Im Rückspiel in Lyon setzt der FC Bayern München heute Abend (20.45 Uhr im Liveticker auf abendblatt.de) wieder auf Mark van Bommel.

Lyon. Es gibt inspirierendere Orte als jenes schmucklose Hotel am Lyoner Flughafen, dass der FC Bayern für seine dreitägige Reise gewählt hatte. Nur ein Parkplatz trennt das Vier-Sterne-Haus von der Ankunftshalle, insofern mögen logistische Gründe die Wahl der Unterkunft begünstigt haben. Die Anreise jedenfalls war für die Münchner eine der unstrapaziösesten in der Champions-League-Geschichte, die 300 Meter vom Flughafen zum Hotel ließen sich die Profis dennoch mit dem Bus chauffieren. Angesichts der zu erfüllenden Mission ist die Fokussierung verständlich. Die Bayern sind nach Lyon gekommen, um heute (20.45 Uhr/Sat.1 und Liveticker bei abendblatt.de) den Einzug ins Champions-League-Finale perfekt zu machen. Es wäre ihr erstes internationales Endspiel seit dem Triumph 2001. "Wir sind im Vorteil, weil wir das Hinspiel 1:0 gewonnen haben", sagte Mark van Bommel, "aber ich schätze Lyon hoch ein, weil sie sehr heimstark sind."

Ihren Kapitän hatten die Münchner gestern auf das Podium zur Pressekonferenz beordert. Im Hinspiel hatte er noch gelbgesperrt aussetzen müssen. Und nicht nur angesichts der personellen Engpässe dürfte Louis van Gaal der munter plaudernde van Bommel wie ein Segen erscheinen.

Der Kapitän ist der Dirigent des geordneten Rückzuges

Die eine oder andere Personalrochade hätte van Gaal ohnehin vornehmen müssen, weil Franck Ribéry und Danijel Pranjic heute gesperrt fehlen. Doch weit größeres Kopfzerbrechen dürften van Gaal die malad angereisten Defensivkräfte Martin Demichelis (Zerrung), Daniel van Buyten (Prellung) und Diego Contento (Prellung) bereiten. Über ihren Einsatz wird kurzfristig entschieden. Und weil sich gestern auch noch der zum Ersatz-Verteidiger umgeschulte Anatolij Timoschtschuk mit Magen-Darm-Problemen und Stürmer Miroslav Klose mit einem grippalen Infekt abmeldeten, ist Rückkehrer van Bommel umso mehr gefordert. "Er ist ein sehr wichtiger Spieler. Er ist mein Kapitän", sagte van Gaal über van Bommel. "Ich denke, das sagt genug darüber aus, was ich von ihm halte."

Van Bommel ist der Kopf der Mannschaft und als defensiver Part im Mittelfeld der Dirigent des geordneten Rückzugs. Seine Anweisungen auf dem Platz sehen mitunter so aus, als gebe er den Flugbegleiter und zeige in der Sicherheitsbelehrung die Notausgänge. Er sagt: "Ich denke viel über Fußball nach." Und so spielt er auch. Er ist kein Instinktkicker wie Ribéry und Robben, die mit irrwitzigen Dribblings zaubern, er ist ein Fußballdenker, der Trainer auf dem Platz. Einer, der sieht, ob jemand einen Meter weiter nach links oder rechts muss, und der das auch lautstark mitteilt. "Wenn alle wissen, was sie tun müssen, dann kann man auch die Großen schlagen", sagt er. Dieser Satz hätte auch von seinem Vorgesetzten kommen können. Vom spielerischen Grundverständnis jedenfalls sind sich van Gaal und van Bommel äußerst ähnlich.

Immer wieder wird van Bommel mit Stefan Effenberg verglichen, dem Kapitän der 2001er-Elf. Van Bommel gefällt das, weil er Effenberg schätzt, weil er einer ist wie Effenberg. Einer, der auch mal härter zur Sache geht. "Solche Typen sind unabkömmlich, sie sind wahre Leader", sagt Giovane Elber. "Er ist unglaublich wichtig, auch außerhalb des Platzes", sagt Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge.

Van Bommel ist in der Lage, ein Spiel zu be- und entschleunigen

In der öffentlichen Wahrnehmung jedenfalls hat van Bommel eine Metamorphose vollzogen. Im Sommer 2008 ernannte ihn Jürgen Klinsmann zum Kapitän, kurz darauf beorderte er ihn auf die Bank. "Meine schwierigste Zeit", sagt van Bommel. Sein Abschied schien wahrscheinlich, weil die Münchner im Winter auch noch Timoschtschuk verpflichteten. Doch van Bommel blieb. Und mit der Inthronisierung van Gaals stieg auch seine Wertschätzung. "Van Bommel bleibt mein Kapitän, und bei mir spielt er immer", sagte van Gaal.

Nun steht sein Kapitän als Sinnbild für die wundersame Saison des FC Bayern, die so holprig begann und jetzt große Chancen hat, als historisch eingestuft zu werden. Vielleicht komme jetzt die Anerkennung, die er in den vergangenen Spielzeiten nicht in gebührendem Maße erhalten habe, sagt er.

Noch nicht allzu lang her ist jene Zeit, da galt er ausschließlich als Aggressiv-Leader, wie ihn Ottmar Hitzfeld taufte. Da wurde übersehen, dass van Bommel auch in der Lage ist, ein Spiel zu be- und entschleunigen. Mitunter ging er äußerst rigoros zur Sache, nicht immer frei von unschönen Fouls oder Gesten. Einige Platzverweise hat ihm das beschert, in dieser Saison ist er noch frei von diesen Bestrafungen. "Komische Dinge" nennt er seine Aktionen, die so gar nicht zu seinem Habitus außerhalb des Platzes passen. Er parliert mit feinsinnigem Humor, manchmal optimistisch wie ein Trainer - wie gestern, als er über die Sorgen in der Defensive sprach. Nicht nur die vier Abwehrspieler verteidigen, sagte er, sondern die gesamte Mannschaft. Überhaupt: "Wenn wir sechs Tore bekommen, aber fünf schießen, bin ich zufrieden."