Essen. Die Skistars Marcel Hirscher und Lucas Braathen geben ihre Comebacks in Sölden. Was sich Braathen vornimmt und wie Felix Neureuther Hirscher einschätzt.
Im Hintergrund des Bildes leuchten die Berge der Pitztaler und Ötztaler Alpen, im Vordergrund recken zwei Skifahrer mit breitem Grinsen je einen Arm in die Luft. Ein Schnappschuss, wie er dieser Tage zuhauf in den Sozialen Medien zu sehen ist, startet doch für die Fahrer an diesem Wochenende in Sölden die neue Weltcup-Saison (Sonntag, 10 und 13 Uhr/BR und Eurosport). Es waren aber nicht einfach nur zwei beliebige Skifahrer, die dieses Bild auf ihren Instagram-Kanälen posteten.
Der eine war Marcel Hirscher (35), seines Zeichens achtmaliger Gesamtweltcup-Sieger, siebenmaliger Weltmeister und zweifacher Olympiasieger. Eine Ikone. Der andere der Norweger Lucas Braathen (24), einer der schillerndsten Typen, die der Skizirkus je gesehen hat. Beide geben in dieser Saison ihre Comebacks im Weltcup. Das von Hirscher kommt 2000 Tage nach seinem Karriereende einer Sensation gleich. Das von Braathen durfte man zumindest erhoffen, nachdem er im vergangenen Spätherbst aufgrund von Querelen mit dem norwegischen Verband seine Ski zwischenzeitlich an den Nagel gehängt hatte. Nun startet er für Brasilien, das Heimatland seiner Mutter.
Neureuther schwärmt von Braathen und Hirscher
„Die Comebacks von Marcel Hirscher und Lucas Braathen sind sensationell, sie sind Geschenke für den Skisport“, sagt der ehemalige deutsche Skifahrer Felix Neureuther im Gespräch mit dieser Redaktion. Er ist befreundet mit beiden, kennt sie gut. Die Rückkehr der beiden Ausnahmekönner lässt die Begeisterung für den in Zeiten des Klimawandels immer häufiger in der Kritik stehenden Sport wachsen, das Interesse vor dem Start in Sölden ist immens. „Spannend werden die Comebacks auf alle Fälle und an Gesprächsstoff für die Medien wird es nicht fehlen“, ist sich Markus Waldner sicher. Er ist Renndirektor des Weltskiverbands Fis und seit Jahren verantwortliche für den Männerbereich. „Es ist für die gesamte Skiwelt sehr spannend, ob die zwei Ausnahmeathleten den Anschluss zur Weltspitze wieder schaffen.“
Der Österreicher Hirscher, der nun für die Niederlande, dem Heimatland seiner Mutter, startet, ist inzwischen 35 Jahre alt. Er hatte längst aufgehört, eine eigene Skimarke gegründet, die den norwegischen Star-Fahrer Henrik Kristoffersen ausstattet. Das Material getestet hat er zwar selbst, auch Krafttraining betrieben. Aber professionell Skifahren? Dafür braucht es mehr, es ist Detailarbeit, erinnert mitunter in den vielen Abstimmungsmöglichkeiten an Ski und Schuh an Raketenwissenschaft. „Für ein erfolgreiches Comeback von Marcel braucht es drei Faktoren. Erstens muss er körperlich zu 100 Prozent fit sein. Das ist er. Er hat auch den unbedingten Willen, will die Grenzen ausloten. Drittens muss aber auch das Material funktionieren. Und das ist bei Marcel das große Fragezeichen“, sagt Neureuther über seinen Kumpel, der ihn vorab übers Comeback informiert hatte. „Er muss sich neben der Materialentwicklung auch die Sicherheit, den Rhythmus und das Timing für den Slalom und Riesenslalom holen. Das ist eine riesige Herausforderung, für die wir Marcel Zeit geben müssen.“
Hirscher-Comeback nach 2000 Tagen
Wunderdinge also sollte man von Hirscher, der vor fünf Jahren sein letztes Skirennen bestritt, nicht erwarten. Aber: „Wenn er wieder in den Rennrhythmus kommt, sobald das Material und das Renn-Setup passt, kann man ihm alles zutrauen“, sagt Waldner. Für Neureuther ist die WM im Januar im österreichischen Saalbach ein realistisches Ziel dafür.
Und Braathen? Der dürfte es nach Einschätzung des ARD-Experten deutlich leichter haben. Er war nur ein Jahr raus, fährt mit demselben Material wie früher, muss sich kaum umstellen. Und die Auszeit habe ihm geholfen, zu sich selbst zu finden. „Ich habe eine aufregende, aber auch einschüchternde Reise hinter mir. Ich habe mich inspirieren lassen, habe designt, konnte mich kreativ ausleben und habe sogar auf einem Laufsteg gemodelt“, sagte er gegenüber dieser Redaktion. Das Skifahren aber habe der flippige Braathen, der sich die Fingernägel lackiert, mit schrillen Outfits auffällt, als DJ und Model tätig ist, vermisst. Vor allem als Person, die andere Menschen inspirieren wolle. Im brasilianischen Verband habe er die Chance bekommen, den Sport in der Art und Weise auszuüben, wie es ihm gefällt. Anders als im klassischen Wintersportland Norwegen, wo der Verband strikte Regeln vorgibt.
Dass er ausgerechnet im selben Jahr in den Weltcup-Zirkus zurückkehrt wie sein Idol Marcel Hirscher, setze dem Ganzen die Krone auf. „Marcel ist ein Idol für mich. Ich habe unzählige Stunden in meiner Jugend damit verbracht, sein Skifahren zu studieren. Ich habe mir immer gewünscht, mich im Weltcup mit ihm zu messen. Ein Traum wird wahr“, sagte er. Und nicht nur deshalb sei dieser Winter ein Glückfall für Braathen, meint Neureuther. „Lucas hätte kaum etwas Besseres als ein Comeback von Marcel passieren können. Er konnte sich in Ruhe vorbereiten, konnte sich aufs Skifahren konzentrieren.“
Typen wie Braathen braucht es laut Neureuther auch in Deutschland
Aber nicht nur sportlich wird Braathen dem Sport Aufmerksamkeit verleihen. „Wir brauchen im Skizirkus solche Typen wie ihn. Er hat den Mut, neue Wege zu gehen und nun für Brasilien zu starten. Er denkt ‚out of the box‘, er ist immer freundlich und offen. Viele junge Menschen können sich mit ihm als Typen identifizieren. Er macht, was der denkt“, sagt Neureuther. Wenngleich der Norweger weiß, dass er so nicht bei jedem gut ankommt. „Mein Ziel ist es, etwas zu bewirken, und es ist okay für mich, dass es Menschen gibt, die mich, meinen Ansatz und meine Meinung nicht unterstützen“, sagte er. „Aber ich will echt bleiben, nicht den Erwartungen entsprechen. Ich möchte andere ermutigen, ihren Weg zu gehen, wie auch immer dieser sein mag. Niemand soll sich einreden lassen, es sei unmöglich.“
Typen wie den 24-Jährigen wünscht sich Neureuther auch in Deutschland. „Wir haben hervorragende Athleten und Athletinnen wie Linus Straßer, Lena Dürr oder Emma Aicher. Aber ich wünsche mir jemanden, der mal etwas anders macht, einen individuellen Weg einschlägt“, so der 40-Jährige.