Der verletzte HSV-Profi setzt alles daran, um seine WM-Tauglichkeit für den 23er-Kader zu beweisen. Sein Optimismus ist ansteckend.
Sciacca. Marcell Jansen ist ein lieber Kerl. Um das zu wissen, reicht ein 15-Minuten-Gespräch. Egal zu welcher Zeit, egal an welchem Ort. Diesmal heißt er Sciacca, Sizilien. Der Händedruck ist fest, die Augen blitzen, das Lachen steckt an. Seine Welt ist sowieso schön, aber auf Sizilien leuchtet sie noch ein bisschen schöner.
Nach seinem Syndesmoseriss im linken Knie vor zwei Monaten bleiben Jansen noch elf Tage, um Bundestrainer Joachim Löw seine WM-Tauglichkeit zu beweisen. Dass er den Wettlauf bis zum 1. Juni, dem Stichtag für den 23er-Kader, als Sieger beenden wird, daran besteht für ihn kein Zweifel. Nur ein paar Prozente fehlen noch, prognostiziert der Profi in Diensten des HSV, "bis es wieder voll geht".
Wenn die Nationalmannschaft mit ihm an Bord am 6. Juni nach Südafrika "rüberfährt" (Jansen), wäre er als 24-Jähriger bereits beim dritten großen Turnier dabei. Die gravierenden Veränderungen der Kaderstruktur überraschen ihn selbst am meisten. "Bei der WM 2006 und der EM 2008 war ich der Jüngste, jetzt liege ich gut in der Mitte. Wahnsinn, da fragt man sich: Häh, wie geht das denn bitte?"
Jansen ist keiner, der sich Warmreden muss, ihm wurde ganz offensichtlich von der Schöpfung eine Direktleitung von seinem Herzen zu den Sprachorganen gelegt, die seine Gedanken wasserfallartig sprudeln lässt. Was gelegentlich einen Mangel an Struktur zur Folge hat, womit er sich aber wohltuend von den eingeübten, glatt polierten Wortstanzen anderer Fußballer abhebt. "Früher waren immer die dabei, die eh schon lange dabei waren" klingt komisch und ist es auch, macht aber trotzdem Sinn, schließlich muss Bundestrainer Joachim Löw mit der Nationalmannschaft einen radikalen Umbruch bewältigen und in Rekordzeit eine homogene Gemeinschaft bilden.
Außerdem zeigt sich in solchen Wendungen seine rheinländische Herkunft, da es in den Kneipen seiner Heimat Mönchengladbach nicht "Stammtisch" heißt, sondern geschrieben steht: "Hier sitzen die, die immer hier sitzen." Wenn der DFB heute Vormittag von Palermo nach Verona fliegt, um von dort mit dem Bus zum zweiten Trainingslager nach Eppan an der Südtiroler Weinstraße zu fahren, fällt für Jansen und seine Konkurrenten der Startschuss für die abschließende Qualitätsprüfung vor der Nominierung des 23er-Kaders am 1. Juni.
In Jansens Welt bleibt der Druck allerdings überschaubar: "Das ist im Mannschaftssport so, sonst hätten wir alle Tennis spielen müssen." Für ihn ist es kein Problem zu sagen: Ja, das ist mein Konkurrent, aber ich kann trotzdem mit ihm ohne Probleme an einem Tisch sitzen und zusammen lachen. In einem vernünftigen Klima müsse eben jeder Spieler einfach nur im positiven Sinne auf sich schauen und im Sinne des Teams an die Grenze gehen. Punkt.
"Die Einstellung, die Art und Weise, wie man an so ein Turnier herangeht, ist das Wichtigste", nennt Jansen den Treibstoff für den Erfolg, "die Fans wollen sehen, dass wir als Mannschaft an die Leistungsgrenze gehen, alles schlüssig harmoniert." Den Erfolg bei einer Endrunde zu definieren, hat er sich abgewöhnt. "Du kannst ins Halbfinale oder ins Endspiel kommen, aber auch trotz eines Riesenspiels gegen eine Granatenmannschaft ausscheiden. Das geht nicht wie in der Bundesliga, wo man sagen kann: Vom Material her musst du unter die ersten Fünf."
Vor vier Jahren durfte Jansen das WM-Spiel um Platz drei gegen Portugal bestreiten, bei der EM 2008 verlor er nach dem 1:2 gegen Kroatien und einer Trainingsverletzung seinen Stammplatz, stand aber im Endspiel gegen Spanien in der zweiten Halbzeit auf dem Platz.
Das Turnier hat ihn vor allem zwei Dinge gelehrt: Dass er erstens auch als Linksverteidiger auf höchstem Niveau mithalten, defensiv gut stehen und gefährliche Situationen einleiten konnte - schließlich plant ihn Löw in erster Linie auf dieser Position ein, obwohl er zuletzt beim HSV im linken Mittelfeld auflief. Und zweitens, dass er einfach auch das nötige Glück braucht: "Du kannst noch so viel Obst und Salat essen oder Knochen aus Eisen haben. Wenn du dann im Training einen Unfall hast und blöd hinfällst, dann machste halt nichts mehr."
Wahrheiten des Marcell J., die so einleuchtend wie einfach sind und dem Linksfuß zu einer stabilen, von Optimismus geprägten Psyche verhelfen. Kein Wunder, dass er noch sagt: "Mein Traum, Ziel und Ehrgeiz ist die WM. Aber gelohnt haben sich diese Tage auf Sardinien mit der Nationalmannschaft so oder so, auch für die neue Saison." Sizilien, Herr Jansen, Sizilien! Sardinien war 2008...