Christian Nerlinger setzt auf eine neue Siegesserie, ist gegen die Doppelfunktion von Siegenthaler und zieht nicht in das Büro von Hoeneß.

München. Er war auf dem Weg zum großen Star, doch viele Verletzungen warfen ihn immer wieder zurück. Daher beendete er schon mit 32 Jahren seine aktive Karriere. Jetzt hat Christian Nerlinger die Nachfolge von Uli Hoeneß, dem erfolgreichsten Manager der Bundesliga-Geschichte, angetreten.

Abendblatt: Herr Nerlinger, am Sonntag empfängt der FC Bayern im Topspiel der Bundesliga den HSV. Wie angespannt sind Sie vor diesem Duell?

Christian Nerlinger: Für uns ist es ein sehr wichtiges Spiel. Wir müssen gewinnen, gar keine Frage. Denn ich rechne damit, dass unser großer Konkurrent Bayer Leverkusen gegen den 1. FC Köln eher ein Schützenfest feiern wird.

Abendblatt: Macht Ihnen Bayer wirklich so viel Sorgen? Bislang konnte man sich seitens des FC Bayern immer darauf verlassen, dass Leverkusen am Ende noch einbricht.

Nerlinger : Das wird diesmal nicht passieren, dafür ist Bayer in dieser Saison zu stabil. Wir sollten daher in dieser Spielzeit kein Spiel mehr verlieren, wenn wir unser erklärtes Ziel, den Titel, nicht gefährden wollen. Ausrutscher sind verboten.

Abendblatt: Trauen Sie dem HSV auf Sicht zu, dass er wie in den Siebziger-, Achtzigerjahren wieder zum großen Konkurrenten des FC Bayern wird?

Nerlinger : Langfristig auf jeden Fall. Der HSV hat in den letzten Jahren eine sehr gute Transferpolitik gemacht. Aber der Weg nach oben führt nur über die Champions League. Hamburg braucht diese Einnahmen. Sollte es in dieser Saison nicht klappen, wird es vor allem am unglaublichen Verletzungspech liegen. Aber mir gefällt, dass Bruno Labbadia nie lamentiert.

Abendblatt: Ab August erhält er Unterstützung durch den neuen Sportchef Urs Siegenthaler ...

Nerlinger : Ich bin ihm nur einmal flüchtig begegnet, kann ihn nicht beurteilen.

Abendblatt: Er soll weiter für den DFB Gegner der Nationalmannschaft beobachten.

Nerlinger : Ich halte das für eine unglückliche Konstellation. Da entsteht sehr leicht ein unguter Beigeschmack. Nach meiner Ansicht ist man als Sportchef bei einem Klub wie dem HSV auch mehr als ausgelastet. Wie übrigens auch als Chefscout beim DFB.

Abendblatt: Urs Siegenthaler soll beim HSV vor allem für eine bessere Nachwuchsarbeit sorgen. Mit etwas Neid schaut der Vorstand derzeit auf die Bayern, die mit Badstuber und Müller ja wieder zwei neue Profis aus dem eigenen Nachwuchs ins Profiteam integriert haben.

Nerlinger: Unsere Ausbildungsarbeit ist in der Tat top. Auch die HSV-Profis Trochowski, Guerrero und Jarolim kommen ja aus unserer Schule. Und denken Sie an Lahm und Schweinsteiger, die zur absoluten europäischen Spitze zählen.

Abendblatt: Die Bayern haben aber dennoch den Ruf eines Vereins, der sich einfach jeden Spieler leisten kann. Ist das nicht ein Widerspruch?

Nerlinger: Nein, denn es geht auch nicht ohne die Robbens und Ribérys. Der FC Bayern wird immer ein Klub bleiben, der solche absoluten Ausnahmespieler verpflichten wird. Aber inzwischen ist der Markt auch für eher durchschnittliche Spieler völlig überhitzt. Da ist es unser Ziel, dass wir konsequent auf Spieler aus der eigenen Jugend setzen. Und zum Glück haben wir mit Louis van Gaal einen Trainer, der diesen Weg mitgeht.

Abendblatt: Das hätten wir bei van Gaal gar nicht gedacht. Er steht doch in dem Ruf, dass er mit Weltstars arbeiten will.

Nerlinger: Schauen Sie sich einen Clarence Seedorf an. Den hat er bei Ajax Amsterdam als 16-Jährigen in die erste Mannschaft geholt Damals ist er mit einer ganz jungen Mannschaft und vielen Spielern aus dem eigenen Nachwuchs Europacupsieger geworden. Auch einen Iniesta setzte van Gaal in Barcelona ein - für ihn musste ein Weltstar wie Riquelme auf die Bank. Nein, Louis van Gaal steht für unser Ausbildungskonzept.

Abendblatt: Am Anfang hat es aber ganz schön gehakt. Der FC Bayern hatte einen schlechten Saisonstart.

Nerlinger: Wir haben aber schon damals gesehen, wie intensiv van Gaal arbeitet. Das musste zwangsläufig zum Erfolg führen. Aber ich gebe zu, es hat länger gedauert, als wir alle dachten. Aber jetzt sehen wir seine Handschrift.

Abendblatt: Aber er ist ganz schön arrogant, oder?

Nerlinger: Nein, er ist selbstbewusst. Und ohne dieses Selbstbewusstsein hätte er seinen Erfolgsweg als Trainer auch nicht gehen können.

Abendblatt: Aber es spricht doch Bände, dass er sich sogar von seinen Töchtern siezen lässt. Dürfen Sie ihn eigentlich duzen?

Nerlinger: Mir hat er das Du nach ein paar Tagen angeboten. Ich komme wirklich gut mit ihm aus. Louis ist intelligent und hat ein gutes Gespür für Menschen.

Abendblatt: Und wie verstehen Sie sich mit Ihrem Vorgänger Uli Hoeneß? Kann er sich aus dem Alltagsgeschäft wirklich heraushalten? Oder mischt er doch noch bei jedem Transfer mit?

Nerlinger: Nein, Uli hat sich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Wissen Sie, was mich am meisten überrascht hat?

Abendblatt: Erzählen Sie es uns.

Nerlinger: Dass er sich nie mit seinen großen Erfolgen schmückt, auf die er nun wirklich stolz sein könnte. Uli hat mir auch noch nie einen Fehler vorgeworfen. Stattdessen erzählt er mir oft von seiner schwierigen Startphase als Manager vor drei Jahrzehnten. Von Entscheidungen, die er jetzt mit all seiner Erfahrung anders treffen würde.

Abendblatt: Sind Sie eigentlich in sein Büro gezogen?

Nerlinger: Nein, Uli hat sein Büro behalten. Ich arbeite in einem Raum direkt nebenan. Und das ist auch gut so. Ich möchte mein Büro mit Leben und Erfolgen füllen.

Abendblatt: Sie sind ein ganz anderer Typ als Uli Hoeneß. Ruhiger, nicht so emotional.

Nerlinger: Ich will auch keine Kopie von Uli werden, das wäre sowieso unmöglich. Ich will meinen eigenen Weg gehen.

Abendblatt: Sie mussten schon harte Entscheidungen treffen. Breno und Ottl haben Sie mitgeteilt, dass es für den FC Bayern vorerst nicht reicht. Sie spielen in Nürnberg, Baumjohann haben Sie nach Schalke verkauft. Belasten Sie solche Gespräche?

Nerlinger: Nein, die Spieler werden ja danach nicht zu Sozialhilfe-Empfängern. Sie verdienen ja auch weiter auf sehr hohem Niveau. Wichtig ist nur Offenheit und Klarheit. Ich habe mit den betroffenen Spielern sehr direkt geredet.

Abendblatt: Inwieweit hat Sie dabei Ihre aktive Zeit geprägt?

Nerlinger: Sehr. Schauen Sie, ich habe als Spieler viele Höhen und Tiefen erlebt. Ich habe mit dem FC Bayern Titel gewonnen, bin sogar Nationalspieler geworden. Aber ich war auch mal sechs Monate verletzt und bin dann beim Comeback durch einen Muskelfaserriss wieder zurückgeworfen worden. Ich kann mich in die Lage der Spieler wirklich hineinversetzen.

Abendblatt: Wegen Ihrer vielen Verletzungen mussten Sie Ihre aktive Karriere schon mit 32 Jahren beenden. War das ein bitterer Abschied?

Nerlinger: Im Gegenteil. Es war eine Befreiung. Der Entschluss, meinen Vertrag aufzulösen, hat mich zu einem neuen Menschen gemacht. Ich wusste, dass mein Körper nicht mehr mitspielt. Außerdem hat dies meinen zweiten Lebensweg sehr erleichtert.

Abendblatt: Sie haben nach dem Ausstieg studiert.

Nerlinger: Internationale Betriebswirtschaftslehre an der Munich Business School. Ich glaube nicht, dass ich noch die Kraft für ein solches Studium gehabt hätte, wenn ich erst mit Ende 30 aufgehört hätte.

Abendblatt: Hilft Ihnen das Studium bei Ihrem jetzigen Job?

Nerlinger: Ja, auf jeden Fall. Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, Spezialisten hinzuzuziehen. Große Entscheidungen werden immer im Team getroffen.

Abendblatt: Wie etwa bei der Verpflichtung von Arjen Robben. Haben Sie da auch insgeheim gedacht, hoffentlich geht das bei dieser gigantischen Ablöse von geschätzten 28 Millionen Euro nicht schief, zumal Robben ja auch als ziemlich verletzungsanfällig galt?

Nerlinger: Nein. Ich war von diesem Transfer zu 100 Prozent überzeugt. Ich wusste, dass unsere medizinische Abteilung ihn hinkriegen wird. Und seine Verpflichtung hat sich jetzt schon ausgezahlt. Aber eines kann ich Ihnen versprechen. Ich werde niemals unverantwortliche Risiken eingehen. Der FC Bayern hat in den vergangenen Jahren immer profitabel gearbeitet. Daran wird sich auch in meiner Amtszeit nichts ändern.

Abendblatt: In der Branche wird vor allem über die zu hohen Beraterhonorare geklagt.

Nerlinger: Die Höhe ist nicht das Problem, sondern das System. Wir müssen endlich erreichen, dass die Spieler ihre Berater selbst zahlen, nicht der Verein. So wie jeder normale Bürger seinen Steuerberater auch selbst zahlt. Das wird ein schwieriger Weg, wäre aber logisch und würde Transparenz in die Branche bringen.. Aber wenn sich die Klubs international einigen, keine Provisionen mehr zu zahlen, ist das machbar.

Abendblatt: Herr Nerlinger, Ihr Vorgänger Uli Hoeneß war drei Jahrzehnte lang im Amt. Können wir schon mal ein Gespräch für das Jahr 2040 anmelden?

Nerlinger (lacht): Gern, aber eine so lange Amtszeit ist in der heutigen Zeit illusorisch. Aber ich möchte schon so lange wie möglich bleiben. Ich bin kein Wandervogel.