Deutschland besiegt nach einem Fußballfest England mit 4:1. Das Viertelfinale gegen Argentinien soll der nächste Schritt auf dem Weg ins Finale sein.

Bloemfontein. Nach 70 Minuten wackelte die Tribüne des Free State Stadiums hinter Manuel Neuer. In ihre gelben Trikots gekleidete "Bafana, Bafana"-Fans standen auf ihren Sitzen, schwenkten ihre Fähnchen, klatschten im Rhythmus der Vuzuzelas in die Hände und bejubelten ausgelassen zusammen mit den "Weißen" aus Deutschland das unwirklich erscheinende Spektakel, das sie zu sehen bekommen hatten. Die DFB-Auswahl hatte die " Three Lions " nach allen Regeln der Kunst erst ausgetanzt, dann mit dem 4:1 erlegt und den Weg nach Kapstadt ins Viertelfinale gegen Argentinien (Sonnabend, 16 Uhr im Liveticker auf abendblatt.de ) geebnet. Die 40 510 Menschen in der Arena wurden Zeugen der Geburtsstunde einer großen deutschen Mannschaft.

Im Weltfußball gab es bis gestern zwei Wahrheiten: (Groß-)Deutschland ist erst einmal, 1938, bei einer WM im Achtelfinale ausgeschieden. Und wenn Deutschland bei einer WM oder EM in den K.-o-Spielen auf England traf, dauerte ein Spiel nicht 90, sondern mindestens 120 Minuten. Wenn nicht ein Elfmeterschießen zum Weiterkommen der Deutschen nachhelfen musste. Letzterer Fakt ist seit diesem magischen Sonntag Geschichte. "Ich bin stolz auf diese Mannschaft", sagte Mesut Özil, "das war eine Superleistung. Solch ein Ergebnis schaffen nicht viele gegen England."

Vor dem ewigen Klassiker gegen den Erzrivalen gab es viele Fragezeichen über die tatsächliche Stärke dieser jungen Elf und vor allem Befürchtungen, ob die gegen Ghana noch angegriffenen Nerven halten würden. Nach den 90 Minuten gab es fast nur Ausrufezeichen. Egal, wo dieses WM-Turnier für das Team von Joachim Löw auch enden mag, schon jetzt hat es die Erwartungen übertroffen. Diese Mannschaft spielt nicht mehr deutsch, nicht nur gut organisiert, sie versucht nicht einfach, den Gegner einzuschläfern, um das gewünschte Ergebnis einzufahren, diese Mannschaft spielt, sie zelebriert einen Fußball, der höchsten Ansprüchen genügt.

Und sie hat bewiesen, dass sie das Potenzial hat, bei diesem Turnier ganz, ganz weit zu kommen. "Heute haben wir wieder ein Zeichen gesetzt. Unser Traum bleibt es, den Titel zu holen", sagte Özil so selbstverständlich, als ob es eine logische Konsequenz sei, nach dem Gewinn des U-21-Titels mit einigen seiner Mitspieler nun die wichtigste Trophäe im Fußball zu gewinnen.



Wie die Deutschen in den ersten 30 Minuten die unbeholfen wirkenden Engländer beherrschten, riss die Zuschauer, sofern sie nicht zu den rund 70 Prozent Engländern auf den Rängen gehörten, zu Beifallsstürmen hin. Es wäre zu schwelgerisch, nicht auf die Schwächeperiode nach dem unnötigen Anschlusstreffer der Engländer hinzuweisen und nicht das Glück zu erwähnen, dass das "Wembley-Tor" von Frank Lampard keine Anerkennung fand. Es wäre aber einfach ungerecht, dem Sieg durch eine krasse Fehlentscheidung seinen Glanz zu nehmen. So dominiert hat eine deutsche Mannschaft selten ein englisches Team. Angesichts dieser unbändigen Spielfreude wurden Erinnerungen wach an die EM 1972, als das deutsche Team um Günter Netzer mit seinen spielerischen Qualitäten die Welt in ähnlicher Art und Weise erstaunte. Hinzu kamen Einsatzwille, eine immense Laufbereitschaft und gestern ein hervorragendes Konterspiel, was in der Gesamtheit den höchsten Respekt erfordert. Als Arne Friedrich, die erneut unüberwindbare Berliner Mauer in der Abwehr, sagte: "Ich habe noch nie, seit ich in der Nationalmannschaft spiele, solch einen Teamgeist erlebt", ist damit eine weitere Säule des in dieser Form nicht zu erwartenden Erfolgs bei der Endrunde in Südafrika benannt.

Wenn an diesem Nachmittag aber dennoch ein Mann herauszuheben ist, dann ist es Thomas Müller. Und zwar nicht nur, weil er mit einer Torvorlage (Podolski) und zwei Treffern hervorstach. Mit diesem frech aufspielenden Münchner wächst ein neuer Weltstar in den deutschen Reihen heran, der sich aber am Rande der Spiele so unbekümmert gibt, als habe er gerade im DFB-Pokal gegen Obergiesing gewonnen. "Es freut mich, dass ich der Mannschaft helfen konnte, aber noch mehr freue ich mich darüber, dass wir als Mannschaft funktioniert haben", sagte Müller und war um Sachlichkeit bemüht. "Das perfekte Spiel war es eindeutig nicht. Wir standen sicherer und in der Defensive kompakter als gegen Ghana, haben füreinander gekämpft, aber immer noch zu viel zugelassen." Man spürte: Dieser Müller will mehr - wie die ganze Mannschaft. Dabei hat die DFB-Elf immerhin schon eine weitere Wahrheit für die nächsten vier Jahre gerettet: Seit der Finalniederlage 1966 im alten Wembleystadion gegen England haben sich die Deutschen bei einer WM immer besser platziert als die Kicker aus dem Mutterland des Fußballs.

Deutschland: Neuer - Lahm, Mertesacker, Friedrich, J. Boateng - Khedira, Schweinsteiger - Müller (72. Trochowski), Özil (83. Kießling), Podolski - Klose (72. Gomez).

England: James - Johnson (87. Wright-Phillips), Upson, Terry, Ashley Cole - Milner (64. Joe Cole), Lampard, Barry, Gerrard - Defoe (71. Heskey), Rooney.

Tore: 1:0 Klose (20.), 2:0 Podolski (32.), 2:1 Upson (37.) 3:1 Müller (67.), 4:1 Müller (70.).

Schiedsrichter: Larrionda (Uruguay).

Zuschauer: 40 510 (ausverkauft). Gelb: Friedrich - Johnson (2).