Hamburg . Vom Waisen zum Weltmeister: Der Mann, den sie den “Terrier“ nannten, blickt auf eine einzigartige Karriere. Warum er ein Großer ist.
Er war als Spieler Weltmeister, als Trainer Europameister. Wirklich unumstritten war er aber eigentlich nie – Hans-Hubert Vogts, den sie alle nur Berti nennen, musste in seiner ganzen Karriere gegen Vorurteile und Missgunst kämpfen. An diesem Freitag feiert Vogts seinen 70. Geburtstag. Das Abendblatt nennt zehn Dinge, die Sie über den Jubilar wissen sollten.
Kindheit in Armut – und ein unfassbarer Vorwurf
Vogts, geboren im nordrhein-westfälischen Büttgen, verlor als Zwölfjähriger seine Mutter, ein Jahr später starb sein Vater. Der Pfarrer las dem trauernden Jungen noch am Grab die Leviten. Wäre der kleine Berti artiger gewesen, seine Eltern könnten noch leben. Vogts wuchs dann bei seiner Tante in bescheidenen Verhältnissen auf, machte nach der Volksschule eine Lehre als Werkzeugmacher.
Trainer Hennes Weisweiler erkannte bei Borussia Mönchengladbach das Talent des Verteidigers, förderte ihn; manche Vertraute sehen ihn sogar als eine Art Ersatzvater für Vogts. Von 1965 bis 1979 absolvierte Vogts 419 Bundesliga-Spiele für Mönchengladbach, wurde fünfmal Deutscher Meister, zweimal Uefa-Cup-Sieger. Sein größter Erfolg als Nationalspieler war der WM-Sieg 1974.
Prügelknabe der Nation
Als die deutsche Nationalmannschaft als amtierender Weltmeister bei der WM 1994 in den USA an Außenseiter Bulgarien im Viertelfinale scheiterte, druckte „Bild“ ein fiktives Kündigungsschreiben unter der Überschrift „Berti, hier unterschreiben.“ Über sein Bild in den Medien sagte Vogts einmal: „Ich in eine Ecke gestellt. Und fertig aus.“ Sein Image sei irreperabel beschädigt: „Wenn ich übers Wasser laufen würde, sagen meine Kritiker: Nicht mal schwimmen kann der.“
Nach dem EM-Sieg 1996 verneigte Vogts dreimal vor dem deutschen Fanblock im Londoner Wembleystadion – für Vogts war dies auch ein Zeichen der Dankbarkeit für Treue in schwierigen Zeiten. Im September 1998 trat er als Nationaltrainer zurück, Spätfolge des frühen Ausscheidens bei der WM in Frankreich.
Vogts und die große Politik
Bei der WM 1978 in Argentinien trat Vogts erstmals in ein politisches Fettnäpfchen. „Argentinien ist ein Land, in dem Ordnung herrscht. Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen“, sagte er über ein Land, in dem die Junta massenhaft Oppositionelle folterte und ermordete. Dieses Zitat wurde Vogts nie wieder los.
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass sich niemand mehr darüber geärgert hat als er. Damals, sagt er heute, sei das Team überhaupt nicht auf die politischen Verhältnisse in dem Land vorbereitet worden. Zur Zielscheibe wurde Vogts auch durch seine Treue zu Helmut Kohl. Vogts sprach wiederholt über sein enges Verhältnis zum Bundeskanzler. Der habe ihn auch überredet, nach der verkorksten WM 1994 nicht zurückzutreten.
Vogts ganz allein am Tisch
Kaum ein Foto wird so sehr mit Vogts verbunden wie das Bild, das 1994 nach dem Ausscheiden bei der WM in den USA entstand. Es zeigt Vogts allein an einem für acht Personen gedeckten Tisch beim Abschiedsessen nach dem WM-K.o. – die Steilvorlage für die mediale Diskussion über einen völlig isolierten Bundestrainer.
Die Wahrheit war ungleich schlichter: Vogts hatte den Tisch reserviert für Familienangehörige und Freunde, die wenige Minuten später eintrafen.
Vogts und der Ärger um Stefan Raab
Unter dem Titel „Böörti Böörti Vogts“ veröffentlichte Stefan Raab 1994 einen spöttischen Rap-Song und erreichte Platz vier der deutschen Hitparade. Vogts echauffierte sich noch Jahre später über Raab, nannte ihn ein „niveauloses Musiktalent“. Die ganze Familie habe unter dem Lied gelitten, sein Sohn sei weinend aus dem Kindergarten nach Hause gerannt.
Vogts und seine modernen Trainer-Ideen
Viele Kritiker monierten, dass der Trainer Vogts vor allem für kämpferische Tugenden stehe. Und in der Tat war auch der EM-Sieg 1996 in erster Linie dem Einsatzwillen des Teams um Jürgen Klinsmann geschuldet. Übersehen wird dabei gern, dass die Mannschaft beim Turnier in England enorme Verletzungsprobleme hatte – vor dem Endspiel in London gegen die Tschechen ließ Vogts sogar ein Spieler-Trikot mit der Nummer 22 für Ersatztorwart Oliver Reck drucken; im absoluten Notfall wäre der Keeper als Feldspieler eingewechselt worden.
Wie innovativ Vogts sein konnte, zeigt sein – am Ende allerdings gescheitertes – Engagement als Cheftrainer von Bayer Leverkusen. Vogts bestand auf einen größeren Trainerstab, damals ein absolutes Novum, inzwischen längst üblich. Zudem schaute er sich Spiele zeitweise von der Tribüne aus an, um einen besseren Überblick zu haben. Sein Vorbild: der American Football.
Vogts und der HSV
Sein erstes Spiel als Bayer-Cheftrainer absolvierte Vogts im Volkspark. Vogts hatte im November 2000 die Nachfolge von Christoph Daum angetreten, der wegen seiner Kokain-Affäre zurückgetreten war. Bayer siegte 3:1, protitierte dabei von einem kapitalen Fehler des HSV-Torwarts Hans-Jörg Butt, der den Ball im eigenen Straftraum an Paulo Rink vertändelte. 2009 brachte sich Vogts vergebens selbst als Nachfolger von Sportdirektor Dietmar Beidersdorfer ins Gespräch: „Hamburg ist eine erstklassige Adresse, eine Traumstadt. Ich wäre für diesen Job gesprächsbereit.“
Berti Vogts und Jürgen Klinsmann
Dass Jürgen Klinsmann 2004 als Bundestrainer beim DFB anheuerte, war auch Berti Vogts zu verdanken. Er vermittelte ein Gespräch zwischen der DFB-Spitze und Klinsmann – damals stand der Verband nach dem Rücktritt von Rudi Völler und der Absage von Ottmar Hitzfeld in der Trainersuche massiv unter Druck. In seiner Zeit als US-Trainer vertraute Klinsmann auch auf die Dienste von Vogts als Berater.
Vogts und das Ausland
Das medial gern gezeichnete Bild des tumben Fußballers aus der Provinz hat Vogts immer getroffen. Es hält sich, obwohl Vogts mehrere Auslands-Engagements hatte. Als Nationaltrainer arbeitete er für Kuwait, Schottland, Nigeria und Aserbaidschan.
Vogts und der „Tatort“
Bereits 1977 hatte Vogts einen Auftritt in der Reihe „Nonstop Nonsens“ mit Dieter Hallervorden. Einen Kurzauftritt gab es dann noch 1999 in einer NDR-“Tatort“-Folge Dort bringt er Nachbarn ein Kaninchen zurück, das der Sohn der Familie vor die Tür gesetzt hat. Vogts riecht Gas, warnt mit Erfolg die Familie. Seine Sätze in diesem „Tatort“ haben längst Kultstatus: „Gib dem Kaninchen eine Möhre extra! Es hat uns das Leben gerettet."