Essen. Im Interview spricht Kommentator Marco Hagemann über die Zusammenarbeit mit Steffen Freund und Lothar Matthäus, den BVB und Pep Guardiola.
Als Marco Hagemann sich verabschiedete, sagte er: „Jetzt gleich geht es noch rüber zum Julian.“ Gerade hatte er sich Zeit genommen für ein Interview mit dieser Redaktion, dann wechselte er in Amsterdam das Hotel für ein Vorgespräch mit Bundestrainer Julian Nagelsmann vor dem Duell der deutschen Nationalmannschaft mit der Niederlande. Für RTL kommentierte er diese Partie, bevor er ab diesem Mittwoch für den Kölner Privatsender wieder in der Europa League am Mikrofon ist. Vorab spricht er über den Partnerwechsel an seiner Seite von Steffen Freund zu Lothar Matthäus, seine Liebe zum BVB und warum das Westfalenstadion für ihn das schönste ist.
Herr Hagemann, Sie haben viele Jahre gemeinsam mit Steffen Freund kommentiert. Das Duo gibt es nun so nicht mehr an den Mikrofonen. Vermissen Sie Ihren Partner bereits?
Das wird bestimmt irgendwann passieren, wenngleich wir uns privat gut verstehen und uns sicher über den Weg laufen werden. Wenn man sechs Jahre lang jedes Länderspiel, jede Woche im Europapokal kommentiert, dann ist es eine Umstellung, wenn es nicht so ist. Schon allein von den Abläufen. Wir haben beispielweise immer einen Espresso getrunken, bevor wir gemeinsam zum Stadion gefahren sind und haben uns noch mal geupdatet. Wir waren ein sehr gutes Duo und haben etwas aufgebaut. Ich arbeite aber auch bei Dazn mit anderen Experten zusammen. Das wird auch bei RTL gehen.
Immer wieder mussten Sie aber auch Kritik ertragen, vor allem Steffen Freund wurde in den sozialen Netzwerken häufig hart angegangen. Hat Sie das beeinflusst?
Nein. Wir müssen die Relation sehen. Uns haben bis zu zehn Millionen Menschen bei Länderspielen gesehen, dann dürfen wir ein paar Kommentare im Netz nicht zu wichtig nehmen. Anders sieht es damit aus, wenn man Morddrohungen bekommt. Für so etwas habe ich kein Verständnis, natürlich stelle ich dann Anzeigen. Generell gehört heutzutage dazu, dass jeder seine Meinung hat und wir es nicht jedem Recht machen können. Das schafft man auch nicht, das haben wir schnell akzeptiert. Ich habe eine eigene Meinung und lege die auch dar. In den Stadien haben wir von den Fans übrigens immer positives Feedback bekommen.
Hagemann: „Die Expertise von Lothar Matthäus ist außerordentlich“
Ihr neuer Partner wird der Rekordnationalspieler Lothar Matthäus sein. Ist bei Ihnen eine gewisse Ehrfurcht dabei, wenn Sie mit einem so verdienten Ex-Fußballer zusammenarbeiten?
Nein. Das wäre auch falsch. Ich habe bereits mit vielen Experten zusammengearbeitet. Michael Ballack oder Per Mertesacker beispielsweise. Ich habe vor jeder sportlichen Karriere den größten Respekt. Mit Lothar Matthäus bin ich aufgewachsen. Meine erste Fußball-Erinnerung habe ich an die WM 1986, er ist Rekordnationalspieler, war selbst Trainer. Er weiß, wovon er redet. Die Expertise ist außerordentlich, aber wir sind jetzt in einer anderen Rolle. Beruflich müssen wir uns nun finden. Ich werde versuchen, dass wir ähnlich gut harmonieren wie Steffen Freund und ich. Wenn wir als Duo gut funktionieren, dann haben auch die Zuschauer Spaß. Ich fordere ein, dass er sich darauf einlässt. Da bin ich absolut positiv.
Lothar Matthäus hat sich in seiner Zeit als Experte entwickelt. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Jeder geht Entwicklungsschritte, jeder muss in seinen Job reinwachsen. So ist es auch bei Lothar. Fernsehen zu machen, bedeutet etwas anderes, als wenn man selbst mal gespielt hat. Nicht jeder gute Fußballer ist ein guter Experte. Lothar ist klar in seiner Meinung, hat ein großes Netzwerk, hat viele Quellen. Er bietet einen großen Mehrwert für alle. Als Experte muss man klare Meinungen haben, davon leben sie und wir als Duo. Ich brauche einen Experten, der erzählt, was passiert und warum es passiert, gepaart mit eigenen Erfahrungswerten. Lothar hat sich da herausragend entwickelt. Er gehört zu den Top-Experten bei uns.
Wo liegen generell Unterschiede bei Experten?
Die einen wollen alles wissen, wollen jeden Namen richtig aussprechen, andere blicken eher als Trainer auf die Spiele, andere noch mehr aus der Spielerperspektive. Es muss sich immer finden als Kommentatoren-Duo. Lothar muss sich auch auf mich einstellen, weil ich meine eigene Routine habe.
Hagemann: Darum ist die Zusammenarbeit mit Bayer Leverkusen schwierig
Sie haben mal gesagt, Sie hätten Ihr Hobby zum Beruf gemacht. Wie sehr haben Sie sich in der Tätigkeit verändert?
Sehr. Ich bin und bleibe Sportjournalist. Dass ich so viele Jahre inzwischen kommentieren und moderieren durfte, ist herausragend, hat aber auch Veränderungen in meiner Arbeitsweise mitgebracht. Recherchieren, das Netzwerk – ich musste mich zwangsläufig immer weiterentwickeln. Und auch sprachlich habe ich natürlich Schritte gemacht, je mehr Routine dabei ist. Früher wollte ich jede recherchierte Geschichte auch im Kommentar unterbekommen, das ist inzwischen ganz anders. Das Wichtigste findet auf dem Platz statt.
RTL überträgt Europa League live
Am Mittwoch, 25. September, zeigt RTL das Auftaktspiel der TSG Hoffenheim beim FC Midtjylland um 20.15 Uhr (Anstoß 21 Uhr). Kommentieren wird dieses Spiel Marco Hagemann mit dem Experten Lothar Matthäus an seiner Seite. Einen Tag später wird das Duo auch den Turnier-Auftakt des Europa-League-Siegers von 2022 Eintracht Frankfurt begleiten. Die Eintracht trifft zu Hause auf Viktoria Pilsen (21 Uhr). An beiden Tagen sind jeweils alle anderen Partien live bei RTL+ zu sehen.
Haben Sie einen Mentor dafür?
Mittlerweile gehe ich meinen eigenen Weg, früher habe ich mich viel mit Marcel Reif ausgetauscht, weil ich ihn dafür bewundere, wie er mit der deutschen Sprache umgeht. Auch Frank Buschmann hat seine Finger im Spiel gehabt. Hochgeschaut habe ich immer zu Dieter Kürten, obwohl wir uns kaum kannten. Seine Gabe, den Gästen Raum zu geben und sie strahlen zu lassen, das habe ich bewundert. Wichtig ist aber, dass jeder seinen eigenen Weg findet. Kopieren bringt nichts.
Sie haben als Kommentator den Vorteil, dass Sie oft Vorgespräche mit Trainern führen, andere Einblicke bekommen. Gibt es Akteure, mit denen es schwierig ist zusammenzuarbeiten?
Zu Pep Guardiola war es schwierig, Kontakt aufzubauen (lacht). Auch Bayer Leverkusen hält schon viel bei sich. Wir haben bei RTL eine hohe Reichweite mit unseren Spielen. Ab und zu würde ich mir von Vereinen ein wenig mehr Offenheit wünschen. Die meisten Leute, mit denen ich spreche, vertrauen mir. Das ist mir wichtig. Da erfährt man auch schon mal Dinge, die nicht für die Welt bestimmt sind, die bleiben dann auch bei mir. Das baut sich über Jahre auf. Viele Fußballer und Trainer hören auch bei uns genau hin. Positive Resonanz freut mich dann noch etwas mehr.
Bekannt ist, dass Sie Sympathisant von Borussia Dortmund sind. Wenn Sie es sich aussuchen könnten: lieber ein BVB-Spiel kommentieren oder lieber ein anderes Spiel?
Ich wehre mich nicht dagegen und habe es auch schon häufig getan. Ich mache es sogar gern, weil ich viele Leute, den Verein kenne, gut vorbereitet in die Spiele gehe. Bislang hat mir auch noch keiner gesagt, dass ich als Fan kommentieren würden.
Durch das Netzwerk bekommen Sie auch Dinge mit, die ein normaler Fan nicht weiß. Können Sie noch „normaler“ Fans sein?
Das ist, als würde ein Engelchen und ein Teufelchen auf meinen Schultern sitzen. Auf der einen Seite gucke ich als Journalist auf den Verein, auf der anderen Seite als Privatmensch. Privat kann ich im Stadion auch schon ausrasten (lacht). Generell lasse ich in Bezug auf den Verein alles auf mich zukommen.
Hagemann: „Das BVB-Projekt mit Nuri Sahin ist sehr spannend“
Wie sehen Sie den BVB in dieser Saison?
Das Projekt mit Nuri Sahin ist sehr spannend. Auf allen Positionen sind ehemalige verdiente Spieler von Borussia Dortmund – das ist Identität pur. Alle haben dem Verein so viel zu verdanken, alle lieben den BVB. Nuri Sahin, Lars Ricken – sie haben den BVB mit der Muttermilch aufgesogen. Diesem Prozess muss man aus meiner Sicht Zeit geben, wenngleich die Erwartungshaltungen groß sind. Dafür hat sich der BVB aber auch gut verstärkt. Dennoch ist im Kader Platz dafür, dass sich junge Spieler entwickeln können. Jugend forscht ist nicht mehr das A und O, es gibt eine klare Hierarchie. Die Frage wird sein, wie der BVB es in der Defensive hinbekommt, das war in den vergangenen Jahren das große Manko.
Sie waren in vielen Stadion vor Ort. Welches ist das für Sie beste?
Das ist natürlich das Westfalenstadion. Es gibt viele interessante Stadien, aber auch Anfield ist schon sehr besonders.
Welche waren Ihre Highlight-Spiele?
Da muss ich drei nennen: September 2004, Juventus Turin gegen Palermo in der Serie A. Das war mein erstes Live-Spiel über 90 Minuten. Dann mein erstes Länderspiel im September 2014 zwischen Deutschland und Schottland und natürlich das Europa-League-Finale 2022, in dem Eintracht Frankfurt die Glasgow Rangers geschlagen hat.
Welche Sportart möchten Sie gern noch einmal kommentieren?
Es ist bekannt, dass ich eine große Leidenschaft für Tennis habe. Die Olympischen und Paralympischen Spiele haben gezeigt, dass man sich in viele Sportarten reinarbeiten kann. Da meine ich nicht die Leichtathletik, das ist ein Brett. Aber es gäbe ein paar olympische Disziplinen, die ich gern kommentieren würde, weil ich mich in sie hereinarbeiten könnte. Das würde ich mir zutrauen. Bogenschießen zum Beispiel. Die kleinen Randsportarten haben noch mehr Aufmerksamkeit verdient.
Gibt es etwas, was Sie unbedingt im beruflichen Sinn noch erleben möchten?
Das hängt von vielen Faktoren, Chefs und Rechten ab. Ich habe kein spezielles Ereignis als Traum, für ein EM- oder WM-Finale müsste beispielweise so viel zusammenkommen. Ich durfte für Eurosport das Australian-Open-Finale von Angelique Kerber kommentieren, das sie gewonnen hat. Mein Traum ist es, diesen Job noch ein paar Jahre auszuüben. Dann erlebe ich automatische viele schöne Dinge.