Évian-les-Bains. Der DFB-Tross bezieht sein EM-Quartier am Genfer See. Im Hotel Ermitage musste der Barbereich extra verändert werden. Ein Ortsbesuch.
Der Ausblick von hier oben ist spektakulär. Der Genfer See, die Uferpromenade, das kleine Örtchen Évian-les-Bains. Von der großen Terrasse in der Avenue de la Dent d’Oche kann man einen Rundumblick genießen. „Am Abend ist es noch schöner“, sagt Odile Demuth. „Dann kann man auch noch die Lichter von Lausanne auf der anderen Seite des Sees funkeln sehen.“
Für die kommenden Wochen haben sich Odile und Ehemann Jean-François sogar ein Fernglas zurechtgelegt. Nicht wegen des Schweizer Städtchens in der Ferne, sondern wegen der deutschen Mannschaft direkt unter ihrer Veranda. „Ich habe mich ja schon gefreut, als ich hörte, dass die Deutschen in Évian während der EM wohnen. Dass ich dem Weltmeister nun sogar beim Training von der Terrasse zuschauen kann, ist natürlich toll“, sagt Monsieur Demuth, der auch besten Blick auf das nebenanliegende Medienzentrum hat. Nur die lauten Container der TV-Anstalten, die eine dauerhafte Stromversorgung garantieren, nerven ein wenig. „Aber der ganze Rummel dauert ja nur einen guten Monat“, sagt Jean-François.
Im Bestfall bis zum 10. Juli, dem Finaltag der Europameisterschaft.
Gratiskarten für das DFB-Training
An diesem Dienstag ist es also so weit. Am späten Nachmittag wird die DFB-Auswahl in dem kleinen 10.500-Einwohner-Städtchen im Département Hochsavoyen erwartet, um 18.30 Uhr ist ein erstes öffentliches Training im Stade Camille Fournier geplant. Die Gratiskarten sind längst vergriffen, lediglich von der Terrasse von Jean-François und Odile kann dann noch ein Blick auf das satte Grün geworfen werden. DFB-Rasenchef Rainer Ernst hatte sich höchstpersönlich um den rund 1000 Meter vom Mannschaftshotel entfernten Rasen gekümmert. Ab 7 Uhr morgens war der Hesse am Montag mit dem letzten Feintuning beschäftigt.
Bienvenue à l’Allemagne, steht auf einem Banner am Ortseingang von Évian-les-Bains. Willkommen, Deutschland! Willkommen im EM-Quartier!
„Natürlich ist es für uns fantastisch, die deutsche Nationalmannschaft zu empfangen“, sagt Yannick Le Hec, 48, im Gespräch mit dem Abendblatt. Der Manager des Mannschaftshotels Ermitage hat ein freundliches Lächeln, die Haare und die buschigen Augenbrauen sind grau. „Wir sind ganz gut im Zeitplan, aber die letzten Tage waren noch einmal ein wenig stressig“, sagt der Hotelchef.
19 Hektar (rund 27 Fußballfelder) umfasst der Park des Viersternehotels, das 125 Meter über dem Genfer See auf einem Plateau thront. Die Suite von Bundestrainer Joachim Löw soll 990 Euro an normalen Tagen kosten. „Die Deutschen haben ein ruhiges und sicheres Quartier gesucht, das gut gelegen ist und einen gewissen Anspruch bereithält“, sagt Le Hec. „Wir konnten ihnen das alles garantieren.“
DFB wollte Veränderungen im Barbereich
Am Sonntag wurde noch an letzten Details gearbeitet. Sofas und Schaukelsessel wurden angeliefert, ein weißes Zelt für die Mountainbikes der Nationalspieler am Eingang des Hotels aufgebaut. „Auch im Bar- und Restaurantbereich wollte der DFB ein paar kleinere Veränderungen, aber nichts, was uns Kopfzerbrechen bereitet hätte“, sagt Le Hec, der betont, dass die Verhandlungen mit dem DFB nicht länger als fünf Minuten gedauert hätten.
Im März 2015, als Deutschland nach vier Punkten aus vier Spielen nur auf Platz drei der Qualifikationsgruppe D stand, hatte Joachim Löws Co-Trainer Thomas Schneider erstmals den Kontakt hergestellt. „Oliver Bierhoff war dann öfter bei uns, hat sich alles angeschaut. In diesem Jahr ist er fast jeden Monat vorbeigekommen“, sagt Le Hec, der besonders stolz auf die DFB-Wahl ist, weil die 80-Zimmer-Herberge eigentlich gar nicht als ein Teamquartier für die Europameisterschaft vorgesehen war.
Das war das Campo Bahia in Brasilien vor zwei Jahren allerdings auch nicht. „Ein zweites Campo Bahia schafft man nicht. Das war verrückt und einmalig“, sagt Oliver Bierhoff und lehnt sich zurück. Der DFB-Manager sitzt in einer großzügigen Hotellobby in Berlin. „Eigentlich wollte ich nun einen totalen Bruch, dass man gar keine Vergleiche zu Brasilien anstellt. Uns ist wichtig: gutes Wetter, viel Licht, kurze Wege und eine gute Atmosphäre. Das hat auch nichts damit zu tun, wie viele Sterne das Hotel hat, sondern ob man sich immer wieder begegnet.“
Spieler hatten Mitspracherecht
Deutschland und seine Turnierquartiere. In keinem anderen Land der Welt wird die Wahl des Hotels für die Fußballelite so leidenschaftlich diskutiert wie im Land des dreifachen Europameisters. „Teamquartiere in Deutschland hatten schon immer eine besondere Geschichte“, sagt Cheforganisator Bierhoff. „Das fing an mit Spiez 1954 an und ging weiter mit dem Geist von Malente 1974. Bei der WM 2006 haben wir mit dem Quartier in Berlin das erste Mal ein Zeichen gesetzt. Ich glaube, dass die Atmosphäre bei einem Turnier sehr wichtig ist.
Im Ermitage hatten sogar die Spieler ein gewisses Mitspracherecht. „Wir haben zwar nicht das Hotel ausgesucht, aber der Mannschaftsrat wurde schon gefragt, was wir uns für ein bisschen Abwechslung wünschen“, verrät Mats Hummels. So ließ der DFB ein kleines Basketballfeld bauen, ein Bouleplatz wurde angelegt, zudem steht seit dem Wochenende ein Mini-Zweiloch-Golfplatz bereit. „Extra für Thomas Müller“, sagt Hummels und lacht.
Sollte das übersichtliche Grün für Golffan Müller zu langweilig werden, steht der Évian Resort Golf Club nur ein paar Abschläge entfernt bereit. „Das Prinzip der kurzen Wege war dem DFB besonders wichtig“, sagt Hotelmanager Le Hec, der sich selbst als „crazy sportfan“ bezeichnet. Auch Tottenham, Arsenal London und gleich zweimal Mainz 05 hätten sich im mondänen Évian sehr wohl gefühlt, der dreifache Familienvater fiebert allerdings eher mit dem FC Lorient mit.
„Die Spieler sollen nicht das Gefühl haben: Das ist hier wie in den 50 Trainingslagern meiner Karriere davor. Es soll immer wieder neue Reize geben“, betont Bierhoff, der von seinem ersten Besuch an von dem Kurort, der weltweit wegen seines berühmten Wassers bekannt ist, begeistert war.
Coca-Cola verkauft weltberühmtes Wasser
1789, im Jahr der französischen Revolution, wurde die Heilkraft des örtlichen Évian-Wassers entdeckt. Heute wird das wahrscheinlich berühmteste Mineralwasser der Welt von Coca-Cola in 120 Ländern vertrieben. „Das Wasser hat einen sehr niedrigen Gehalt an Mineralien, ist extrem gesund“, sagt Le Hec. „Und die Deutschen sind nun direkt an der Quelle.“
Ziemlich nah dran sind in den kommenden fünf Wochen auch die Demuths. Jean-François will das erste Training der Nationalmannschaft an diesem Dienstag jedenfalls nicht verpassen. Ob die Deutschen denn dank Évian wirklich Europameister werden? Oder doch eher Frankreich aufgrund des Heimvorteils? Monsieur Demuth lächelt höflich, überlegt kurz und antwortet dann sehr bestimmt: „Spanien“.