Sebastian Vettel gewinnt zwar das Formel-1-Rennen in Malaysia, doch der Konflikt mit seinem Red-Bull-Kollegen Mark Webber eskaliert.
Die Minuten verrannen, doch Mark Webber kam nicht. Sieger Sebastian Vettel und der drittplatzierte Lewis Hamilton stürzten nach dem Hitzerennen in Malaysia gierig die bereitgestellten Wasservorräte hinunter und warteten darauf, endlich hinaustreten zu dürfen auf den Podiumsbalkon. Doch für die anständige Besetzung des Podests fehlte der Zweitplatzierte Webber. Als der wenig später eintraf und die Nationalhymnen erklangen, sah keiner der drei Tagesbesten so recht wie ein Sieger aus.
Webber war ein starkes Rennen gefahren und hatte die meisten Führungsrunden gesammelt. Aber als der zweite Grand Prix der Saison entschieden schien, tauchte im Rückspiegel sein Stallgefährte Vettel auf, der nach einer missratenen Boxen-Strategie auf Platz zwei feststeckte. Es hätte ein großer Tag für Red Bull werden können mit einem überlegenen Doppelsieg. Fernando Alonso schied bereits in Runde zwei nach einer aggressiven Attacke auf Vettel aus, Melbourne-Sieger Kimi Räikkönen wurde nur Siebter. Doch der Sprung auf die Spitzenplätze in Fahrer- und Konstrukteurswertung war für Red Bull ein bitterer Triumph.
46 von 56 Runden waren auf dem Sepang International Circuit gefahren, als der Dreifach-Champion am Ende der Start-Ziel-Geraden ausscherte und den 36-jährigen Webber zu überholen versuchte. Der bemerkte den Verfolger und wehrte sich, schließlich hatte die Teamleitung kurz zuvor die Order "Multi 2-1" ausgegeben - den internen Code zum Halten der aktuellen Position. Der Zweikampf, in dem keiner der Piloten auch nur einen Zentimeter nachgab, tobte mehrere Kurven lang. Beide führten komfortabel vor dem Mercedes-Duo Lewis Hamilton und Nico Rosberg, bei dem der schnellere Rosberg sich missmutig an eine ähnliche Stallorder hielt. Nervös verfolgten die Team-Bosse am Kommandostand, wie sich ihre beiden Fahrer um ein Haar gegenseitig von der Strecke drängten. Erst als Vettel vorbeigezogen war und sich einen kleinen Vorsprung herausgefahren hatte, funkte Teamchef Christian Horner in Vettels Cockpit: "Sei nicht dumm, Sebastian!"
Horner wird da schon geahnt haben, was auf seinen Rennstall zukam. Auch Vettel merkte, dass er mit seinem Manöver Fragen aufgeworfen hatte, die über die nach der Hierarchie bei Red Bull hinausgehen. Seine Lippen waren auf dem Podium nicht weniger schmal als die von Webber und Hamilton, der sich ebenfalls nicht über seinen ersten Podest-Platz für Mercedes freuen konnte. "Ich weiß, dass es Gesprächsbedarf gibt", sagte Vettel in Richtung seines Stallgefährten, der ihn während der gesamten Sieger-Zeremonie keines Blickes würdigte und auch beim Champagnerbad auffällig schnell abdrehte: "Wir werden das intern klären." Horner, Newey und auch der mächtige Berater Helmut Marko lauschten mit zusammengekniffenen Augen. Bei Red Bull steht der Team-Erfolg über allem - auch über den Launen von Spitzenfahrer Vettel.
Später sagte der Weltmeister: "Ich glaube, ich habe heute einen großen Fehler gemacht. Wir hätten auf den Plätzen bleiben sollen, die wir hatten. Ich habe es nicht absichtlich ignoriert, aber ich habe es in der Situation falsch gemacht. Ich habe Mark die Führung weggeschnappt und sehe, wie sauer er ist. Ich möchte ehrlich sein und bei der Wahrheit bleiben und mich entschuldigen. Ich bin das schwarze Schaf." Der frustrierte Webber lauschte den Ausführungen seines elf Jahre jüngeren Kollegen mit steinerner Miene. Teamchef Horner stellte anschließend klar, dass der Vorfall mit Vettels etwas gezwungen wirkender Entschuldigung noch nicht erledigt sei: "Das werden wir sicher noch diskutieren."
Schon in der Vergangenheit hatte es immer wieder Reibereien zwischen dem erfolgreichen, aber ungleichen Red-Bull-Duo gegeben. 2010 in der Türkei schossen sie sich in Führung liegend gegenseitig von der Piste. Webber fühlte sich damals am Saisonende, als der junge Deutsche und nicht er den Titel holte, vom Team im Stich gelassen. Beim Regenfinale der vergangenen Saison hatte Webber seinen Kollegen in eine Kollision gedrängt, die ihn beinahe den WM-Titel gekostet hätte. Erst kurz vor dem Beginn dieser Saison hatte Helmut Marko die Rollenverteilung innerhalb des Rennstalls klargestellt: "Webber hat pro Saison zwei Rennen, in denen er unschlagbar ist. Aber er kann diese Form nicht übers Jahr halten." Immer, wenn Vettels Formkurve ansteige, beginne die von Webber zu sinken.
Offen blieb die Frage, wer denn nun schuld hatte an der schlechten Laune bei Red Bull. Für die einen hatte Vettel lediglich gehandelt, wie es einem Champion zustehe. "Er will immer gewinnen. Deshalb ist er schon dreimal Weltmeister", sagte Fernsehexperte Marc Surer. Horner hingegen meinte angesäuert: "Er hat seine Interessen über die des Teams gestellt."
Webber meinte nur: "Am Ende hat Seb wieder seine eigene Entscheidung getroffen, und wie immer wird er vom Team beschützt werden." Auf die Frage, ob er Vettels Entschuldigung annehme, entgegnete Webber: "Ich habe in den letzten Runden viel nachgedacht. Jetzt werde ich erst einmal surfen gehen."