Bei Argentinien muss nicht nur Messi ausgeschaltet werden, sagt unser Kolumnist Felix Magath. Sonnabend geht es gegen die Südamerikaner.
Das war ein fast schon historisches Fußballspiel. Wer England im Achtelfinale einer Weltmeisterschaft 4:1 bezwingt, verdient höchsten Respekt. Die deutsche Mannschaft hat mich spielerisch, aber auch mit ihrer Willenskraft und ihrem Selbstbewusstsein überzeugt. Mit dem Erfolg gegen meinen WM-Favoriten hat sie ihre erste große Bewährungsprobe in diesem Turnier bestanden. Das lässt auf noch viel mehr hoffen. Dieser Sieg wird dem Team weitere Sicherheit geben. Das werden auch die starken Argentinier im Viertelfinale zu spüren bekommen.
Natürlich gäbe es jetzt auch das eine oder andere Aber einzuwenden. Die können jedoch die Leistung der Deutschen nicht wirklich schmälern. Richtig ist: Die Engländer haben sich in Südafrika nicht in jener brillanten Verfassung der WM-Qualifikationsspiele präsentiert, die alle Experten beeindruckt hatte. Ihr Ausscheiden schien absehbar. Zeitweise herrschten nach der versuchten Palastrevolution des ehemaligen Kapitäns John Terry beinahe französische Verhältnisse im Team, zum anderen fehlte ihnen ein gesunder Wayne Rooney, der mit seiner Antrittsschnelligkeit für sich und seine Mitspieler Lücken in die gegnerische Deckung reist.
Aber: Dass die Engländer unter diesen Umständen dennoch das Achtelfinale erreicht haben, spricht für ihre offensichtlich doch vorhandenen Qualitäten. Und: Keine englische Mannschaft ergibt sich ihrem sportlichen Schicksal, schon gar nicht, wenn der Gegner Deutschland heißt. Die Engländer derart souverän zu beherrschen, und das haben die Deutschen bis auf zehn Minuten vor und nach der Halbzeitpause geschafft, gelingt nur ganz wenigen Teams der Welt. Diese Vorstellung war eines Titelanwärters würdig.
Natürlich, das ist der einzige Schönheitsfehler dieses Spiels, hätte es nach dem Schuss Frank Lampards an die Unterkante der Torlatte zwischenzeitlich 2:2 stehen müssen. Dass der Weltfußballverband Fifa weiter elektronische Hilfen ablehnt, habe ich schon immer für unsportlich gehalten.
Eine Weltmeisterschaft darf nicht durch gravierende Fehlentscheidungen beeinflusst werden. Damit macht sich der Fußball vor den Augen der Weltöffentlichkeit unglaubwürdig. Es wäre zudem eine Sache des Fair Plays, regulär erzielten Toren nicht die Anerkennung zu verweigern. Ich fürchte, ich werde ein Umdenken der Fifa in dieser Angelegenheit nicht mehr erleben.
Zum Glück hat bei unseren vier Treffern der Ball derart deutlich im Netz gezappelt, dass gar keine Diskussionen aufkommen konnten. Alle vier Tore waren hervorragend herausgespielt. Keine Mannschaft kontert derart schnell und zielstrebig wie die unsere, keine hat diesen unwiderstehlichen Zug zum Tor. Mesut Özil und Bastian Schweinsteiger sind die Protagonisten dieses Stils. Sie haben das Auge und die Füße für den tödlichen Pass. Zu loben wäre auch das Spielverständnis eines Thomas Müller, der stets richtig in Stellung läuft, Torchancen erahnt und unser bisher bester Torschütze bei dieser WM ist. Bei seiner Schusstechnik hat er allerdings noch Potenzial. Aber das ist ja das Schöne an dieser deutschen Mannschaft: Sie steckt mitten in einem Entwicklungsprozess, sie beginnt erst, ihr großes Reservoir an Möglichkeiten auszuschöpfen. Auf diesem Weg werden einzelnen Spielern immer wieder Fehler, selbst grobe, unterlaufen, vor denen selbst erfahrene Profis nicht gefeit sind. Und nicht alle können ständig in Bestform sein, wie gestern unser Kapitän Phillipp Lahm, sonst eine der Stützen des Teams, der auf mich diesmal merkwürdig gehemmt wirkte.
Eine erfreuliche psychische Robustheit hat Manuel Neuer bewiesen. Er hat sich von seinem Fehler beim 1:2 nicht beeindrucken lassen, danach mehrere Glanzparaden gezeigt und, das ist besonders wichtig für einen Torhüter im Zusammenspiel mit seinen Vorderleuten, unablässig Sicherheit ausgestrahlt. Auf ihn bleibt Verlass.
Und das ist gut so. Argentinien wird vor allem für die deutsche Hintermannschaft die bisher größte Herausforderung in diesem Turnier. Es reicht nicht, Lionel Messi auszuschalten, Gonzalo Higuain und Carlos Tevez waren in Südafrika bislang weit torgefährlicher als der beste Dribbelkünstler der Welt. Da ist in jedem Moment höchste Aufmerksamkeit und gute Kommunikation untereinander gefragt. Ich traue dieser deutschen Elf jedoch zu, dass sie auch diese Aufgabe lösen wird.