Évian-les-Bains. Benedikt Höwedessoll den gelbgesperrten Mats Hummels im Halbfinale als Innenverteidiger ersetzen. Er ist da, wenn er gebraucht wird.

Es gab Zeiten, da war Benedikt Höwedes nicht einmal für ein paar Cent zu bekommen. Im Fernsehen war er alle paar Tage zu sehen, wie er bei der WM 2014 ein Spiel nach dem anderen bestritt, wie er zum festen Bestandteil einer Fußball-Mannschaft wurde, die am Ende sogar den Titel holte. Aber der italienische Hersteller dieser Klebebilder, die die eifrigen Sammler während großer Turniere in Massen kaufen, hatte ihn einfach nicht auf der Rechnung gehabt, hatte ihn weit vor dem Turnier aus dem deutschen Kader gestrichen, weil es ihn für überflüssig hielt. Kein Panini-Bild von Höwedes. „Die Italiener haben halt keine Ahnung“, scherzte der Profi damals.

Zwei Jahre sind seitdem vergangen, und wenn man so will, dann schloss sich der Kreis am Sonnabend für Höwedes. Denn diesen ungläubigen Italienern hatte er es nun gezeigt, hatte wirkungsvoll mitgeholfen, sie erstmals bei einem großen Turnier zu besiegen. Spätestens jetzt käme niemand mehr auf die Idee, den Profi des FC Schalke 04 nicht in den Kader der Nationalmannschaft zu wählen. Sein Wert hat sich in den vergangenen zwei Jahren auf erstaunliche Weise entwickelt. Drei Tage vor dem Halbfinale bei der EM sagt Bundestrainer Joachim Löw daher über den Verteidiger Höwedes: „Er ist Gold wert.“

Für diese Behauptung lassen sich mit Leichtigkeit Indizien und sogar handfeste Beweise liefern. Gegen die starken italienischen Stürmer leistete sich der 28-Jährige kaum eine Schwäche. Er spielte geradezu höwedesk: auf kunstvolle Weise verlässlich, hoch konzentriert, körperbetont, fehlerlos. Er köpfte, grätschte, lief und rang gegen die Herren Pellé und Eder, dass es eine wahre Freude war. Zumindest ging es Löw offenbar so. Er hatte sich die Partie noch mal in ganzer Länge angeschaut und gilt ja als ein Mensch der Ästhetik.

Löw: Höwedes „ein großartiger Zweikämpfer“

Er selbst war Stürmer, er hat konstruiert, was andere stets zerstören wollten. Als so jemand hat man vermutlich eher einen zweckmäßigen Zugang zur brachialen Schönheit einer Nummer 4. Aber dieser Actionstreifen mit Höwedes in einer der Hauptrollen hatte ihm bestens gefallen. „Höwedes hat seine Sache überragend gut gemacht. Er ist ein großartiger Zweikämpfer“, sagt der Bundestrainer nahezu entzückt. Er weiß, was er an ihm hat, Höwedes, dem Mann für alle Fälle, der mittlerweile der Mann für (fast) alle Siege ist. 20 Pflichtspiele hat der gebürtige Halterner für die Nationalelf seit seinem Debüt 2011 absolviert, keines wurde verloren, nur zwei Unentschieden stehen in der Bilanz.

Als Linksverteidiger verpasste er keine Spielminute auf dem Weg zum goldenen WM-Triumph von Rio. In den ersten beiden EM-Partien in Frankreich kam er als Rechtsverteidiger zum Einsatz. Nun gegen die Franzosen wird er als Innenverteidiger auflaufen, weil Mats Hummels wegen der zweiten Gelben Karte gesperrt fehlen wird. Ob Deutschland nun auf die Dreier- oder Viererkette setzen wird, ist dabei unerheblich. Höwedes ist gefragt, egal in welchem System gespielt wird. „Er ist da, wenn man ihn braucht“, sagt Löw, als spräche er über einen guten Freund, „das macht ihn so wertvoll.“

Der offensiven Wucht der Franzosen mit Antoine Griezmann (vier Tore) und Olivier Giroud (drei) soll sich Höwedes an der Seite von Abwehrchef Jerome Boateng so entgegenwerfen wie den Italienern. „So ein dramatischer Sieg schweißt zusammen, der tut der Seele gut“, hofft Höwedes auf einen energetischen Schub fürs Halbfinale. Er ist zwischen den vielen Künstlern und Freigeistern einer der verlässlichsten Dienstleister im gesamten Kader und könnte an entscheidender Stelle helfen, den Weg zur nächsten goldenen Medaille zu bereiten. Es passt, dass der Goldwert gerade wieder steigt.