Thomas Hitzlsperger über das harte Leben als Profifußballer, seine Homosexualität und über die Vergabe von Großveranstaltungen an undemokratische Staaten. Am 7. September spielt er beim „Tag der Legenden“ am Millerntor.
Berlin. Für die Verspätung von drei Minuten entschuldigt er sich sofort. „Ich bin noch kurz aufgehalten worden“, sagt Thomas Hitzlsperger, 32. Der Treffpunkt ist nicht zufällig gewählt. Zwei Etagen über dem Restaurant im umgebauten „Umspannwerk Ost“ im Berliner Stadtteil Friedrichshain liegt Hitzlspergers neues Büro. Seit sechs Wochen arbeitet der ehemalige Nationalspieler beim Fußballmagazin „11 Freunde“. Der gebürtige Bayer, aufgewachsen auf einem Bauerhof in Forstinning bei München, schreibt über seine einstigen Kollegen.
Ein Interview mit der Sprengkraft seines Gesprächs mit der „Zeit“ im Januar wird er indes kaum führen können. Mit dem Satz „Ich äußere mich zu meiner Homosexualität“ eröffnete der einstige Profi ein spektakuläres Gespräch. Hitzlsperger war damit der erste Bundesliga-Fußballer, der öffentlich sagte, er liebe Männer. Vor Schulterklopfern – auch von Kanzlerin Angela Merkel – konnte er sich kaum retten. Doch ganz bewusst machte sich Hitzlsperger fortan rar, schlug Talkshow-Einladungen von Beckmann, Lanz, Plasberg und Jauch aus. Auch im Gespräch mit dem Abendblatt anlässlich seines Auftritts beim Legendenspiel am Millerntor am 7. September will er sein Outing nicht wieder groß thematisieren. Einer wie er hat genügend pointierte Ansichten zu anderen Themen.
Hamburger Abendblatt: Herr Hitzlsperger, beim Tag der Legenden werden Sie das erste Mal nach Ihrem Karriereende vor einem Jahr wieder auf einer großen Fußballbühne auftauchen. Glauben Sie, dass Ihr Outing unter den Fans oder den Spielern ein großes Thema sein wird?
Thomas Hitzlsperger: Ich freue mich einfach auf ein Wiedersehen mit vielen Kollegen aus meiner aktiven Zeit. Ich spiele nicht mehr so häufig Fußball, vor allem nicht auf diesem Niveau. Umso schöner, dass ich beim Tag der Legen- den dabei sein darf. Es sind so viele alte Bekannte dabei, der Gesprächsstoff wird uns sicherlich nicht ausgehen.
Am 9. Januar haben Sie selbst mit einem Interview für Gesprächsstoff gesorgt wie wohl kein anderer Nationalspieler zuvor. Sogar die Kanzlerin hat sich geäußert, Ihr Outing ausdrücklich gelobt. Hat Sie die Wucht dieser Welle überrascht?
Hitzlsperger: Ich habe mich gut darauf vorbereitet. Es war schwer abzuschätzen, welche Auswirkungen das Interview haben würde.
Sogar ein Video haben Sie eigens für Ihre Homepage drehen lassen.
Hitzlsperger: Das gehört heute nun mal dazu. Viele Menschen schauen lieber Videos, als zu lesen.
Eine italienische Zeitung hat geschrieben, dass Sie eine Mauer in Deutschland eingerissen haben. Macht Sie ein solches Lob stolz? Oder kann das auch eine Bürde sein?
Hitzlsperger: Nichts von beidem. Ich freue mich über die vielen positiven Reaktionen. Ab und an kommen Menschen auf mich zu und bedanken sich, dass ich mich öffentlich zum Thema Homophobie geäußert habe. Es gab aber auch ein paar beleidigende E-Mails.
Wurden Sie um Rat gebeten, ob man sich auch outen solle?
Hitzlsperger: Auch solche Fragen wurden mir gestellt, ja. Aber ich habe keine Empfehlungen abgegeben. Das hängt immer von der persönlichen Situation ab. Da kann es kein Patentrezept geben.
Sie haben sich schon früh in Ihrer Karriere gegen Rassismus und Antisemitismus engagiert, wurden dafür 2011 mit dem Julius-Hirsch-Preis ausgezeichnet. Sie passen einfach nicht in das Bild vom typischen Fußballprofi.
Hitzlsperger: Wie sieht dieses Bild denn Ihrer Ansicht nach aus?
Dickes Auto, teure Markenklamotten, schöne Frauen...
Hitzlsperger: Ich habe in meiner Karrie re ganz andere Erfahrungen gemacht, viele Kollegen erlebt, die sich sehr in tensiv Gedanken über ihr Leben, ihre Karriere machen und nicht nur ans Konsumieren denken. Die Zeiten haben sich nun mal geändert. Da werden gerne Klischees bedient, die mit der Realität nichts zu tun haben. Ich will nicht abstreiten, dass es solche Typen noch gibt, aber diese Spieler repräsentieren nicht die Mehrheit.
Die Frage bleibt dennoch, ob es für die Entwicklung eines 18-Jährigen gut ist, wenn er mit seinem ersten Vertrag für sein Leben ausgesorgt hat.
Hitzlsperger: Wenn ein Spieler nicht versteht, dass er sich trotz des hohen Salärs noch anstrengen muss, wird er nicht lange in der Bundesliga spielen.
Sie sind mit 18 Jahren zu Aston Villa in die englische Profiliga gewechselt. Ganz schön ungewöhnlich für einen Jungen, der auf einem Bauernhof in einem bayerischen Dorf aufgewachsen ist.
Hitzlsperger: Das war ursprünglich nicht der Plan. Während der U17-Weltmeisterschaft in Neuseeland kam ich mit einem Spielerberater ins Gespräch. Es ergab sich die Möglichkeit, ein Probetraining bei Aston Villa zu absolvieren. Das klang verlockend. Wenige Monate später flog ich nach England. Meinem damaligen Trainer erzählte ich das aber nicht.
Und Ihren Eltern?
Hitzlsperger: Denen und auch dem FC Bayern habe ich gesagt, dass ich im Rahmen meiner Ausbildung zum Bürokaufmann für eine Woche nach Berlin muss. Ich flog auf, als Aston Villa eine Spielgenehmigung für mich beim FC Bayern angefordert hat. Karl-Heinz Rummenigge wollte, dass ich sofort zurückfliege. Ich bin dann aber noch ein paar Tage geblieben und unterschrieb sechst Monate später einen Vertrag bei Aston Villa. Villa war genau die richtige Station für mich.
Ihr Englisch war wohl nicht so doll.
Hitzlsperger: Das reichte anfangs gerade, um die Formalien mit dem Berater und dem Verein abzuwickeln. Das musste ich ja selbst machen, das ging damals alles noch per Fax.
Vier Jahre später waren Sie auch ob Ihrer Schusskraft als „Hitz, the hammer“ Liebling in England und Nationalspieler.
Hitzlsperger: Mein erstes Länderspiel in Teheran im Oktober 2004 gegen den Iran werde ich nie vergessen. 100.000 Zuschauer, eine unglaubliche Atmosphäre. Im selben Team wie Oliver Kahn, Michael Ballack und Torsten Frings, die ich nur aus dem Fernsehen kannte. Ich war ziemlich nervös.
Sie haben in Ihrer Länderspielkarriere den Wandel der Nationalmannschaft miterlebt. Anfangs regierten die Alpha-Tiere wie Kahn oder Ballack, dann kam es zu der von Bundestrainer Löw postulierten flachen Hierarchie mit dem neuen Spielführer Philipp Lahm. Wie hat sich das Klima aus Ihrer Sicht verändert?
Hitzlsperger: Spieler wie Kahn, Ballack, Frings oder Effenberg waren Persönlichkeiten, die alles auf sich gezogen haben. Auf dem Platz. Und außerhalb.
Kurzum echte Typen, nach denen sich viele Fans sehen.
Hitzlsperger: Ich finde den eingeschlagenen Weg unter Jürgen Klinsmann und später Jogi Löw richtig. Es wird jetzt mehr über Taktik als über Personen diskutiert. Heute verteilt sich die Verantwortung auf mehrere Schultern. Es war ein interessanter Prozess. Und schon beim Sommermärchen der WM 2006 hat uns Jürgen Klinsmann vor dem Eröffnungsspiel gesagt, dass die Elf, die im Finale oder Halbfinale auf dem Platz stehen könnte, ganz anders aussehen kann. Es gab nicht mehr den engen Kreis von Stammspielern. Genauso war es jetzt bei der WM 2014. Ich weiß aus Gesprächen mit Spielern, dass Löw jedem Teammitglied das Gefühl gegeben hat, auf ihn kann es noch ankommen. Und plötzlich spielt dann ein Christoph Kramer im Finale.
Ihre Sommermärchen-Kollegen wie Lahm, Schweinsteiger oder Podolski konnten vor gut sechs Wochen den WM-Pokal in die Höhe stemmen. Waren Sie traurig, dass Sie Ihre Karriere schon ein Jahr zuvor aus Verletzungsgründen beenden mussten?
Hitzlsperger: Keineswegs. Ich hatte großartige Jahre als Fußballprofi. Dann kam eine Phase mit vielen Verletzungen, vor allem am rechten Knie. Ich bin morgens schon mit Schmerzen aufgewacht und wusste, ich muss jetzt irgendwie durch das Training kommen. Dann kam auch noch ein Achillessehnenanriss dazu. Ich wollte nicht riskieren, dass ich irgendwann auf ein künstliches Knie angewiesen bin.
Frühe Rücktritte, zumindest aus der Nationalmannschaft, sind derzeit im Trend. Nach der WM in Brasilien haben Philipp Lahm mit 30 Jahren und Per Mertesacker mit 29 Jahren ihren Abschied vom DFB erklärt.
Hitzlsperger: Es gibt aber auch das Gegenbeispiel Miroslav Klose, der mit 36 Jahren noch eine WM gespielt hat. Aber es ist schon wahr, dass die körperliche Belastung durch das höhere Tempo und die größere Athletik immer härter wird. Irgendwann macht der Körper das nicht mehr mit. Deshalb ist es so wichtig, das Maximale aus den wenigen Jahren herauszuholen, die man zur Verfügung hat. Das schafft nur, wer professionell lebt.
Herr Hitzlsperger, Sie sind im Gegensatz etwa zu Lothar Matthäus immer jemand gewesen, der sein Privatleben konsequent aus den Medien herausgehalten hat. War es für Sie besonders schwer, mit einer so privaten Angelegenheit wie dem Outing an die Öffentlichkeit zu gehen?
Hitzlsperger: Ja, das ist schon etwas anderes als ein Interview über Fußball. Ich habe sehr gut überlegt, wie ich es mache. Und wann der richtige Zeitpunkt ist.
Hochrangige Sportfunktionäre haben Ihr Interview ausgesprochen gelobt. Aber ist es dann nicht verlogen, dass die nächsten Weltmeisterschaften in Russland und Katar stattfinden, wo die Rechte von Homosexuellen besonders stark eingeschränkt sind?
Hitzlsperger: Natürlich würde ich mir wünschen, dass das Thema Menschenrechte eine viel größere Rolle bei der Vergabe von solchen Großereignissen spielt. Aber das Thema Vergabe von Großveranstaltungen wäre ein eigenes Interview wert. Da werden Riesenevents veranstaltet, von denen die Leute, die dort leben, nichts haben. Auch in Brasilien gab es mit Recht entsprechende Proteste.
Sie schreiben jetzt für die Fußballzeitschrift „11 Freunde“. Wie sind denn so Ihre Erfahrungen bei Interviews mit Ihren einstigen Kollegen?
Hitzlsperger: (lacht): Ich erlebe, dass manche ganz schön unzuverlässig sind. Und dann muss alles von den Pressestellen der Vereine gegengelesen werden mit der Gefahr, dass interessante Passagen gestrichen werden. Eine gute Erfahrung.
Würden Sie eigentlich auch Spieler benoten?
Hitzlsperger: Das wird hier nicht verlangt und interessiert mich auch nicht so sehr. Ich weiß ja noch aus eigener Erfahrung, wie sehr man sich über Noten ärgern kann.
Wann erscheint Ihre Biografie? Sie wäre mit Sicherheit ein Bestseller.
Hitzlsperger: Entsprechende Anfragen von Verlagen habe ich allesamt abgelehnt. Man soll zwar niemals nie sagen. Aber derzeit ist das kein Thema. Ich habe jetzt andere Herausforderungen, die ich meistern will.