Vor dem heutigen Spiel gegen Serbien verzichtet die DFB-Auswahl auf früher übliche Motivationsspielchen. Die Mannschaft will sich selbst antreiben
Port Elizabeth. - Das Gesagte ist meist trivial. Es ist eher die Geste, die zählt, wenn die deutschen Nationalspieler vor dem Anpfiff einen Kreis bilden. Es ist der Akt, aus dem sie Kraft schöpfen, wenn sie sich umarmen und die Köpfe zusammenstecken, bevor zwei, drei Spieler Dinge brüllen wie "Packen wir sie" oder "Das ist unser Ding".
Auch vor dem zweiten Vorrundenspiel heute gegen Serbien (13.30 Uhr, ZDF, Liveticker auf Abendblatt.de) in Port Elizabeth wird die deutsche Mannschaft dieses Ritual pflegen. Es ist ihr besonders in diesen Tagen heilig, in denen sie ihrem selbst gewählten Schlachtruf "Power within" folgt, also versucht, die Kraft aus sich selbst herauszuziehen.
Nun ist es nicht so, dass die Verantwortlichen die Spieler ihrem Schicksal überlassen. Dafür steht auch für Bundestrainer Joachim Löw und seine Trainerkollegen zu viel auf dem Spiel. Immerhin ist deren Zukunft über das Turnier hinaus noch ungeklärt. Aber es fällt mehr und mehr auf, dass der Einfluss auf die Spieler von außen im Vergleich zu den zwei vorangegangenen Turnieren merklich nachgelassen hat
Natürlich weisen Löw & Co. immer wieder auf die Bedeutung des Turniers hin und auf die Verantwortung gegenüber einer Nation, die sich kaum etwas sehnlicher wünscht als den vierten WM-Titel. Aber Trainer und Betreuer bedienen sich nicht mehr außergewöhnlicher Mittel, um die Spieler zu motivieren.
Das war einmal anders. Bei der WM 2006 bat Bundestrainer Jürgen Klinsmann sein Team wenige Tage vor dem Eröffnungsspiel in den Hotelgarten, wo er elf brennende Fackeln hatte aufstellen lassen. Sie sollten den Teamgeist symbolisieren und das Feuer in den Spielern wecken. Zwei Jahre später bei der Europameisterschaft hatten die Verantwortlichen das Mannschaftsquartier in der Schweiz mit großen Spruchbändern gepflastert. Dazu stand ein überdimensional großes Imitat des EM-Pokals am Pool. Es sollte die Spieler daran erinnern, wofür sie kämpfen.
Man könnte Gefahr laufen, sagt Oliver Bierhoff nun, die Spieler zu überfrachten. Allerdings hat der Teammanager auch festgestellt: "Die Jungs müssen gar nicht so viel gepusht werden. Die sind so schon fokussiert genug und tun das untereinander." So habe er direkt nach dem Spiel gegen Australien beobachtet, wie einige Profis nicht den Sieg ausgekostet, sondern über Verbesserungsmöglichkeiten diskutiert hätten.
Bierhoff fand das gut. Offensichtlich besser als seine Idee, im Teamquartier die Gefängniszelle von Nelson Mandela nachbauen zu lassen. Das Gefängnis des früheren und über 27 Jahre hinweg inhaftierten Staatspräsidenten Südafrikas sollte symbolisieren, wohin der Weg führen kann, wenn man fest an eine Sache glaubt. Zurück in die Freiheit, so wie bei Mandela - oder zu großen Titeln wie bei der deutschen Nationalmannschaft.
Doch der Plan wurde von Bierhoff verworfen. Stattdessen setzen die Verantwortlichen auf die Macht der Worte und vertrauen den Gesprächen, die sie regelmäßig mit den Spielern führen. Auch Sportpsychologe Hans-Dieter Hermann, seit 2004 ständiger Begleiter des Teams, kommt eine tragende Rolle zu. Derzeit belässt er es bei Unterhaltungen, die sich "aus der Situation heraus ergeben", wie Hermann sagt. Dabei fallen dann auch Sätze wie: "Der beste Weg zum Erfolg ist, nicht immer nur an Fußball zu denken." Nur selten wird Hermann derzeit konkret, so wie noch während der Vorbereitung Ende Mai.
Inzwischen berauscht sich die Mannschaft in erster Linie an sich selbst. Eine Gruppe, in der viele junge Spieler sind. Viele Spieler, die ihr erstes Turnier spielen. So etwas kann genauso verbinden wie das gemeinsame Ziel. "Hier ist jeder für den anderen da. Niemand tanzt aus der Reihe", sagt Verteidiger Arne Friedrich. Wirklich? "Es ist wirklich so." Selbst die Ersatzspieler fügen sich und mucken bislang noch nicht auf. Nicht einmal Tim Wiese, Ersatztorhüter und eigentlich bekannt dafür, seine Gefühle auf der Zunge zu tragen. Einmal durfte sich der Bremer über seine Ersatzrolle straffrei in der Öffentlichkeit beklagen. Seitdem hält er sich zurück.
Wieses Schweigen ist eines von vielen Indizien, die Bierhoff glauben lassen, dass eine Einheit entstanden sei. "Ich denke, das spüren auch die Menschen in Deutschland", sagt der Manager. Es hätten Spieler zueinandergefunden, die Elan, Begeisterung und Qualität haben: "Sie zeigen, was man erreichen kann und möglich ist, wenn alle an einem Strang ziehen und auf ein Ziel fokussiert sind."
Das nächste Ziel ist klar definiert: heute ein Sieg gegen Serbien.