Temperaturen sinken unter den Gefrierpunkt. Auch Bundestrainer Löw fröstelt und verordnet Mützenzwang
Pretoria. Es sind dramatische Szenen, die sich derzeit in Südafrika, dem Gastgeberland der Fußball-Weltmeisterschaft, abspielen. Eine todbringende Kaltfront hat den Südzipfel des Schwarzen Kontinents getroffen, und zahlreiche Opfer sind zu beklagen. Rund 500 Jungtiere der seltenen Afrikanischen Pinguine (Spheniscus demersus) sind in zwei Nationalparks erfroren, vermelden die Nachrichtenagenturen. Und es drängt sich bei dieser Schreckensmeldung die Frage auf: Wenn Pinguine erfrieren, wann trifft es dann den ersten Fußballer?
Willkommen bei den Winterspielen aus Afrika, der kältesten WM aller Zeiten. Aus dem ganzen Land wurden bereits erste Schneefälle gemeldet, am Quartier der deutschen Nationalmannschaft in der Höhenlage von Pretoria zeigte das Thermometer gestern Nacht minus ein Grad.
Und es soll noch schlimmer werden. "Extreme Kälte" kündigte der südafrikanische Wetterdienst für die Provinzen Gauteng mit Johannesburg und der Hauptstadt Pretoria sowie Free State mit dem Spielort Bloemfontein an. "Wir erwarten starken Frost", sagte Meteorologin Elke Brouwers. Nun mag der Begriff "starker Frost" aus dem Mund einer Südafrikanerin eine andere Bedeutung haben als bei einem deutschen Kollegen. Aber für eine - aus europäischer Sicht - Sommerveranstaltung ist es wirklich lausig kalt in Südafrika. Auch im Hotel der deutschen Nationalmannschaft "Velmore Grande" in der Nähe von Pretoria.
Dick verpackt schlichen die deutschen Spieler über das Gelände, obwohl auch gestern die Sonne vom makellos blauen Himmel schien. Doch ihre Kraft ist begrenzt, im Schatten schaffen es die Temperaturen kaum über zehn Grad. Sobald die Sonne untergegangen ist, und das tut sie gegen 18 Uhr, überfällt der Frost das Land. Kein Wunder, dass die Nationalspieler in den vergangenen Tagen das Angebot von Hoteldirektor Heinz Mulder gern annahmen. "Wir haben ihnen zusätzliche Heizelemente für ihre Zimmer zur Verfügung gestellt", sagte Mulder. Es sei tatsächlich ungewöhnlich kalt derzeit, aber die Spieler hätten es warm und kuschelig in ihren Zimmern, beteuerte Mulder.
Delegationsmitglieder, die in einem anderen Hotelteil als dem neu erbauten Spielertrakt untergebracht sind, berichten hingegen von Heizlüftern, die vergebens gegen die einströmende Kaltluft ankämpfen. Das Problem ist, dass in Südafrika die meisten Häuser keine umfangreichen Heizungssysteme haben wie in Mitteleuropa, nur elektrisch betriebene Radiatoren oder Gasöfen. Bei einer Betriebsdauer von rund zwei Monaten im Jahr würde sich eine solche Installation nicht rechtfertigen. Das Trainerteam um Joachim Löw hat reagiert und verordnete seinen Spielern ab sofort erhöhte Aufmerksamkeit. Warme Kleidung ist ebenso vorgeschrieben wie das Haareföhnen nach dem Duschen. Auch die Tragepflicht von Mützen nach Trainingseinheiten wurde ausgegeben. Bloß keine Infektionswelle riskieren, lautet das Motto, Bastian Schweinsteiger musste bereits mit einer Atemwegserkrankung mit dem Training aussetzen, auch gestern fehlte er. Sein Einsatz gegen Serbien soll allerdings nicht gefährdet sein. "Wir hoffen, dass sich jeder die Tipps ins Gedächtnis ruft, die sie früher von ihren Müttern bekommen haben, wenn es kalt war", scherzte Co-Trainer Hans-Dieter Flick. Marko Marin hat bereits eine zusätzliche Bettdecke geordert.
Nun sind Temperaturen von zehn Grad oder weniger für Bundesligaspieler fast alltäglich. Und selbst der Nachtfrost lässt sich mit ein paar Daunendecken durchaus ertragen. Allerdings werden sich Podolski und Kollegen auf stark wechselnde Bedingungen einstellen müssen. Ist es in ihrem Quartier derzeit kalt, aber freundlich, erwartet sie morgen ein ganz anderes Klima. Wenn um 13.30 Uhr in Port Elizabeth das zweite Gruppenspiel gegen Serbien angepfiffen wird, werden dort nach Wetterprognose 19 Grad herrschen. Da die Stadt an der Westküste von den Einheimischen allerdings "the windy town" genannt wird, kann die gefühlte Temperatur deutlich abweichen. Gestern jedenfalls peitschen Sturmböen über Port Elizabeth hinweg.
Die Deutschen sind natürlich nicht die einzigen, die mit dem "black frost", wie die trockene Kälte hier genannt wird, zu kämpfen haben. Im Gegenteil: Vielleicht erweist sich die klimatische Flexibilität der Spieler von Bundestrainer Löw sogar als Vorteil. Eine südländische Mannschaft wie Brasilien beispielsweise tat sich am Dienstagabend enorm schwer mit den Temperaturen und Gegner Nordkorea. Die Fans auf den Tribünen hatten sich mit teilweise abenteuerlichen Konstruktionen gegen die Kälte gewappnet. Sie wickelten sich ihre Schals um den Kopf, funktionierten die Vuvuzelas zu Handschuhen um und rückten zusammen wie die Hühner auf der Stange. Auch die brasilianischen Betreuer und Reservisten sahen in ihren bis zu den Knien reichenden Daunenmänteln eher wie eine Polarexpedition als wie eine Fußballmannschaft aus. Die Zeitung "The Star" aus Kanada berichtete gar, dass bei dem Spiel ein Kakaoverkäufer von einem frierenden Mob gejagt wurde, obwohl er sein Heißgetränk bereits abverkauft hatte und laut "empty, empty" ("leer, leer") schrie. Nach dem Spiel mussten die Frontscheiben der Busse freigekratzt werden.
Zur Kälte kommt auch noch teilweise monsunartiger Regen. Während ein Schauer wie vor dem Spiel der Italiener gegen Paraguay am Montag in Kapstadt bei sommerlichen Temperaturen noch seinen Reiz haben mag, war er bei fünf Grad eine wahrlich kalte Dusche. Wegen anhaltender Niederschläge musste in der Küstenstadt Knysna gar das Training der dänischen Nationalmannschaft abgesagt werden, beide Trainingsplätze waren völlig überschwemmt. Auch das Abschlusstraining der deutschen Mannschaft kann nicht im Stadion von Port Elizabeth stattfinden, weil der Platz zu schlecht ist.
Während also Fans und Spieler einträchtig bibbern, können sich die Fernsehzuschauer in Deutschland freuen. Das Vuvuzelagetröte hat wegen der Kälte deutlich nachgelassen. Hier braucht man seine Kraft für andere Dinge.