Nach dem Großen Preis von Österreich wächst sich die WM zu einem Dreikampf aus. Hamilton soll eine Schmerzempfindlichkeit helfen.
Im Sanatorium Silverstone will der angeschlagene Lewis Hamilton im WM-Kampf mit dem enteilenden Sebastian Vettel zu frischen Kräften finden. Nach der Schadensminimierung von Spielberg und den sich häufenden technischen Problemen an seinem Mercedes hofft der Brite bei seinem anstehenden Heim-Grand-Prix auf die Wende.
„Ich habe keine Kristallkugel und im Moment sieht es auch nicht toll aus. Mit einem Rennen könnte es sich drehen, aber je mehr der Abstand wächst, desto höher wird der Druck“, räumte Hamilton ein, der in England dreimal nacheinander gewonnen hat. „Hoffentlich kann ich Silverstone als Sprungbrett für die zweite Saisonhälfte nutzen.“
Hamilton bewies nicht zuletzt im WM-Dauerduell mit Nico Rosberg Comebackqualitäten. „Ich hatte schon andere Jahre, die schwer waren“, beschwichtigte er. „Das waren aber Gelegenheiten zu wachsen und etwas Besonderes zu schaffen.“
Pressestimmen zum Großen Preis von Österreich
Lauda stellt eine Forderung an Mercedes
Mercedes sieht sich nun gefordert. „Wir haben ihn mit der Nackenstütze hängen lassen, wir haben ihn mit dem Getriebe hängen lassen, jetzt ist es Zeit zurückzuschlagen“, sagte Teamchef Toto Wolff nach Hamiltons Aufholjagd in Spielberg, wo er noch Platz vier rettete. In Aserbaidschan hatte den Briten nach Vettels Wutrempler eine lockere Kopfstütze den möglichen Sieg gekostet, in Österreich wurde er wegen eines unerlaubten Getriebewechsels strafversetzt.
Vettels Ferrari beweist sich hingegen als zuverlässig. „20 Punkte ist schon ein Haufen“, meinte Mercedes-Teamaufsichtsrat Niki Lauda zum Vorsprung des deutschen WM-Spitzenreiters auf Hamilton. „Mercedes muss jetzt nachlegen ohne Ende, um das wieder aufzuholen.“
Eine gewisse Schmerzempfindlichkeit soll Hamiltons Faustpfand für den erhofften Umschwung werden. „Lewis wäre nicht so erfolgreich, wenn er die Schmerzen nicht so sehr empfinden würde, wenn er einen schlechten Tag hat und verliert“, dozierte Wolff.
Vettel nölt wegen Bottas
Grund zum Meckern fand wieder Vettel, der bis auf 0,6 Sekunden an Gewinner Valtteri Bottas dran war. Ein angeblicher Frühstart des Mercedes-Manns ließ ihm keine Ruhe. „Ich glaube, der Mensch kann reagieren, da gibt es aber eine Grenze, wie schnell er reagieren kann“, nölte Vettel, dem Bottas' Start mit einer raketenhaften Reaktionszeit von 0,201 Sekunden „übermenschlich“ vorkam. „Das war fast wie Science Fiction“, schrieb die spanische Zeitung „Sport“.
Die Rennkommissare erkannten über den Transponder im Auto und den Bewegungssensor im Asphalt aber keine Regelwidrigkeit. „Wenn ich sage, ich glaube etwas nicht, dann glaube ich es auch nicht“, beharrte der Ferrari-Fahrer uneinsichtig. Bottas bewegte der FIA zufolge seinen Silberpfeil in der Startbox tatsächlich geringfügig zu früh, doch innerhalb des erlaubten Spielraums. „Die Jammerei von Sebastian versteh ich nicht“, entgegnete Lauda kühl.
Bottas robbt sich an Hamilton heran
Wenn Nörgelei Vettels Gradmesser für seine WM-Gier ist, befindet er sich auf einem guten Weg. Nach seiner Rempelei in Baku gegen Hamilton gab sich der Deutsche in Österreich auf dem Asphalt ganz zahm und steuert immer weiter seinem fünften Championat entgegen. „Mit ein bisschen Abstand schau ich zurück und sage, es war ein sehr, sehr schönes Wochenende“, resümierte Vettel versöhnlich. Die „Gazzetta dello Sport“ indes sah „eine vergebene Chance“.
Bottas fehlen nach seinem zweiten Formel-1-Sieg nur noch 15 Punkte auf Hamilton, 20 weitere auf Vettel. Bottas ist nun zumindest als Außenseiter im WM-Rennen dabei. Seit wann er daran glaube, wurde der frühere Williams-Mann gefragt, die WM gleich in seinem ersten Silberpfeil-Jahr gewinnen zu können? „Seit ich bei Mercedes einen Vertrag unterschrieben habe“, gab Bottas lachend zurück. „Was sonst soll man sich als Ziel stecken?“