Neymar macht Brasilien Mut für das Achtelfinale gegen Chile. Auch Sorgenkind Fred wird besser. Bis zum Endspiel ist aber eine weitere Steigerung notwendig.
Brasilia. Die brasilianischen Fans lagen Neymar nach seiner bemerkenswerten Gala zu Füßen, doch dem Superstar der Selecao war so viel Huldigung schon ein wenig peinlich. „Von so einem Tag habe ich immer geträumt“, sagte Neymar nach dem 4:1 (2:1)-Erfolg gegen Kamerun, „doch das Wichtigste ist, dass wir als Team unser bestes Spiel gemacht haben. Nicht wegen des Resultats, sondern wegen der Art und Weise, wie wir gespielt haben. Niemand ist wichtiger als der andere.“
Der bescheidene Auftritt nach seiner Zaubershow auf dem Rasen des Estadio Nacional in Brasilia stand Neymar zwar gut zu Gesicht, entsprach aber nicht ganz der Wahrheit. Der 22-Jährige war nicht nur wegen seiner Turniertore drei und vier (17. und 35.) der überragende Matchwinner des Rekordweltmeisters. Schnell, trickreich, elegant – fast jede gefährliche Situation wurde vom Offensivstar des FC Barcelona initiiert. „Solche Spieler machen den Unterschied aus“, gab auch Nationaltrainer Luiz Felipe Scolari unumwunden zu. Neymar ist der große Hoffnungsträger des WM-Gastgebers auf der Jagd nach dem sechsten Titel, bei der im Achtelfinale am Sonnabend in Belo Horizonte die starken Chilenen warten. Neymar geht mit dieser riesigen Last locker um: „Ich habe immer gesagt, dass ich keinen Druck verspüre. Vielleicht fehlt mir das Sinnesorgan, mit dem man Druck wahrnimmt.“
Die brasilianischen Medien überschlugen sich mit Lob für Neymar – auch weil die Selecao gegen einen schwachen Gegner wieder nicht restlos überzeugt und nach dem zwischenzeitlichen Ausgleich durch den Schalker Joel Matip (26.) einige Probleme hatte. „Wir brauchten erneut das ungezügelte Talent Neymars“, schrieb die Zeitung Zero Hora.
Über die Außenverteidiger Alves und Marcelo ist Brasilien verwundbar
Scolari wollte den Gruppensieg durch den zweiten Erfolg im dritten Turnierspiel aber nicht alleine an Neymar festmachen. Der Coach wies auf die Leistungssteigerung der gesamten Mannschaft hin, die allerdings erst nach der Halbzeit gegen einen sich aufgebenden Gegner auszumachen war. „Es gibt ein Sprichwort: Die Natur macht keine Sprünge. Wir entwickeln uns langsam, von Tag zu Tag, von Spiel zu Spiel“, sagte Scolari fast schon philosophisch und zollte dem nächsten Gegner großen Respekt: „Wir dürfen uns nicht viele Fehler erlauben. Chile ist ein großartiges Team. Sie haben viel Qualität und sind sehr gut organisiert.“ Da passt es dem 65-Jährigen gut, dass die öffentlichen Diskussionen um seinen Stoßstürmer Fred (vorerst) beendet sind. Mit seinem Treffer zum 3:1 (49.) sorgte der umstrittene und oft kritisierte Angreifer für die Entscheidung. Sein emotionaler Jubellauf verdeutlichte, welch enorme Last von ihm abgefallen war. „Meine Ladehemmung und meine Leistungen haben mich schon genervt. Aber heute haben sich alle ein Stück weiterentwickelt, auch ich“, sagte Fred, der mit ungewohntem Schnurrbart auffiel. Neymar hatte dem Angreifer offenbar den richtigen Tipp gegeben: „Ich habe zu Fred gesagt, lass den Schnäuzer stehen, denn der macht die Tore. Und der Schnäuzer hat nicht versagt“, verriet Neymar. Und Fred kündigte an: „Mein Schnäuzer bleibt jetzt bis zum Finale.“
Bis zum Endspiel ist aber eine weitere Steigerung notwendig. Darüber konnte auch der vierte Treffer durch den eingewechselten Fernandinho nicht hinwegtäuschen (84.). Besonders über die Außenpositionen mit den Defensiven Dani Alves und Marcelo war Brasilien verwundbar. Geheimfavorit Chile wird daraus sicher mehr Kapital schlagen als die punktlosen Kameruner. „Chile wird ein schwerer Gegner, es wird ein intensives Spiel, ein großes Spektakel“, glaubt Innenverteidiger David Luiz. Nur gut, dass Neymar schon seine nächste Gala plant: „Wir sind auf dem richtigen Weg und unserem Traum wieder ein Stück nähergekommen. Ich bin bereit.“ (sid)