Essen. Bei der Schach-Weltmeisterschaft in Singapur kämpfen Titelverteidiger Ding Liren und Gukesh Dommaraju um die Krone.
Diese Konstellation genießt absoluten Seltenheitswert: Bei der am Montag in Singapur gestarteten Schach-Weltmeisterschaft gilt nicht etwa Titelverteidiger Ding Liren aus China als großer Favorit, sondern sein Herausforderer Gukesh Dommaraju. Der erst 18-jährige Inder hat ein atemberaubendes Jahr hinter sich gebracht, das nun vor seiner finalen Krönung steht. 14 Partien werden bis zum 13. Dezember maximal im Hotelkomplex „Resorts World Sentosa“ ausgetragen. Die allererste gewann nach 42 Zügen dann aber doch etwas überraschend der Chinese. Und das sogar mit den schwarzen Figuren.
Wer ist dieser Gukesh Dommaraju, von dem derzeit die ganze Schach-Welt schwärmt? 2006 kam er in der indischen Millionen-Metropole Chennai als Sohn eines Chirurgen und einer Mikrobiologin zur Welt. Schach spielt er seit seinem siebten Lebensjahr. Schon mit zwölf errang er die höchstmögliche Titelweihe des „Großmeisters“ – als Drittjüngster in der Geschichte dieses Denksports. Und er war sogar der Allerjüngste, der in der Elo-Wertung, die beim Schach die Stärke eines Spielers ausdrückt, einen Wert von über 2750 Punkten erreichte.
Schach-Star Gukesh Dommaraju sorgt auch in Deutschland für Aufsehen
Auch in Deutschland sorgte der Teenager für Aufsehen, zählte er in der vergangenen Saison doch zum Aufgebot des Düsseldorfer SK, das mit einem wahren Star-Ensemble bestückt den Aufstieg in die Schach-Bundesliga perfekt machte. Doch seine größten Erfolge feierte er daheim und auf der Weltbühne: Bei der Schach-Olympiade führte er die indische Mannschaft mit einer herausragenden Siegquote am Spitzenbrett zum Gewinn der Gold-Medaille. Und in seinem Heimatland löste er den früheren Weltmeister Viswanathan Anand, der inzwischen das Amt des Vizepräsidenten beim Schach-Weltverband Fide bekleidet, als Nummer eins der nationalen Schach-Rangliste ab. Eine Position, die Anand zuvor 37 Jahre stets innehatte.
Dennoch galt Gukesh im vergangenen April keinesfalls als Top-Favorit, als im kanadischen Toronto das WM-Kandidaten-Turnier ausgetragen wurde. Zu prominent besetzt erschien das Teilnehmerfeld, zu dem auch der hoch eingeschätzte US-Amerikaner Fabiano Caruana und der Russe Jan Nepomnjaschtschi zählten. Letzterer war bei der Weltmeisterschaft im Vorjahr nur hauchdünn gegen Ding Liren unterlegen gewesen. Und Gukesh war auch noch der mit Abstand jüngste Starter. Dennoch gewann er mit neun Punkten die Konkurrenz, qualifizierte sich somit sensationell für die WM – und ist nun der jüngste Herausforderer der Geschichte. Vor ihm hatte die russische Schach-Legende Garri Kasparow diesen Altersrekord gehalten.
Weltmeister Ding Liren steckt in einem Formtief
Sein Gegenüber steckt indes seit Monaten in einem Formtief, das für Gegenspieler und Experten gleichermaßen schwer zu erklären ist: Es sickerte aber durch, dass der inzwischen 32-jährige Ding Liren, der sich als erster Chinese die Welt-Krone im Schach-Sport aufsetzen konnte, unter psychischen Problemen leidet. Von Depressionen war da die Rede. Die Trennung von seiner Partnerin kam erschwerend hinzu. An seine bestechende Form des Vorjahres kam der amtierende Weltmeister seitdem nicht mehr heran. Und inzwischen ist er sogar aus der Top-20 der Weltrangliste herausgefallen. „Ich gehe ganz klar als Außenseiter in dieses Match und mache mir Sorgen, dass ich sehr hoch verlieren könnte“, gab Liren kürzlich in einem Interview offen zu.
Doch es gibt auch Fakten, die für den Titelverteidiger sprechen: Etwa, dass er die nervenzehrenden Strapazen eines Weltmeisterschafts-Duells schon einmal erfolgreich hinter sich gebracht hat. Oder, dass seine bisherige Bilanz in den Partien gegen Gukesh positiv ist. Dennoch räumen auch die englischen Buchmacher dem Herausforderer derzeit die deutlich größeren Sieg-Chancen ein. Und auch der frühere Weltmeister Magnus Carlsen – der ab 2013 für ein Jahrzehnt der Dominator an den Brettern dieser Welt war, im Vorjahr aber freiwillig auf eine neuerliche Titelverteidigung verzichtet hatte – sieht Gukesh im Vorteil.
Hohe Titelprämie für Schach-Weltmeister
Ach, ja: Auch beim Schach geht’s nicht nur um Titel und Trophäen. Sondern auch um jede Menge Geld. Insgesamt 2,5 Millionen US-Dollar stehen an Prämien bereit. Pro gewonnene Partie gibt es 200 000 US-Dollar. Sollte der Sieger erst nach 13 oder 14 Partien feststehen, erhält der neue Weltmeister 1,3 Millionen US-Dollar und der Unterlegene immerhin 1,2 Millionen. Gewonnen hat der Spieler, der zuerst 7,5 Punkte erreicht. Sollte es nach 14 Partien 7:7 stehen, müssten so genannte Tie-Break-Partien entscheiden.
Wie es sich anfühlt, Weltmeister zu werden, weiß Gukesh Dommaraju allerdings schon. Denn im Jahr 2018 eroberte er den globalen Titel – damals allerdings in der Altersklasse U12. Mal sehen, ob er nun auch im Seniorenbereich den Schach-Thron erklimmen kann...