Hamburg. Trotz fiesen Dauerregens kommen an jenem 11. März 1962 14 000 Menschen ans Millerntor und versinken fast knöcheltief im Morast. Den Spielern ergeht es kaum besser. "Auf solchen Plätzen mussten wir öfter spielen", erinnert sich Uwe Seeler, "wir sind durch die Gegend geschlittert, die Lederbälle haben sich vollgesogen und wurden tonnenschwer." Der HSV siegt am Ende gegen den FC St. Pauli 2:1. Es war das letzte Punktspiel am Millerntor für 48 lange Jahre.
129 Kapitel umfasst das Stadtderby bislang, nur 41-mal wurde am Millerntor gespielt, zuletzt vor über zwölf Jahren. Der letzte St.-Pauli-Sieg auf eigenem Platz liegt sogar schon mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. Eine Rückschau auf ausgewählte Derbys.
Der letzte Heimsieg. 13. Februar 1960, 4:1 (Oberliga Nord): Nichts hätte das 50. Jubiläumsjahr des FC St. Pauli wohl besser einläuten können. Und Vereinspräsident Wilhelm Koch, der an diesem Tag seinen 60. Geburtstag feiert, darf sich über ein ganz besonderes Geschenk freuen. 22 000 Zahlende bescheren seinem Klub die stolze Einnahme von 50 000 Mark - ein willkommener Baustein für das zwei Monate später eröffnete neue Klubheim. Sie erleben "St. Paulis große Stunde", in der ein "völlig entnervter HSV am Millerntor unterging", wie das Abendblatt titelt. Der feldüberlegene HSV schießt die Ecken (18:2), St. Pauli die Tore. Das kleinteilige Kurzpassspiel des Tabellenführers von der Alster erweist sich auf dem schneebedeckten Boden als völlig falsche Taktik. Spätestens am Strafraum und am massiven Abwehrverbund der Platzherren um den überragenden Ingo Porges ist Endstation. St. Pauli hingegen setzt auf hohe Bälle und schnelle Konter. "Don Emilio" Schildt, Peter Osterhoff mit einem Freistoß aus 22 Metern, Rolf Bergeest und Horst Haecks per Foulelfmeter überwinden HSV-Torwart Horst Schnoor und sichern sich so Legenden-Status - als Helden in Braun-Weiß, die den bis heute letzten Millerntor-Sieg sicherstellen.
Das letzte Punktspiel. 11. März 1962, 1:2 (Oberliga Nord): extreme Platzverhältnisse für Spieler wie Zuschauer. Von Rasen auf "Hamburgs modernster Sportanlage" ("Bild") kann nur acht Monate nach der Neueröffnung keine Rede mehr sein. Eine unzureichende Drainage verwandelt das Spielfeld nach Dauerregen in eine einzige Schlammwüste - ein veritabler Skandal und eine schlimme Blamage für die Baubehörde. Im "Feuchtbiotop Millerntor" beweist der HSV den besseren Stand, Horst Dehn per Kopf und Uwe Seeler drehen nach Osterhoffs früher Führung (6.) das Spiel zugunsten der Rothosen. Knapp sieben Monate später - zum letzten Heimderby der Oberliga-Ära - zieht St. Pauli dann schon in die "große Betonschüssel" nach Stellingen um und unterliegt vor 21 000 Fans mit 1:3.
Das letzte Pflichtspiel. 2. August 1972, 1:4 (Ligapokal): Olympia macht's möglich - wegen der Spiele in München wird die Sommerpause bis Mitte September verlängert. Zur Überbrückung lässt der DFB erstmals einen Ligapokal ausspielen. In der Nordgruppe treffen sich die beiden Hamburger mit den Berliner Klubs Wacker 04 und Hertha BSC. Der HSV siegt vor 9000 Fans mit 4:1. Neben Klaus Zaczyk (2) und Peter Nogly glänzt auch Walter Krause als Torschütze. Der 19-jährige Neuzugang aus Offenbach ist der erste Mittelstürmer nach Seelers Abschied. Sein Gegenüber, "Schlangen-Franz" Gerber, verkürzt zum zwischenzeitlichen 1:2. Das Rückspiel am Rothenbaum endet torlos, der HSV holt schließlich den Pokal.
Das letzte Spiel: 26. Juli 1998, 2:3 (Freundschaftsspiel). Im Rahmen der Feierlichkeiten zu seinem 50. Geburtstag organisiert das Abendblatt dieses Benefizspiel. Zwei Mark von jedem Ticket gehen an die Aktion "Kinder helfen Kindern" und von dort an Fan-Projekte der beiden Klubs. 15 013 Besucher kommen bei fünf Treffern selbst auf ihre Kosten. St. Paulis Doppeltorschütze Marcus Marin sagt: "Ein solches Derby vor Saisonbeginn ist eine prima Sache. Aber ich hoffe, dass wir aufsteigen, dann wird es im nächsten Jahr sowieso eins geben." Der damalige HSV-Manager Bernd Wehmeyer meint: "Die Veranstaltung war ein voller Erfolg. 15 000 bei einem Testspiel, das gibt es fast nie." Doch die gute Stimmung verfliegt rasch: Nach dem Spiel kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Fans. Die Polizei nimmt 37 Personen fest und 43 in Gewahrsam. HSV-Trainer Frank Pagelsdorf bilanziert konsterniert: "Sportlich war das eine prima Sache. Aber wenn ich sehe, was danach abgelaufen ist, braucht man solche Spiele nicht mehr."
Das erste Bundesliga-Derby: 19. September 2010: Alle hoffen auf ein Fußballfest - und St. Paulis Sympathisanten auf die kleine Sensation. Gelingt nach 50 Jahren und zwölf sieglosen Spielen mit elf Niederlagen (ein Punktspiel, zehn Freundschaftsspiele, Ligapokal) wieder mal ein St.-Pauli-Sieg am Millerntor? In einem Jubiläumsjahr befinden sich die Braun-Weißen jedenfalls ...
Derbys am Millerntor: 7 St.-Pauli-Siege, 4 Remis, 30 HSV-Siege (53:135 Tore). Höchster St.-Pauli-Sieg: 1. April 1951 (5:0, Oberliga Nord). Höchste HSV-Siege: 17. März 1940 (10:1), 7. Mai 1944 (9:0).