Düsseldorf . Nationalspieler Mesut Özil über seine Lieblingsrückennummer, die Hierarchie im Team und die neuen Freiheiten der jungen Spieler.
Jetzt wird es wieder ernst: Mit dem Qualifikationsspiel gegen Norwegen am Sonntag (20.45 Uhr/RTL live) in Oslo startet die deutsche Fußball-Nationalmannschaft in den zweijährigen Zyklus, der im Juli 2018 in Russland erneut in weltmeisterlichem Gold enden soll. Ein Gespräch mit Deutschlands Spielmacher Mesut Özil (27) über sich wandelnde Hierarchien, die Bedeutung von Gelassenheit und Kindheitserinnerungen.
Herr Özil, derzeit wird viel über den neuen Kapitän Manuel Neuer gesprochen. Sie kennen ihn länger als kaum ein anderer Nationalspieler. Was zeichnet ihn aus?
Mesut Özil: „Manu“ macht einfach sein Ding. Wir sind damals in Gelsenkirchen auf dieselbe Schule gegangen – er ein paar Klassen über mir –, danach sind wir uns in den verschiedenen Jugendmannschaften begegnet und später bei den Profis ebenfalls. Er ist immer derselbe geblieben, das ist immer noch der Manuel Neuer wie vor neun oder zehn Jahren. Er hat nie seine Familie und seine Freunde vergessen, das zeichnet ihn aus. Außerdem ist er ganz nebenbei der beste Torwart der Welt. Wir sind sehr froh, dass wir ihn haben.
Nach den jüngsten Rücktritten von Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski: Wie verändert sich die Hierarchie in der Nationalmannschaft?
Verdiente Spieler sind gegangen, aber dann kommen neue dazu. Bei uns ist das so, dass wir sehr gelassen mit solchen Dingen umgehen. Die jungen Profis werden sehr schnell integriert. Sie sollen sie selber sein, ihr Potenzial ausschöpfen. Dann ist die Energie, die diese jungen Spieler mitbringen, sehr positiv. Deshalb spielen wir ja auch einen so erfolgreichen Fußball: weil wir aufeinander achten. Das ist seit Jahren so und sicher ein Verdienst von Joachim Löw. Die Älteren bauen keinen Druck auf die Jüngeren auf.
Kennen Sie das auch anders?
Ich weiß noch, als ich damals in meinem ersten Profijahr bei Schalke war. Da wurdest du als junger Spieler kaum mal massiert. Denn wenn du dich gerade hingelegt hattest, kam ein erfahrener Spieler an und sagte: „Wie alt bist du? 16? 17? Geh runter, ich werde jetzt massiert.“ Heutzutage ist das Verhältnis zwischen Jung und Alt lockerer, und ich glaube, das tut der Gemeinschaft gut.
Wie hat sich Ihre Rolle verändert?
Als junger Spieler ist alles neu, man will sich durchsetzen und sich beweisen, meint aber keine Fehler machen zu dürfen. Mein Ziel ist es heute, den jungen Spielern den Weg zu zeigen. Als erfahrener Spieler geht man dann hin und sagt: „Mach dein Spiel, du kannst ruhig Fehler machen. Wir sind als Mannschaft da.“ Das brauchen die.
Wie fühlen Sie sich und Ihre Rolle intern, aber auch extern wahrgenommen?
Ehrlich gesagt achte ich darauf nicht so sehr. Die Leute, die mich kennen, wissen genau, dass ich immer noch derselbe bin, jemand der zurückhaltend ist, der sein Ding macht, der Spaß daran hat, Fußball zu spielen und sich nicht beirren lässt durch äußere Einflüsse.
Seit dem Finnlandspiel am Mittwoch tragen Sie nicht mehr die Rückennummer 8, sondern die 10. Was bedeutet Ihnen diese Nummer?
Das ist meine Lieblingsnummer. Große Spieler, die auf meiner Position als Spielmacher gespielt haben, haben die 10 getragen, Legenden wie Pelé, Maradona, Zidane. Durch den Abschied von Lukas Podolski ist diese Nummer frei geworden – und ich habe mich sehr, sehr gefreut, dass ich sie nun wieder tragen konnte. Diese Nummer erinnert mich immer wieder auch an die Anfänge, als ich als Jugendlicher im Verein diese Nummer getragen habe. Wenn wir Trikots gekauft haben, egal von welchem großen Verein, dann nie eines mit der Nummer 11 oder 9, sondern immer nur die 10. Die wollte ich immer sein, und ich hatte diese Nummer bei allen Vereinen, wenn sie denn frei war. Das ist eine besondere Beziehung.
Welche Bilder hatten Sie im Kopf, als Sie das Trikot am Mittwoch gegen Finnland erstmals getragen haben?
Als ich in die Kabine kam, musste ich daran denken, wie ich damals als Jugendlicher bei Rot-Weiss Essen, meinem ersten größeren Verein, diese Nummer trug. Sie wieder zu tragen – jetzt bei der Nationalmannschaft – war ein besonderer Moment für mich.
Welche Momente soll Ihre Karriere noch für Sie bereit halten? Wonach streben Sie?
Man wird ja auch älter und reifer. Mein erstes Ziel ist wirklich, gesund zu bleiben. Alles andere kommt sowieso, wie es kommt. Man muss immer hart an sich arbeiten, aber man kann letztlich nichts erzwingen. Ich versuche einfach, erfolgreich Fußball zu spielen und mein Leben zu genießen. Denn das, was ich tue, das liebe ich von ganzem Herzen.
Sie haben bislang den größeren Teil Ihrer Karriere im Ausland verbracht. Ist das Zufall oder Planung?
Das hat sich irgendwie so ergeben. Ich will nicht ausschließen, irgendwann wieder in der Bundesliga zu spielen, weil man nie weiß, was im Fußball so passiert. Aber ich habe schon immer die Meinung vertreten, dass ein Spieler, der die Möglichkeit hat, ins Ausland zu gehen, diese Erfahrung machen sollte. Neue Aufgaben zu haben, neue Dinge kennenzulernen, das bringt einen als Spieler und Menschen weiter.
Welche Einflüsse haben Sie aus Ihrer Zeit in Spanien bei Real Madrid mitgebracht?
Die Spanier sind eher lässig. Am Anfang hat mich das verrückt gemacht, ich kenne ja deutsche Disziplin. Da heißt es: Morgen um zwei Uhr wird der Fernseher installiert und du weißt, dass um drei Uhr alles fertig ist. In Spanien läuft das alles etwas anders ab: zwei Uhr heißt da nicht immer zwei Uhr (lacht). Wenn man das erlebt hat, dann wird man auch als jemand mit türkischen Wurzeln noch etwas lockerer. Natürlich ist Disziplin wichtig, aber manche Dinge kann man nicht ändern, da hilft es locker zu bleiben und nicht so verbissen zu sein. Ich für mich habe da die richtige Einstellung gefunden.