Saint-Denis.. Leo Neugebauer hat bei Olympia 2024 in Paris für die erste deutsche Zehnkampfmedaille seit 1996 gesorgt. Von ihm ist noch Großes zu erwarten.
Ganz am Ende der Ehrenrunde blieb Leo Neugebauer noch einmal stehen. Er nahm seine grellorangenen Schuhe, die er zusammen mit der Deutschlandfahne in der Hand gehalten hatte, und zog sie an. Erst den rechten, dann den linken. Große Fußspuren hinterlässt man nicht auf Socken. Und Leo Neugebauer hat nach seinem ersten dicken Abdruck in der deutschen Zehnkampfgeschichte das Potenzial für noch viele weitere Schritte.
Am Samstag hatte der Athlet des VfB Stuttgart im Stade de France Silber bei den Olympischen Spielen von Paris gewonnen. Es war die erste Zehnkampf-Medaille für Deutschland bei einem Fünf-Ringe-Spektakel seit Frank Busemanns sensationellem zweiten Platz 1996 in Atlanta. Der heutige TV-Experte nannte die Entwicklung seines Nachfolgers „gaga“ und prophezeite: „Wenn man sieht, was der noch draufhat, dann werden wir nicht nur heute Spaß mit ihm haben.“
Anerkennung für Leistung des König der Athleten
König der Athleten wurde überraschend der 22 Jahre alte Markus Rooth. Der Norweger hatte reihenweise Bestleistungen abgeliefert und sich nach dem Speerwerfen, der vorletzten Disziplin, vor den bis dahin führenden Leo Neugebauer geschoben. Neugebauer war als Favorit und Weltjahresbester in die französische Hauptstadt gereist. 8961 Punkte hatte er bei den College-Meisterschaften in den USA für die Universität in Texas bereits im Juni erreicht – und damit seinen eigenen deutschen Rekord verbessert.
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Doch die lange College-Saison, in der Neugebauer drei herausragende Mehrkämpfe abgeliefert hatte, hinterließ offenbar Spuren. Anders als Markus Rooth gelangen ihm keine Ausreißer nach oben. „Er hat einen krassen Wettkampf gemacht, ich eher einen okayen“, sagte Neugebauer durchaus anerkennend. „Aber ich kann nicht unglücklich sein.“
Als er der Norweger realisierte, dass er tatsächlich mit 8796 Punkten vor Neugebauer (8748) und Lindon Victor (8711) aus Grenada Olympiasieger geworden war, reagierte dieser fast verlegen, so verblüfft war er von sich selbst.
Leo Neugebauer feiert Silbermedaille bei Olympia mit Familie
Ganz anders Leo Neugebauer. Nach dem abschließenden 1500-Meter-Lauf pumpte er kurz auf dem Boden liegend durch. Dann lief er zu seinem Fanblock hinüber, fiel seinen Eltern Terence und Diana in die Arme. Dass sie stolz auf ihn sei, flüsterte seine Mutter ihm ins Ohr. „Das Laktat poppte raus, als ich meine Familie und Freunde sah – sogar meine Oma war da“, sagte Neugebauer nach dem Wettkampf freudestrahlend. Aus jeder seiner Poren drang der Stolz, die Freude heraus. So feiert niemand, der Platz zwei als verlorenes Gold betrachtet. „Die ganze harte Arbeit ist endlich fertig“, sagte er. „Eine Silbermedaille bei Olympischen Spielen – da kann man nicht mehr erwarten. Ich bin so happy.“
Auf der Ehrenrunde genoss Leo, the german, – so sein selbstgegebener Spitzname – das Bad in der Menge. Er strahlte er in jede Kamera, schenkte jedem sein prägnantes Siegerlächeln. „Die Stimmung war verrückt dort. Einfach diesen Wettkampf machen zu dürfen – das war sehr, sehr cool. Es war mir eine Ehre“, sagte Neugebauer am Morgen danach.
Leo Neugebauer hat aus der WM in Budapest gelernt
Der Mann mit der eingebauten guten Laune hatte sein Show-Gen im Wettkampf jedoch weitestgehend unterdrückt. 2023 war ihm das bei der WM zum Verhängnis geworden. Wie jetzt bei Olympia lag er auch dort nach Tag eins in Führung, begeisterte das Publikum. Er ließ viel Energie dabei, dieses zu animieren, machte unzählige Selfies, schrieb Autogramme, gab viele Interviews. Das alles war zu viel, an Tag zwei leistete er sich Unkonzentriertheiten, wurde am Ende Fünfter.
„Ich bin jetzt eine andere Person“, sagte er nun in Paris. „Ich habe daraus gelernt, habe jeden Tag im Training versucht, mich zu verbessern.“ Es gelang. Konzentriert hatte er Disziplin um Disziplin durchgezogen. „Einfach mein Ding machen“ und „mein Bestes geben“ sind jene Sätze, die Leo Neugebauer mantraartig in einem charmanten US-Schwäbisch wiederholt, so felsenfest hat er sie in seinem Inneren eingeschlossen.
Leo Neugebauer: am College geformt, nächstes Jahr WM
Die vier Jahre am College, sagt er, haben ihn geprägt. Weil er dort in Austin das perfekte Umfeld gefunden hat, wird er auch nach dieser Saison, die nach seinem Wirtschaftsabschluss seine letzte war, in Texas bleiben. Als Profi sollen nun seine eigenen Ziele im Fokus stehen. Ein Start in Götzis, dem Mekka für Mehrkämpfer, ist sein Wunsch. Auch in Deutschland will er antreten, dort hatten seine beeindruckenden Leistungen in den USA bisher nur wenige zu nachtschlafender Zeit verfolgt. Das Istaf-Meeting in Berlin führt extra für ihn einen Dreikampf-Wettbewerb ein. Und natürlich will er im kommenden Jahr „bei der WM in Tokio mein Bestes“ geben.
Aus Paris, sagen er und sein Gesicht, „gehe ich mit einem Lächeln“. Welche Spuren er noch hinterlassen wird, sie sind schon jetzt groß. Leo Neugebauer hat Schuhgröße 49.
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