Deutschlands erste Pleite gegen Polen war auch die erste Pflichtspielniederlage seit zwei Jahren. Sorgen will sich nach dem 0:2 aber niemand machen
Warschau. Es war bereits spät am Sonnabend, als Joachim Löw zumindest für den Moment das Drumherum in Warschaus Nationalstadion Kazimierz Górski vergessen wollte. Der Bundestrainer, der Sekunden zuvor Deutschlands erste Pflichtspielniederlage seit mehr als zwei Jahren hatte erklären müssen, versteckte sich in der Tiefgarage der Arena hinter zwei Bussen und gönnte sich dort ganz ungeniert eine Zigarette. Frustbewältigung nach dem 0:2, der ersten Niederlage überhaupt gegen Nachbar Polen.
Wieder Warschau. Wieder verloren. Doch anders als vor 845 Tagen, als Fußball-Deutschland nach der EM-Halbfinalniederlage gegen Italien benommen taumelte, war die Stimmungslage nach dem 0:2 gegen Polen diesmal eine andere. „Ich sehe das nicht so dramatisch. Nach 33 Qualifikationsspielen haben wir heute mal eine Niederlage bekommen“, sagte Löw fröhlich, „man muss auch mal verlieren können.“
Wie ungewohnt dieses Gefühl der Niederlage für Deutschlands Fußballelite aber sein musste, wurde vor allem bei der Suche nach den Gründen für die Pleite deutlich. Es gab offenbar keine. „Hätten wir unsere Chancen besser verwertet, hätten wir noch höher gewonnen“, sagte etwa Toni Kroos, ganz so, als wenn die DFB-Auswahl nicht gerade verloren hätte. „Ein sehr gutes Spiel“ habe Deutschland laut Kroos gemacht, „sehr viel hat gepasst“, und auch „defensiv standen wir bis auf die letzten fünf Minuten sehr, sehr gut“. Ganz schön viel „sehr“ nach einem 0:2.
Dabei hatte der Madrilene in der Theorie nicht unrecht. 28-mal hatten er und seine Kollegen aufs Tor geschossen, dabei knapp ein Dutzend Mal einen Treffer erzielen können. Ganz praktisch gelang dies aber nur den Polen, die für ihre beiden Tore durch Milik (51.) und Mila (88.) nur zwei ernst zu nehmende Versuche brauchten.
„Bei den Polen hat eigentlich gar nichts geklappt“, widersprach Weltmeister Christoph Kramer ein wenig angesäuert der These, dass der polnische Matchplan, defensiv zu stehen, auf Konter zu warten und diese eiskalt zu nutzen, aufgegangen sei. „Es kann ja nicht ihr Matchplan gewesen sein, so viele Chancen zuzulassen.“ Den deutschen Matchplan, derart viele Chancen auszulassen, hat es aber wohl auch nicht gegeben.
Nun ist es aber wahrscheinlich müßig, wieder in die in Deutschland so beliebte Diskussion einzusteigen, ob im Land der Völlers, Hrubeschs und Klinsmanns nicht doch ein echter Torjäger ganz vorn fehle, besonders nach dem Rücktritt Miroslav Kloses. In Wahrheit ist dies aber wohl eine Scheindiskussion. Denn mit Thomas Müller, der zugegebenermaßen einen ganz schwachen Tag erwischte, spielte immerhin ein zehnfacher WM-Torschütze in der variablen Offensive, die in ähnlicher Besetzung und mit ähnlicher Grundausrichtung vor nicht einmal drei Monaten Weltmeister geworden war.
Vielmehr muss Löws Mannschaft nach dem Titelgewinn schnell klar werden, dass sie spätestens seit dem Triumph von Rio die Gejagten in Europa sind. „So ist es ganz schwierig, ein Spiel zu gewinnen“, maulte Müller, der aber nicht den bravourös verteidigenden Polen, sondern den kopflos anrennenden Deutschen den Hauptvorwurf machte: „Manchmal war der Torhüter im Weg, einmal die Latte und ansonsten unser Unvermögen am heutigen Tag.“
Dazu passt, dass Deutschlands Weltmeister auch bei den Gegentoren kräftig mithalfen, besonders beim 0:1. „Ich kann mir das Tor auch auf meine Kappe schreiben“, sagte Torhüter Manuel Neuer: „Ich habe versucht, nach vorne mutig zu spielen und noch an den Ball zu kommen. Aber ich komme zu spät. Wenn ich auf der Linie bleibe, dann schlägt der Ball rechts ein, und ich habe keine Möglichkeit mehr ranzukommen.“ RTL-Experte Jens Lehmann kritisierte, dass Neuer beim Herauslaufen von der falschen Position gestartet sei: „Da muss Manu üben.“
So dürfte bei der internen Aufarbeitung der Niederlage unter dem Strich stehen bleiben, dass Deutschland weder ein Torjäger- noch ein Torhüterproblem hat. Zumindest ein Problemchen bei den Außenverteidigern ist allerdings kaum zu leugnen, auch wenn alle Beteiligten dabei ihr Bestes gaben. „Überwiegend haben die Jungs das sehr gut gemacht“, lobte etwa Mario Götze die beiden Aushilfs-Außenverteidiger Erik Durm und Antonio Rüdiger, während vor dem Stadion „Polska biało-czerwoni“ („Polen weiß-rot“) gesungen wurde. Aber auch Deutschlands Anhänger, das versprach Löw, sollen nach dem Spiel am Dienstag in Gelsenkirchen wieder singen dürfen: „Gegen Irland werden wir gewinnen.“