In der Bundesliga sorgte Max Kruse zuletzt für Furore. Nun darf er während der USA-Reise für Deutschland debütieren und nach Patrick Owomoyela als erster gebürtiger Hamburger seit acht Jahren wieder das DFB-Trikot tragen.

Hamburg. Als Max Kruse am Mittwochmorgen in Frankfurt die Boeing 747 mit der Nummer LH 462 betrat, war wieder einer dieser Momente gekommen. Ein Augenblick, in dem sich der 25-Jährige gefragt haben dürfte, ob er dies alles in den vergangenen Monaten tatsächlich erlebt hat. Ein Jahr ist es erst her, dass der gebürtige Reinbeker mit dem FC St. Pauli am letzten Spieltag der Saison den Sprung auf Relegationsplatz drei und somit die Chance zum direkten Wiederaufstieg in die Bundesliga verpasste. Zwölf Monate später hob Kruse am Mittwoch um 9.55 Uhr ab, um mit der deutschen Nationalmannschaft nach Miami zu fliegen. Binnen kürzester Zeit hat sich der Offensiv-Allrounder von der Zweiten Liga zur Bundesliga-Entdeckung des SC Freiburg und nun sogar bis in den Kader von Bundestrainer Joachim Löw gespielt. "Ich bin sehr aufgeregt, denn damit geht ein Kindheitstraum für mich in Erfüllung", erklärte Kruse vor dem Abflug im Gespräch mit dem Abendblatt. "Als der Bundestrainer dann anrief, war ich sprachlos", beschreibt er seine Nominierung. "Danach habe ich sofort meine Eltern in Hamburg angerufen, das waren einfach nur Glücksgefühle."

Wenn die DFB-Auswahl am kommenden Mittwoch in Boca Raton nun auf Ecuador und am 2. Juni in Washington auf die USA trifft, wird Kruse sein Debüt in der Nationalmannschaft feiern - und nach Patrick Owomoyela als erster gebürtiger Hamburger seit acht Jahren wieder das DFB-Trikot tragen. Begünstigt dadurch, dass die Profis des FC Bayern, ein Großteil der Spieler von Borussia Dortmund sowie die Real-Stars Mesut Özil und Sami Khedira die USA-Reise auslassen. Dennoch befindet sich der frühere St. Paulianer neben den Stürmern Lukas Podolski (FC Arsenal), Miroslav Klose (Lazio Rom) und HSV-Torhüter René Adler in prominenter Gesellschaft. "Ich bin stolz, dabei zu sein. Schließlich spiele ich mit einigen der besten Fußballer Deutschlands zusammen", sagt Kruse. "Da kann ich in jedem Training noch viel lernen."

Dass der in den Vier- und Marschlanden am Elbdeich aufgewachsene Kreativspieler einmal zu jenem erlauchten Kreis von Sportlern zählen würde, schien noch vor wenigen Jahren unwahrscheinlich. Nach der fußballerischen Grundausbildung beim TSV Reinbek und dem SC Vier- und Marschlande, wo Kruse zusammen mit dem heutigen Stuttgarter Stürmer und österreichischen Nationalspieler Martin Harnik spielte, folgte 2006 der Wechsel zu Werder Bremen. In drei Jahren kam er nur einmal im Profiteam zum Einsatz. Werder verlor den Glauben an das Talent, es folgte 2009 der ablösefreie Wechsel ans Millerntor. Beim FC St. Pauli fiel Kruse zunächst vor allem durch großspurige Aussagen auf, verhielt sich wenig professionell und gab den Klassenclown. Der zweifelsohne hoch talentierte Techniker stand am Scheideweg. Unter Trainer Holger Stanislawski fand er zurück in die Spur und schaffte mit dem Club den Bundesliga-Aufstieg. Dass St. Pauli wieder abstieg, konnte Kruse in einer schwachen Erstliga-Spielzeit nicht verhindern. Mit 13 Toren war er anschließend jedoch maßgeblich an der Rehabilitation in Liga zwei beteiligt.

Kruse, der sich in den Sommerpausen 2011 und 2012 auf Mallorca mit St. Paulis ehemaligem Athletiktrainer Pedro Gonzalez privat fit machte, hatte einen Reifeprozess durchlebt, hält den Ball seither flach, anstatt große Töne zu spucken. Auch deshalb wurde der SC Freiburg 2012 auf ihn aufmerksam, verpflichtete Kruse für die fixe Ablösesumme von 500.000 Euro. Spätestens im Breisgau präsentierte sich Hamburgs Neu-Nationalspieler als Vollprofi. Dribbelstark, schnell, variabel und schussgewaltig machte Kruse deutschlandweit von sich reden. Abseits des Platzes stellt er inzwischen - ausgestattet mit den gängigen Fußballer-Zitaten - stets das Kollektiv in den Vordergrund.

Dass er maßgeblichen Anteil am Freiburger Erreichen der Europa League hatte, tut Kruse schnell ab. "Ich freue mich wahnsinnig für die Mannschaft, die sich das einfach verdient hat", sagt er im üblichen Fachjargon. Kein Wort über seine elf Tore und acht Vorbereitungen. Darüber, dass er in 34 Spielen auf dem Rasen stand, obwohl ihm vor der Saison ein Platz auf der Bank prognostiziert wurde. Kruse erarbeitete sich Anerkennung mit großen Leistungen und leisen Tönen. Die Mitspieler besangen ihn bei der Freiburger Saisonabschlussfeier mit "Kruse spielt Europa League. Auf PS3 (Playstation, d. Red.), die ganze Nacht, von zwölf bis acht". Liebevolle Häme, weil er bereits in dieser Transferperiode den nächsten Schritt auf der Karriereleiter macht und für 2,5 Millionen Euro zu Borussia Mönchengladbach wechselt.

Dorthin kommt Kruse dann als Nationalspieler. Die Urlaubspläne hat er dafür gerne hintangestellt. Schließlich sei es ein Genuss, für Deutschland auflaufen zu dürfen. Ob er sich nach der Rückkehr der Starspieler Chancen auf weitere Nominierungen ausrechnet? "Ich will mich in den USA empfehlen, und dann sehen wir weiter", sagt Hamburgs Durchstarter. Angesichts seiner rasanten Entwicklung sind Prognosen derzeit ohnehin selten zutreffend.