Berlin . Besonders in Testspielen präsentiert sich Deutschland kaum weltmeisterlich. Müller macht Motivationsprobleme aus. Eine Analyse.
„Dieses Deutschland ist nicht mal in der Nähe des Teams, das den WM-Titel gewonnen hat“, brachte es der „Daily Mail“ auf den Punkt. Doch woran liegt der dramatische Leistungsverlust seit dem WM-Triumph 2014 in Brasilien? Besonders in Freundschaftsspielen präsentiert sich die deutsche Nationalmannschaft alles andere als weltmeisterlich. Vier von sechs Partien seit dem Titelgewinn gingen verloren, gerade mal ein Spiel wurde gewonnen.
Thomas Müller machte Motivationsprobleme für diese erschreckende Bilanz aus. „In Testspielen kommen wir nicht an die 100 Prozent. Da ertappt man sich auch mal dabei, nicht immer den letzten Schritt ohne Ball zu machen“, gestand der Münchner. Es ist sicherlich kein Zufall, dass der einzige Testspielsieg gegen den großen Rivalen Spanien gelang, das den Weltfußball mit drei Turniergewinnen von 2008 bis 2012 dominierte. Für dieses Spiel konnten sich selbst die Herren um Müller & Co. noch motivieren.
Im Klassiker gegen England schien Deutschland zunächst auch motiviert – wenngleich die letzte Konsequenz im Angriff fehlte. Zumindest stand man defensiv einigermaßen sicher und konnte sich in der Offensive auf die Schussstärke von Toni Kroos und die Kaltschnäuzigkeit von Mario Gomez verlassen. In Anbetracht der 2:0-Führung hatte der Weltmeister dann aber offensichtlich Probleme, sich auch für die letzten 30 Minuten zu motivieren. Der Gegner wurde durch unerklärliche Fehler aufgebaut und angeführt von Stürmer Harry Kane, der in England nur „Hurricane“ genannt wird, drehten die Three Lions die Partie.
Rechtsverteidiger-Experiment ist gescheitert
Doch die unnötige Pleite gegen England ist nicht nur auf Motivationsprobleme zurückzuführen, sie deckt auch schonungslos die Fehler von Bundestrainer Joachim Löw auf. Das Experiment mit Emre Can oder Sebastian Rudy einen defensiven Mittelfeldspieler als Rechtsverteidiger einzusetzen, ist spätestens 77 Tage vor dem ersten EM-Spiel gegen die Ukraine gescheitert. Beide Akteure, die bei ihren Vereinen Liverpool und Hoffenheim nur in Ausnahmefällen auf der für sie ungewohnten Position zum Einsatz kommen, erreichen kein internationales Niveau als Außenverteidiger. Wenn sich dann auch noch Linksverteidiger Jonas Hector konstant überlaufen lässt, so wie am Sonnabendabend gegen England, ist die Abwehr auf beiden Seiten anfällig.
Löws Sturheit, seine taktischen Vorgaben während des Spiels auf Krampf durchsetzen zu wollen, wurde Deutschland beim „Wunder von Berlin“ („Daily Mail“) ebenfalls zum Verhängnis. Bei eigenem Abstoß wollte der Bundestrainer unbedingt einen kurzen Pass auf einen der beiden Innenverteidiger oder notfalls einen der zurückfallenden Sechser sehen. Auch als sich die Engländer perfekt darauf einstellten und die offensive Dreierreihe bis an die Strafraumkante vorzogen, wich Löw nicht von seiner Spieleröffnungsidee ab.
Letztlich geriet die Abwehr wiederholt in Schwierigkeiten und kann sich bei Dele Alli bedanken, dass diese Anstoßvariante nicht zu einem Gegentor führte. Tottenhams 19 Jahre altes Top-Talent brachte kurz vor Schluss das Kunststück fertig, nach einer Balleroberung am Strafraum noch über das leere Tor zu schießen. Im besten Fall gelang noch ein unkontrollierter Befreiungsschlag, sodass sich viele Zuschauer fragten, wo jetzt der Vorteil im Vergleich zu einem kontrollierten weiten Abschlag von Manuel Neuer sei?
Was wollte Löw ohne Hummels testen?
Unerklärlich bleibt auch, wieso Mats Hummels zur Halbzeit ausgewechselt wurde. Debütant Jonathan Tah einzusetzen und sowohl ihn als auch den Römer Antonio Rüdiger als Innenverteidiger zu testen, ist sicherlich nicht verkehrt – aber neben Hummels und nicht ohne. In dieser Konstellation werden die beiden Abwehrspieler wohl nie in einem Pflichtspiel auflaufen. Was Löw damit testen wollte, bleibt wohl sein persönliches Geheimnis.
Im ZDF-Sportstudio rechtfertigte der Bundestrainer Hummels’ Auswechslung mit einer leichten muskulären Verhärtung, gab aber auch zu, dass der Dortmunder „unter anderen Bedingungen sicherlich weitergespielt hätte“. Löw sei sich dennoch sicher, dass die drei Gegentore nichts mit dieser Personalie zu tun hätten. Mit Hummels stand die Abwehr allerdings deutlich stabiler und geriet ohne ihn in der zweiten Halbzeit zunehmend in Probleme, die im Siegtreffer der Engländer resultierten.
Auch das 3:2 durch Eric Dier wirft weitere Fragen auf. Löw weiß, dass die DFB-Elf „schon während der Qualifikation ungewohnte Probleme bei Standards“ offenbarte. Gerade dann ist es wenig verständlich, wieso mit einer Raum- und keiner Manndeckung verteidigt wurde. Die Raumdeckung führte dazu, dass der kopfballschwache André Schürrle ins Luftduell mit Englands Abwehrhühne gehen musste und dabei eine Lehrstunde in Sachen Kopfballspiel erhielt. Doch nicht nur Schürrle, sondern die ganze Mannschaft kassiere „eine Lehrstunde“ – so viel gab Löw nach dem Spiel zumindest zu.
Deutschland verliert verdient gegen England