Am Montag benennt der Bundestrainer seinen 23-Mann-Kader für die WM. Sechs Spieler müssen zittern, gegen Kamerun können sie sich beweisen
St. Martin. Geduldig warteten sie am Übergang zum Trainingsplatz. 220 Kinder und Jugendliche waren am Freitagmorgen nach St. Martin gekommen, um sich das Training der deutschen Nationalmannschaft anzuschauen. Einen Tag vor der Abreise aus dem Passeiertal hatten die prominenten Gäste ihre Türen geöffnet, damit ihnen ihre jungen Fans endlich mal bei der Arbeit zusehen konnten. In den neun Tagen zuvor hatte die Mannschaft meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit trainiert.
Rund 90 Minuten dauerte die Einheit am Freitag. Es war die letzte im Trainingslager. Am Sonnabend fliegt der DFB-Tross von Bozen nach Düsseldorf, ehe am Sonntag in Mönchengladbach das Testspiel gegen Kamerun steigt (20.30 Uhr, ARD und Liveticker auf abendblatt.de). In dieser Partie haben die Spieler die letzte Chance, sich dem Bundestrainer noch einmal zu zeigen, eher dieser am Montag dem Weltverband Fifa melden muss, mit welchen 23 Mann er zur WM nach Brasilien fliegen wird. „Es sind immer harte Entscheidungen, die man da treffen muss. Aber sie müssen eben getroffen werden“, sagte der Bundestrainer. Noch umfasst der Kader von Löw 26 Spieler. Drei Spieler müssen also am Montag ihre WM-Träume abhaken und können in den Urlaub gehen.
Nur wer wird das sein? Vor vier Jahren, im Vorfeld der WM in Südafrika, gestaltete sich die Situation für den Bundestrainer nicht so schwierig. Weil er einen Verletzten nach dem anderen zu beklagen hatte (Michael Ballack, Christian Träsch, Heiko Westermann), musste er am Ende des Trainingslagers nur Andreas Beck von 1899 Hoffenheim die traurige Nachricht übermitteln, dass er nicht mit zur WM fliegen wird. Zwei Jahre später, also vor der EM in Polen und der Ukraine, musste Löw gleich vier Gespräche führen, „in denen ich natürlich auch gemerkt habe, wie enttäuscht die Spieler waren“, wie Löw es damals formulierte. Julian Draxler, Cacau, Marc-André ter Stegen und Sven Bender wurden vom Bundestrainer aussortiert. Und diesmal?
Obwohl Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm und Manuel Neuer in den vergangenen Tagen nur eingeschränkt trainieren konnten, wird Löw auf sie setzen. Neuer lief am Freitag neben dem Trainingsplatz auf und ab, auch Lahm, der erst im Fitnesszelt war, gesellte sich irgendwann kurz dazu. Er beendete das Training zwar früher als andere, jedoch nicht wegen Schmerzen. „Wir wollen kein Risiko eingehen. Philipp liegt im Soll. Es wird von Tag zu Tag besser. Ich bin absolut zuversichtlich“, sagte Bundestrainer Joachim Löw. Gleichzeitig versuchte er, die öffentliche Diskussion um seine angeschlagenen Spieler zu beruhigen. „Alles ist unheimlich sensibel geworden. Wenn Philipp Lahm mal einen Husten oder Schnupfen hat, droht er gleich auszufallen“, sagte Löw. Im Gegensatz zu Neuer und Lahm übte Bastian Schweinsteiger auf dem Platz mit den anderen Spielern, er vermied jedoch Zweikämpfe.
Auch Sami Khedira, der nach seinem Kreuzbandriss im November des vergangenen Jahres noch nicht wieder in Topform ist, wird wohl bei der WM dabei sein. Im Testspiel der A-Mannschaft gegen die deutsche U20-Auswahl (8:0) am Donnerstagabend war zwar nicht zu übersehen, dass ihm Spielpraxis fehlt und er noch nicht so schnell agieren kann, wie man das von ihm gewohnt ist. Aber Khedira zählt ob seiner Qualitäten zu den Spielern, die unverzichtbar für Löw sind. „Sami ist ein Spieler, der einen Leader darstellt. Er hat Charakter und Charisma und einen unheimlich großen Wert für die Mannschaft. Er ist von großer Bedeutung – auf und neben dem Platz“, sagte Löw.
Es wird, davon ist wohl auszugehen, einen der beiden jungen Innenverteidiger Matthias Ginter, 20, und Shkodran Mustafi, 22, treffen. Im Test gegen die U20, der über vier mal 20 Minuten ging, wirkten beide in den letzten 40 Minuten mit. Mustafi spielte neben Mats Hummels in der Innenverteidigung, Der Freiburger Ginter hinten rechts in der Viererkette. Hummels, Per Mertesacker und Jerome Boateng sind als Innenverteidiger gesetzt, da braucht Löw also nur noch einen.
Auch der Schalker Draxler könnte erneut durch den Rost fallen. Er hatte sich in der vergangenen Saison kurz vor der Winterpause einen Muskelfaserriss zugezogen und spielte in der Rückrunde nicht so stark wie gewohnt. Ohnehin hat Löw in der Offensive die Qual der Wahl: Er hat ein Überangebot an starken Spielern, die variabel einsetzbar sind. Toni Kroos, Marco Reus, Mesut Özil, Andre Schürrle oder Lukas Podolski, um nur einige zu nennen. Im Test gegen den deutschen Nachwuchs probierte der Bundestrainer unter anderem Thomas Müller im Angriff und Kevin Volland rechts im Mittelfeld aus. Volland ist ein Spieler mit großartiger Perspektive. Doch möglicherweise muss er sich mit einer WM-Teilnahme noch gedulden. Um die muss sicherlich auch noch Marcel Schmelzer zittern. Der Dortmunder Linksverteidiger konnte in den vergangenen Tagen wegen einer Knieprellung kaum trainieren. Ein Wackelkandidat ist ebenso der Schalker Benedikt Höwedes.
Ganz im Gegensatz zu Kevin Großkreutz. Der Dortmunder Mittelfeldspieler ist auf mehreren Positionen einsetzbar, ob auf den Außenbahnen in der Abwehr oder im Mittelfeld. Der Bundestrainer schätzt das, wie auch den Einsatzwillen von Großkreutz. Er spielt jedes Mal mit totaler Hingabe und wäre in Brasilien ein guter Joker. Trotz des Partyskandals in einem Berliner Hotel nach dem DFB-Pokalfinale gegen Bayern München muss er wohl nicht um eine Nominierung fürchten.
Mustafi, Ginter, Draxler, Schmelzer, Volland oder Höwedes hingehen schon. Die sechs Spieler sind es wohl, von denen drei am Ende nicht mit nach Brasilien fliegen dürfen.