In seinem Heimspiel in der EM-Qualifikation gegen Aserbaidschan kämpft der Kölner Nationalstürmer Lukas Podolski um Anerkennung.

Köln. Nach fußballerischer Zeitrechnung ist Lukas Podolski ein, mit Verlaub, alter Sack. Anlässlich des zweiten EM-Qualifikationsspiels gegen Aserbaidschan (20.45 Uhr/ARD und im Liveticker auf abendblatt.de ) kommt der Kölner in seiner Heimatstadt zu seinem 81. Länderspiel, was ihn immerhin auf Position 22 der Rekordeinsätze beim Deutschen Fußballbund (DFB) aufsteigen lässt. Während der 25-Jährige dafür nur sechs Jahre benötigte, brauchte Wolfgang Overath, eine andere Kölner Legende, für die gleiche Anzahl elf Jahre. "Ich freue mich, dass ich den Präsidenten einhole", sagte Podolski, "aber die Marke, die ich mir gesetzt habe, sind 100 Länderspiele."

Sein Ziel dürfte Podolski problemlos erreichen. Er muss allerdings aufpassen, nicht der erste Spieler im Klub der Hunderter zu werden, von dem man trotz sechs Turnier-Teilnahmen - nach der EM 2004 und 08, WM 2006 und 2010 sowie dem Confed-Cup 2005 - in Zukunft noch den ganz großen Durchbruch erwartet. Und das, obwohl seine Torquote mit 40 Treffern mehr als beachtlich ist und er auch in dieser Statistik als Neunter hervorragend liegt. Schließlich hat der siebtplatzierte Uwe Seeler nur 43 Tore vorzuweisen.

Denn vor seinem Heimspiel ist es mal wieder so weit. Nach einem schwachen Auftritt in Belgien setzt sich die beliebte Zweifeln-an-Podolski-Maschinerie in Bewegung, die nach folgendem Standardmuster funktioniert: Spieler P. steigt erst in Köln zum goldigen Lokalmatador Prinz Poldi und dann beim DFB zum Supertalent auf. Dann begeht er seinen ersten Fehler: Er wechselt zum FC Bayern, wo er es weder unter Ottmar Hitzfeld noch unter Felix Magath oder Jürgen Klinsmann zum Stammspieler bringt, was auf seine zweite Fehlentscheidung überleitet: seine Rückkehr nach Köln, wo der Angreifer zwar als Alleinherrscher das Zepter schwingt und ihm das Volk zu Füßen liegt, sein zum Regieren unverzichtbares Kabinett aber von minderer Qualität ist und ihm deshalb die Inspiration zur Reife, zum Erwachsenwerden fehlt. Auf nur 18 Tore in vier Spielzeiten kam Podolski in München und Köln so, was für einen Torjäger, der internationalen Ansprüchen genügen soll, eine enttäuschende Bilanz ist.

+++LÖW SETZT AUF WESTERMANN ALS JANSEN-VERTRETER+++

Zu Podolskis bisherigem Karriereverlauf gehört auch, dass er die Phasen bei der Nationalmannschaft regelmäßig zur Reinkarnation nutzen konnte: Plötzlich lebte der alte, jungenhafte Poldi wieder auf, der mit seinem Flachs nicht nur für gute Stimmung in der Mannschaft sorgte, sondern auf dem Rasen auch wichtige Tore erzielte oder vorbereitete.

Nun aber droht der Linksfuß aus seinem Wohlfühlparadies vertrieben zu werden. Podolski wartete bereits in einer Ecke des Festhallensaals Gürzenich in der Kölner Altstadt auf seinen Auftritt bei der Pressekonferenz, als Joachim Löw mit seinen Ausführungen gerade bei der Position "Leistungsprinzip" angekommen war. "Alle müssen sich diesem Prinzip unterordnen, in der Nationalmannschaft gibt es eine besondere Konkurrenzsituation, in der man sich immer wieder beweisen muss", dozierte der Bundestrainer, der Podolski am Vormittag noch zu einer Vier-Augen-Audienz geladen und mit ihm einige Spielsequenzen analysierte hatte.

"Gegen Belgien haben mir in der zweiten Halbzeit Akzente nach vorne gefehlt", sagte Löw, "aber ich wusste, dass Lukas noch nicht die gleiche Dynamik und Zielstrebigkeit wie während der WM haben würde." Trotzdem sei der 50-Jährige sicher, dass sein Spieler gegen Aserbaidschan ein Klassespiel und auch läuferisch ein anderes Engagement zeigen werde.

Natürlich, in Köln führt kein Weg am sicher maximal motivierten Podolski vorbei. Interessant wäre es gewesen, hätte der DFB dieses Länderspiel nach München oder Bremen vergeben. Auffällig, wie sehr Löw gestern die Fähigkeiten von Toni Kroos ("Sehr reif in seinem Alter") und den Wuselfaktor von Marko Marin gegen defensiv orientierte Mannschaften lobte. Die subtil vorgetragene Drohung Löws, dass die Konkurrenz im Hintergrund lauert - auch ein Marcell Jansen könnte auf Sicht im linken Mittelfeld zum Zug kommen -, dürfte Podolski nicht entgangen sein.

Und Podolski selbst? Der Stürmer entschied sich für die verbale Defensive und verzichtete auf Spaßattacken. Ja, natürlich, er wisse selbst, dass er besser spielen könne. Aber wenn er wieder in normaler Form sei, würde es schwer, an ihm vorbeikommen. Ein Satz, den Podolski während seines fünfminütigen Auftritts auf dem Podium dreimal gebetsmühlenartig runterbetete.

Was Podolski von sich gab, klang aber eher nach Stagnation als nach Aufbruchstimmung. "Zwei Niederlagen mit Köln zum Auftakt der Bundesliga sind nicht gut fürs Selbstvertrauen", gab er immerhin zu. Bleibt der Erfolg auch am Wochenende gegen den FC St. Pauli aus, ist Alarmstufe Rot schon erreicht und die Weiterbeschäftigung von Trainer Zvonimir Soldo akut gefährdet. Keine guten Rahmenbedingungen für Podolski, der, was Löw regelmäßig bewiesen hat, so dringend gute Führung benötigt, um sein Potenzial abzurufen. Kein Wunder also, dass Podolski derzeit nicht zum Scherzen zumute ist. Schließlich könnte er beim DFB bald ziemlich alt aussehen.

Die voraussichtlichen Mannschaftsaufstellungen

Deutschland: Neuer/Schalke 04 (24 Jahre/12 Länderspiele) - Lahm/Bayern München (26/72), Mertesacker/Werder Bremen (25/70), Badstuber/Bayern München (21/5), Westermann/Hamburger SV (27/20) - Schweinsteiger/Bayern München (26/82), Khedira/Real Madrid (23/13) - Müller/Bayern München (20/9), Özil/Real Madrid (21/18), Lukas Podolski/1. FC Köln (25/80) - Klose/Bayern München (32/102). - Trainer: Löw

Aserbaidschan: Agajew/Chasar Lenkoran (24 Jahre/16 Länderspiele) - Medwedew/Quarabag Agdam (20/11), R.F. Sadygow/Quarabag Agdam (28/64), Yunisoglu/FK Qäbälä (24/21), Allahwerdijew/Quarabag Agdam (26/10) - R.A. Sadygow/Quarabag Agdam (26/10), Schukurow/Anschi (27/43), Mammadow/Quarabag Agdam (22/22), Fabio Luis/FK Baku (29/15), Tschertoganow/Inter Baku (30/27) - Allijew/Quarabag Agdam (21/6) - Trainer: Vogts

Schiedsrichter: Strömbergsson (Schweden)