 1991 (1:0): Nicht alles ist Doll

Karl-Heinz Riedle beschert dem Weltmeister nach Vorarbeit von Thomas Doll den dritten Wembley-Sieg, doch wieder findet das Abendblatt gleich mehrere Haare in der Suppe: „Die Abwehr ist nicht stabil genug, Libero Binz und Manndecker Kohler enttäuschten. Der Hamburger Beiersdorfer (‘Ich glaube, ich bin nur dritte oder vierte Wahl auf meiner Position’) wäre wieder einmal eine interessante Alternative. Das Mittelfeld gewann erst Kontrolle über das Spiel, als die Engländer nach dem Rückstand die Räume öffnen mussten. Und im Angriff ist Doll nicht die richtige Besetzung, im Mittelfeld dagegen glänzte er.“

26. Juni 1996 (1:1 n. V., 6:5 i. E.): Das nächste Drama

Was für ein Drama im EM-Halbfinale. In der Verlängerung wird ein Tor von Stefan Kuntz nicht anerkannt, Steve McManaman trifft den Pfosten, Paul Gascoigne vergibt vor dem leeren deutschen Tor. . Das Abendblatt schreibt: „Spannender kann Fußball nicht sein.“

Das Elfmeterschießen nimmt den von den Engländern befürchteten Verlauf. Die ersten fünf Schützen auf beiden Seiten verwandeln sicher, als Letzter Stefan Kuntz. Gareth Southgate, der aktuelle Nationaltrainer, schiebt in die Arme von Andreas Köpke, Andreas Möller trifft und baut sich triumphierend vor den Fans auf. Den Finalsieg erlebt er aufgrund einer Gelbsperre als Zuschauer.

7. Oktober 2000 (1:0): Finale für das alte Wembley

England-Legionär Ditmar Hamann verdirbt den 76.377 Zuschauern mit seinem Tor im WM-Qualifikationsspiel die Abrissparty beim letzten Spiel im alten Wembleystadion. „Ein Triumph für die Ewigkeit“, titelt das Abendblatt und fürchtet: „Das werden die Briten dem (sportlichen) Erzfeind nie vergessen.“

Die Rache folgt ein knappes Jahr später: England gewinnt das Rückspiel in München mit 5:1. Für Deutschland ist es die höchste Niederlage gegen eine englische A-Nationalmannschaft.

22. August 2007 (2:1): Am Ende gewinnen die Deutschen

Die Schalker Kevin Kuranyi und Christian Pander drehen nach Frank Lampards Führungstor das (Freundschafts-)Spiel im neuen Stadion. Vor dem Spiel hatten sich die 86.111 Zuschauern noch mit einer Choreografie bei den Deutschen für die stimmungsvolle WM 2006 bedankt.

Das Abendblatt kann den Erfolg auch nicht richtig erklären und bemüht deshalb für die Schlagzeile eine alte englische Fußballweisheit: „Am Ende gewinnen immer die Deut­schen.“

19. November 2013 (1:0): HW4 hält die Null

Deutschland bleibt zum 300. Mal ohne Gegentor und trifft selbst durch Arsenal-Legionär Per Mertesacker – „mitten ins englische Herz“, wie das Abendblatt titelt. Mertesackers Abwehrkollege, Heiko Westermann vom HSV, weiß wenige Tage nach einer desaströsen Leistung gegen Leverkusen (3:5) vor 85.934 Zuschauern zu überzeugen. Beim WM-Sieg im folgenden Sommer ist er dennoch nicht dabei.