Fan-Forscher: Ausschreitungen gegen RB-Fans haben neue Dimension erreicht. Bruchhagen plädiert für behutsame Wortwahl.

Dortmund. Gewalt selbst gegen Kinder, Hassplakate auf der Tribüne – die Ausschreitungen beim Bundesligaspiel zwischen Borussia Dortmund und RB Leipzig sorgen für neue Diskussionen über die Ultraszene und Sicherheitskonzepte im Fußball. Abendblatt.de hält Sie mit diesem Splitter über die aktuelle Entwicklung auf dem Laufenden:

Schalke verteidigt Dortmund

Schalkes Sportvorstand Christian Heidel hat nach heftiger Kritik an BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke den Boss des Erzrivalen Borussia Dortmund in Schutz genommen. "Die Dinge, die in Dortmund passiert sind, finde ich schlimm. Aber Aki hat nie dazu aufgefordert, dass Fans sich danebenbenehmen", sagte der Schalker Sportvorstand.

Heidel kann der Kritik an Watzke nichts abgewinnen
Heidel kann der Kritik an Watzke nichts abgewinnen © Imago/Jan Hübner

Von verschiedenen Seiten war ein Zusammenhang mit den schändlichen Krawallen und kritischen Aussagen Watzkes in Richtung RB Leipzig hergestellt worden. "Jetzt eine Verbindung dahingehend zu sehen, dass Aki sich kritisch mit Leipzig auseinandergesetzt hat, ist nicht in Ordnung", betonte Heidel.

Er sei schockiert, was alles in Richtung Watzke gesorgt worden sei. Heidel: "In meinen Augen geht es so nicht, da muss auch etwas aus Leipzig kommen, dass die Dinge so nichts miteinander zu tun haben." Er habe nichts an Watzkes Aussagen finden können, "was den Vorwurf der Anstifterei rechtfertigt. Er hat niemanden dazu aufgefordert, dass sich Fans so benehmen, wie das am Samstag passiert ist", so der ehemalige Mainzer Manager. Watzke habe sich nicht abwertend über den Aufsteiger geäußert, "sondern wertend", betonte Heidel.

Tuchel fordert keine Pauschalverurteilung

BVB-Trainer Thomas Tuchel hat zu einer differenzierten Betrachtung der Ereignisse aufgefordert. "Ich habe die Wand nicht als Wand des Hasses wahrgenommen. Die Spruchbänder habe ich in der Vielzahl gesehen, aber nicht einzeln gelesen", sagte der Coach. Natürlich distanziere man sich von den Inhalten, so Tuchel. "Ich kenne aber Menschen, die in der Wand stehen und in keinster Weise gewalttätig sind. Bei aller Aufklärung sollte es keine Pauschalverurteilung geben."

Tuchel drehte beim Führungstreffer gegen Leipzig völlig durch
Tuchel drehte beim Führungstreffer gegen Leipzig völlig durch © imago/Team 2

Er selbst und die Mannschaft hätten erst nach Ende des Spiels gegen Leipzig von den Vorkommnissen außerhalb des Stadions erfahren: "Es muss möglich sein, mit Kindern und Familie ins Stadion zu gehen. Wir distanzieren uns von Gewalt, das ist eine Selbstverständlichkeit." Es sei eine Grenze überschritten worden, davon werde man natürlich niemanden freisprechen, so Tuchel.

„Eine neue Dimension“

Für Fan-Forscher Gunter A. Pilz haben die Ausschreitungen gegen Anhänger von RB Leipzig eine neue Dimension erreicht. „Dass in Dortmund normale Fans angegriffen wurden, war eine völlig neue Qualität der Gewalt. Wenn Familien betroffen sind, die friedlich ein Spiel besuchen wollen, ist das inakzeptabel.“ Der renommierte Sportwissenschaftler erinnert zudem an die Verantwortung von Vereinsverantwortlichen im Vorfeld solcher Partien.

Generell werde beim BVB eine vorbildliche präventive Arbeit geleistet, betonte Pilz. „Umso ärgerlicher ist es, wenn dann unbedachte Äußerungen vor so einem Spiel vom Geschäftsführer kommen, die im Prinzip ein stückweit die eigene Präventionsarbeit konterkarieren und Wasser auf die Mühlen der Fans und deren Hass- und Gewaltbedürfnisse schüttet“, sagte er. Insofern sei es geraten, dass sich Verantwortliche verbal zurückhalten.

Fan-Forscher Gunter A. Pilz
Fan-Forscher Gunter A. Pilz © dpa | Emily Wabitsch

BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke hatte aber unter anderem im vergangenen Jahr die Stimmung gegen den aktuellen Tabellenzweiten angeheizt und betont, dass bei RB Leipzig „nichts, aber auch gar nichts historisch gewachsen“ sei: „Da wird Fußball gespielt, um eine Getränkedose zu performen.“

Nach den Attacken auch auf Familien und Kinder beim Weg ins Stadion des BVB am vergangenen Sonnabend kündigte Watzke am Montag an: „Wir werden alles in unserer Kraft stehende tun, um diesen Dingen ein für alle Mal einen Riegel vorzuschieben.“

Es habe sich ein Hass aufgebaut gegen Vereine, die kommerziell zu stark seien oder sich in den Augen der Fans nur noch dem Kommerz verschrieben hätten, erklärte Pilz. Zunächst seien das Hoffenheim und Wolfsburg gewesen, nun Leipzig. Der 2009 erst gegründete Verein wird vom österreichischen Getränkehersteller Red Bull gesponsert. „Ich fürchte, dass hier etwas beginnt, was wir schon länger mit Sorge beobachten“, sagte Pilz. „Es sollten schleunigst alle Werkzeuge, die dem Rechtsstaat zur Verfügung stehen sowie Sanktionsmöglichkeiten der DFL und des DFB aktiviert werden.“

Dortmunds Bürgermeister lädt Leipziger ein

Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) hat die bei Fankrawallen in Dortmund verletzten Leipziger zu einem Wochenende in die Ruhrmetropole eingeladen. Er hoffe, dass die Bundesliga-Vereine Borussia Dortmund und RB Leipzig sowie deren Fans aufeinander zugehen könnten, hieß es in einer am Dienstag verbreiteten Mitteilung der Oberbürgermeister von Dortmund und Leipzig.

„In Erwartung einer solchen Beruhigung der Gemüter lade ich OB Burkhard Jung und die zu Schaden gekommenen Familien zu einem gewaltfreien Wochenende nach Dortmund mit einem Kulturprogramm inklusive einem Gang durch das Deutsche Fußballmuseum ein“, sagte Sierau. „Ich entschuldige mich bei allen Leipzigerinnen und Leipzigern, die in Dortmund Gastfreundschaft erwarten konnten, aber auf unerträgliche Weise mit Steinen und Feuerwerkskörpern beworfen wurden.“

Hasenhüttl: Keine Gegenaggressionen

RB Leipzigs Trainer Ralph Hasenhüttl geht davon aus, dass seine Mannschaft die Vorfälle beim Auswärtsspiel gegen Borussia Dortmund rechtzeitig vor dem Duell mit dem HSV am Sonnabend (15.30 Uhr im Abendblatt-Liveticker) abhakt. Er wollte die Geschehnisse vor und während der Partie am Dienstag noch einmal mit seinem Team besprechen. Hasenhüttl sagte, dass das in der Mannschaft „schnell auch beiseite geschoben wird und schon morgen kein Thema mehr ist“.

„Wir haben auch das Gefühl, dass unsere Fans das so einordnen wie es ist und nicht mit irgendwelchen Gegenaggressionen reagieren, sondern weiter unsere Fankultur pflegen und dafür stehen, dass wir anders sein wollen“, betonte der 49-Jährige.

Bruchhagen plädiert für behutsame Wortwahl

HSV-Boss Heribert Bruchhagen (68) plädiert nach den gewaltsamen Übergriffen für verbale Zurückhaltung von Klubverantwortlichen vor brisanten Partien. „Vor Spielen wie Hamburg – Bremen oder Dortmund – Schalke waren ein paar Scharmützel immer normal. Sollten sich einige schlichtere Gemüter dadurch zu solchen Aktionen wie in Dortmund aufgerufen fühlen, müssen alle noch behutsamer in der Wortwahl sein“, sagte er der „Bild“-Zeitung.

Gespräch unter Chefs: HSV-Boss Bruchhagen (r.) hat einige Ratschläge für BVB-Boss Watzke parat
Gespräch unter Chefs: HSV-Boss Bruchhagen (r.) hat einige Ratschläge für BVB-Boss Watzke parat

Unter anderem war BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke im Zuge der Diskussion um die Ausschreitungen vom Wochenende in die Kritik geraten. Rainer Milkoreit, Präsident des Nordostdeutschen Fußball-Verbandes (NOFV), sah in den „abartigen“ Vorkommnissen beim Spitzenspiel und Watzkes Verhalten einen Zusammenhang.

„Es ist fatal, wenn sich verantwortliche Leute in einem Verein öffentlich abwertend gegen Leipzig äußern. Das kann Dinge auslösen, die sie vielleicht nicht wollen, die aber passieren“, hatte der frühere DFB-Vizepräsident gesagt.

Zwei Täter identifiziert?

Die BVB-Anhänger auf der Südtribüne hatten sich am Sonnabend auf RB Leipzig und das Vereinskonzept eingeschossen
Die BVB-Anhänger auf der Südtribüne hatten sich am Sonnabend auf RB Leipzig und das Vereinskonzept eingeschossen © Bongarts/Getty Images | Lars Baron

Nach Informationen der „Bild“ konnte die Polizei einen ersten Erfolg bei den Ermittlungen verzeichnen. Demnach seien zwei Personen, die RB-Sportchef Ralf Rangnick beleidigt hatten (Burnout Ralle: Häng Dich auf!“) identifiziert. Den Mitgliedern zwei verschiedener Ultra-Gruppierungen sollen nun eine Anzeige wegen Beleidigung sowie Stadionverbote drohen.

Polizei richtet Upload-Portal ein

Die Dortmunder Polizei bittet Zeugen, die Ermittlungen der Beamten durch Hinweise und durch Video- und Fotomaterial zu unterstützen. Dafür wurde ein Hinweis-Portal freigeschaltet, auf dem entsprechendes Material ab sofort hochgeladen werden kann: www.bka-hinweisportal.de

Unter diesem Link können Zeugen anschließend auf den Button „Hinweis geben“ klicken. Auf der folgenden Seite können sie „Fanausschreitungen Dortmund - Leipzig“ als Kategorie auswählen und anschließend ihr Material hochladen (bis zu 2.048 MB groß). Zeugen seien auch weiterhin aufgerufen, sich mit Hinweisen telefonisch an die Polizei zu wenden. Diese nimmt der Kriminaldauerdienst unter Tel. 0231/132-7441 entgegen. Die Polizei bittet daher davon abzusehen, Hinweise via Facebook oder Twitter mitzuteilen.

Polizeigewerkschaft erhebt Vorwürfe gegen BVB

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat Vorwürfe gegen die Vereinsführung des BVB erhoben. „Dieses Ausmaß an Gewalt war neu. Offensichtlich gab es auf Dortmunder Seite vor der Begegnung Signale, die zu einer Atmosphäre beigetragen haben, die die Gewalteskalation ein Stück weit begünstigt haben“, sagte der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Jörg Radek den „Ruhr Nachrichten“. Der Verein müsse sich fragen, ob es ausreiche, auf Distanz zu den Gewalttätern zu gehen.

Arnold Plickert
Arnold Plickert © dpa | Caroline Seidel

Der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Arnold Plickert forderte die Verantwortlichen aller Clubs auf, Verbal-Attacken auf RB Leipzig zu unterlassen. „Es war nicht hilfreich, wie Dortmund-Chef Watzke im Vorfeld gestichelt hat – vermutlich war es sogar schädlich“, sagte er dem „Express“. „Das heizt nur die Stimmung an und fördert letztlich gewalttätige Angriffe wie vom Wochenende.“

Preetz nimmt BVB in Schutz

Hertha-Manager Michael Preetz hat an alle Beteiligten appelliert, nach den Vorfällen in Dortmund den Fußball wieder in den Mittelpunkt zu rücken. „Das ist scharf zu verurteilen, was am Samstagabend passiert ist. Aber wir reden ausdrücklich von einer ganz kleinen Gruppe, nicht von der überwiegenden Mehrheit“, sagte Preetz.

Die Berliner treten am Mittwoch (20.45 Uhr/ARD und Sky) im Achtelfinale des DFB-Pokals bei Borussia Dortmund an. „Natürlich haben wir eine besondere Situation nach den unschönen Vorfällen am Wochenende in Dortmund. Es gibt eine hohe Sensibilität in diesem Thema, was Polizei, Ordnungskräfte und Fanbetreuung angeht auf beiden Seiten“, erklärte Preetz. Die Liga sei sich einig, dass die Täter ermittelt und hart bestraft werden müssten. Am Mittwoch sollte aber „der Sport im Fokus stehen“.

Die jüngsten Begegnungen zwischen Hertha und Dortmund seien „immer eine faire Auseinandersetzung auf dem Rasen und den Rängen“ gewesen. Das erwarte er auch dieses Mal, betonte der Hertha-Manager: „Das ist ein DFB-Pokalspiel, auf das wir uns freuen, auch wenn es ein besonders schwieriges ist.“