Paris. Das Bahnrad-Trio Hinze, Friedrich und Grabosch ist Olympia-Favorit im Team-Sprint. Ein Gespräch über Respekt, Hierarchie und klare Ansagen.
Sie haben sich im Kraftraum gequält, Gewichte um Gewichte gestemmt. Sie haben unzählige Kilometer auf dem Rad gesessen. Sie haben alle ihre Werte analysiert, sich und ihr Rad optimiert. Doch nun ist die Zeit der Schinderei für dieses eine große Ziel vorbei. Jetzt zählt es. Am Montag gehen Emma Hinze, Lea Sophie Friedrich und Pauline Grabosch als große Goldfavoritinnen im Bahnrad-Teamsprint bei den Olympischen Spielen in Paris an den Start. Im Velodrome Saint-Quentin-en-Yvelines sind sie die Gejagten, die sich nicht fangen lassen wollen. Zusammen haben sie bereits unzählige goldene EM- und WM-Medaillen gesammelt – nur Olympiagold fehlt noch in ihrer Sammlung. Doch dafür muss in dieser hochrasanten Sportart einiges zusammenlaufen.
Beginnen wir ganz direkt: Warum sind Sie nur so gut?
Lea Sophie Friedrich: Weil wir extrem diszipliniert, ehrgeizig und streng mit uns selber sind. Egal wie gut wir waren, wir versuchen trotzdem immer noch unsere Fehler zu erkennen und weiter daran zu arbeiten, uns nicht auf dem Erfolg auszuruhen. Außerdem harmonieren wir sehr gut, weil wir charakterlich sehr unterschiedlich sind.
Können Sie das erläutern?
Friedrich: Emma ist die strenge, direktere Person. Pauline ist eher emotional, ich bin so ein bisschen die Verpeilte, Lustige. (alle lachen) Durch diese Mischung ergänzen wir uns sehr gut und ergeben einen guten Ausgleich – und gute Stimmung.
Pauline Grabosch: Es ist nicht so, dass von null auf hundert alles perfekt war. Wir sind über die Jahre zusammengewachsen, wissen, dass wir innerhalb des Teams auch offen Kritik äußern können. Das funktioniert jetzt schon fast ein halbes Jahrzehnt und das ist etwas, das nicht viele Teams so durchgezogen haben.
Und was sagt die Strenge im Bunde: Wie wichtig ist Harmonie, Frau Hinze?
Emma Hinze: Ohne sie wären wir sicherlich nicht so gut. Aber ich glaube, das Entscheidende ist eher, dass wir alle auf unserer Position schnell fahren – und dass wir bereit sind, immer weiter an uns zu arbeiten. Wir merken bei jedem Wettkampf, dass es immer enger wird. Dass wir keinen riesigen Vorsprung mehr haben. Wenn es auf einer Position mal klemmt, dann sind wir plötzlich nicht mehr auf Platz eins, darauf müssen wir reagieren. Wir haben zu spüren bekommen, dass es noch schwerer ist oben zu bleiben, als einmal nach oben zu kommen. Dafür ist es wichtig, dass wir ehrlich und offen miteinander reden – auch wenn das manchmal unangenehm ist. Aber anders kommt man nicht weiter. Man muss hier nicht alles schön und mit Blümchen reden.
Fallen dann auch mal derbe Worte?
Hinze: Eher ehrliche Worte: Es ist nicht so, dass wir ausfallend oder laut werden, sondern schon mit Niveau miteinander reden. Ich habe das so von meinem Trainer früher gelernt und es ist mir sehr wichtig, dass man offen und ehrlich auch über Sachen redet, die unangenehm sind. Das fordere ich auch ein. Bisher konnten wir alle damit umgehen.
Mussten Sie zwei das lernen, Frau Friedrich, Frau Grabosch?
Friedrich: Ich war bei den Juniorinnen noch extrem entspannt, habe alles auf mich zukommen lassen – mit den Jahren hat sich das verändert. Da kann man nach einem schwachen Rennen nicht sagen: Nächstes Mal wird es besser. Da muss man lernen, Probleme detailliert zu benennen – dann ist es auch gute Kritik.
Grabosch: Also für mich ist das harte Arbeit, Dinge so konkret auf den Punkt zu bringen. Über die Zeit lernt man zu schätzen, dass dann auch mal von links ein Ellenbogen kommt oder eine konstruktive Kritik. Es ist extrem wichtig, dass man sich diese Fähigkeit, diese Direktheit in irgendeiner Art und Weise aneignet, auch wenn man damit nicht großgeworden ist. Wir lernen voneinander und können einander sehr gut ergänzen, da wir drei sehr unterschiedliche Charaktere sind.
Haben Sie im Team eine klare Hierarchie? Sind Sie die Chefin, Frau Hinze?
Hinze: (lacht)
Friedrich: Ich würde schon sagen, dass du die Chefin bist.
Grabosch: Ich finde, Leader passt besser als Chefin. Emma fordert gerne und das ist auch richtig so. Ihr Charaktertyp gibt das einfach her. Es ist jetzt aber nicht so, dass wir uns unterordnen. Das hat was mit Respekt und Teamgeist zu tun, dass man auch die Leistungen der anderen anerkennt und sich gemeinsam weiterentwickelt.
Sie sind in einer besonderen Situation: Im Teamsprint sind sie eins, in den Einzeldisziplinen Konkurrentinnen. Wie ist das zu vereinen?
Hinze: Es ist schon schwierig, wenn man bei Wettkämpfen zusammen auf dem Zimmer ist, dann zunächst Teamsprint fährt – und wie wir zuletzt auch gewinnt. Das ist auf der einen Seite ein schöner Anfang, weil man positiv in die Einzeldisziplinen geht. Aber andererseits auch schwierig: Man freut sich gerade noch zusammen und zwei Tage später steht man gegeneinander im Sprint-Finale. Das ist schon ein bisschen ätzend, aber da muss man einfach umswitchen. Da macht dann jeder mehr sein Ding, die Stimmung im Team wird ruhiger.
Friedrich: Man kann es aber auch positiv sehen: Wenn ich mit einer anderen Deutschen im Finale stehe, dann ist das doch toll für uns als Nation, so ein starkes Team zu haben. Das geht leider manchmal etwas unter…
Grabosch: … Genauso, dass beide im Einzel schon seit Jahren immer vorne mit dabei sind. Das ist eine brutale Leistung, nicht am Druck der einmal gewonnenen Medaille zu zerbrechen, sondern so konstant abzuliefern. Wir sind auch im Teamsprint schon fast ein halbes Jahrzehnt sehr dominant, was manchen Menschen als „normal“ erscheint, aber das ist es bei Weitem nicht. Da würde ich gerne etwas ausholen.
Bitte.
Grabosch: Fangen wir zum Beispiel beim Thema Sportler des Jahres an: Wo sind wir da als Team? Wo sind die Mädels im Einzel? Diese jahrelangen Erfolge – das wird einfach nicht anerkannt. Wir haben vier Disziplinen – und wie viele WM- und EM-Titel, wie viele EM- und WM-Medaillen sitzen hier am Tisch? Keinen Menschen juckt es. Kaum einer erkennt es an. Und da geht es nicht nur um uns, sondern auch darum, was wir in die Welt tragen, welchen positiven Einfluss wir zum Beispiel auf Jugendliche haben können. Doch dafür müssen wir gesehen werden.
Welche Rolle spielt es für Sie, Ihre Stimme als Vorbild zu erheben?
Hinze: Mir ist es schon sehr wichtig. Das merkt man vielleicht auch daran, dass ich Themen öffentlich anspreche, die eventuell nicht so gut ankommen. Oder auch mit dem Projekt Bahnrad Nachwuchs-Liga, das ich mitorganisiere. Wir versuchen, Nachwuchs für unseren Sport zu begeistern und Kinder auf die Bahn zu holen. Dabei nutze ich meine Reichweite und dass Leute mir zuhören. Ich merke, dass es ankommt.
Inwiefern?
Hinze: Zum Beispiel beim Thema Periode und dass sie eine Rolle im Trainingsplan spielen sollte. Seitdem ich in einem Interview darüber gesprochen habe, wird das immer mit mir verbunden – auch wenn das in dem Moment gar nicht meine Intention war. Aber es macht was mit den Leuten, wenn man sich einfach mal traut, ein wichtiges Thema anzusprechen.
Bemerken Sie schon einen Effekt in der Diskussion?
Hinze: So extrem nicht. Aber mein Freund und Trainer Max Levy hat als Juniorenbundestrainer schon erlebt, dass Sportlerinnen zu ihm gekommen sind und gesagt haben: „Ja, Herr Levy, Ihre Freundin hat das Thema Periode ja angesprochen – und wir würden da gerne mal mit Ihnen drüber reden.“ Sie haben sich getraut, darüber zu sprechen: Das fand ich cool, zu hören. Denn als ich jung war, habe ich mich nicht getraut, mit meinem Trainer – und es sind fast nur Männer, es gibt viel zu wenig Trainerinnen in unserem Sport – darüber zu reden. Klar, das Thema hat für manche Leute immer noch einen schwierigen Touch, aber man spricht darüber – und das ist ein guter erster Schritt zur Normalisierung. Es wird aber auch Zeit.
Eine begrüßenswerte Veränderung. Eine weniger schöne ist, dass der Sport insgesamt an Bedeutung zu verlieren scheint. Wie erleben Sie das?
Grabosch: Sport hat keinen Wert mehr – dieser Verfall hat sich schon vor Jahren angekündigt. Seit Corona hat sich dann nochmal einiges verändert, es ist absolut schwierig geworden, Menschen für den Sport zu begeistern. Ein Problem ist natürlich auch, dass wir nur selten im Fernsehen gezeigt werden und kaum Reichweite haben. Wird er nicht gezeigt, stirbt der Sport irgendwann aus. Und das gilt nicht nur für Bahnrad, sondern für alle Sportarten, die oft hinten runterfallen. Von der Politik wird dann bemängelt, dass es zu wenige Medaillen gibt. Dabei müsste man doch mal fragen: Wo wollen wir hin und was brauchen wir dafür? Kompetentes Personal ist sehr, sehr schwer zu finden.
Und allein der Trainerberuf ist in Deutschland wenig attraktiv.
Hinze: Ja, also Max bekommt auch nichts dafür, dass er mich trainiert. (lacht) Generell gehen einfach immer weniger Kinder zum Sport, auch weil die Eltern ihnen das nicht vorleben. Wir spüren auch eine Folge von Corona: Während der Pandemie waren die Bahnen nur für den A-Kader geöffnet, das merkt man jetzt: Der neue U17-Kader ist zum Beispiel viel kleiner als früher. Und dann kommen noch immer wieder so Signale von der Politik, Gelder zu kürzen. Man muss uns ja nicht mehr geben, aber das, was wir haben, sollte man uns auch nicht wegnehmen. Das entwickelt sich völlig in die falsche Richtung. Da muss man ansetzen, uns wieder mehr Wertschätzung vermitteln und das auch in der Gesellschaft ankommen lassen.
Wo kann man da ansetzen?
Friedrich: Auf jeden Fall mit solchen Aktionen wie der Bahnrad Nachwuchs-Liga. Das ist eine extrem gut organisierte Veranstaltung mit tollen Preisen. Das ist einfach cool für den Nachwuchs, sowas zu erleben.
Ein besonderes Erlebnis – das sind wohl für jeden Sportler die Olympischen Spiele. In Paris gehen auch Sie auf Medaillenjagd. Welche Gedanken haben Sie?
Friedrich: Wir freuen uns natürlich. Olympia ist immer noch was ganz anderes. Leider sind wir wieder außerhalb des Olympischen Dorfes einquartiert. Aber das Flair bekommt man trotzdem mit: Alle Sportler an einem Ort, nur alle vier Jahre – das hat die höchste Bedeutung, die es nur gibt.
Die letzte Teamsprint-Gold-Medaille gab es 2012 in London für Kristina Vogel und Miriam Welte. Welche Rolle spielt es für Sie, deren Erbe anzutreten?
Grabosch: Wir sind eine eigene Generation. Wir treten kein Erbe an. Wir sind alle jede für sich eigene Sportlerinnen. Beide waren sehr erfolgreich, das muss man anerkennen. Von daher: Respekt an die zwei. Ich durfte ja damals auch noch mit ihnen fahren. Das war eine sehr intensive Zeit. Sie haben ihren Platz im Sport auch nach der Karriere gefunden. Wenn wir auch mal einen späteren Mehrwert bringen können, ist es schön. Aber den Vergleich würde ich nicht wagen.
Friedrich: Wir erkennen ihre Erfolge an, die sprechen ja einfach für sich. Aber es nervt halt, mit ihnen verglichen zu werden.
Dann zurück zu Ihnen: Sie alle haben bereits Ihre ersten Olympia-Erfahrungen gemacht – positive wie negative. Frau Hinze, Sie kritisierten damals die Schmälerung Ihrer Silbermedaille im Teamsprint von Tokio. Hat es etwas gebracht?
Hinze: Ich merke schon, dass mir Fragen vorsichtiger oder mit mehr Respekt gestellt werden. Es war mir wichtig, zu sagen: So geht es halt nicht. Es ist wichtig, dass die Leute außerhalb verstehen, dass es, wenn man über Jahre diese Leistungen bringt, nur normal und auch menschlich ist, wenn man mal nicht Gold holt. Das mussten wir auch erstmal verstehen. Wir waren noch so jung, waren Favoritinnen, hatten vorher wegen Corona keine Wettkämpfe – und dann kamen solche Reaktionen, das kannten wir nicht. Ich denke, auch wir haben daraus eine Menge gelernt.
Frau Grabosch, Sie waren beim letzten Mal Ersatzfahrerin. Ihre Eindrücke?
Grabosch: Es war eine sehr intensive Erfahrung. Ich hätte nicht gedacht, dass ich lernen kann, die Rolle zu schätzen. Ich dachte, es tut einfach nur weh und ist blöd, zuzuschauen. Ich hätte auf der einen Seite den ganzen Tag heulen können, weil ich nicht selbst fahren konnte. Auf der anderen Seite habe ich mich für die anderen gefreut. Es war so ein Hin und Her. Aber ich wäre jederzeit einsatzbereit gewesen, ich war bis zum Schluss dabei, habe sie supportet, war Teil des Teams. Die beiden haben alles auf der Bahn gelassen, ich im Innenraum.
Selbst bei Olympia zu fahren ist aber auch in Ordnung?
Grabosch: In Ordnung? Einmal zuschauen hat mir gereicht. Ich will jetzt mit den Mädels am 5. August so schnell fahren, dass andere auf die Anzeigentafel gucken und sagen: „Gut, das schaffen wir nicht mehr.“ Wofür es am Ende reicht, schauen wir dann.
In Tokio wurde der Teamsprint zu zweit gefahren, in Paris dürfen Sie wie bei anderen Events auch zu dritt ran. Sind Sie in der Konstellation noch stärker?
Hinze: Am Anfang hatten viele Nationen nur zwei sehr starke Fahrerinnen – wir hatten immer drei und haben dadurch oft mit großem Vorsprung gewonnen. Mittlerweile gibt es aber viele Länder, die auch eine dritte starke Frau dabeihaben, die rücken dann näher – und deshalb müssen wir uns immer weiter steigern. Es wird immer schneller, die Dichte immer größer. Man muss fast jedes Mal Weltrekord fahren, um wieder vorne zu liegen – und manchmal reicht das nur zu Silber.
Wie in Tokio – da entschieden wie so oft Nuancen.
Hinze: Deswegen war das auch noch schwieriger für uns zu akzeptieren, dass wir Silber gewonnen haben. Denn: Lea ist so schnell gefahren wie noch nie, ich bin so schnell gefahren wie noch nie. Mehr geht dann auch einfach nicht mehr.
Gibt es für Sie drei überhaupt noch ein Limit?
Friedrich: Wir lassen laufen. (lacht) Sie wollen auf Olympia-Gold hinaus – das sprechen wir nicht gerne aus.
Grabosch: Das ist so ein Ding für uns: Wir reisen dorthin, um möglichst schnell zu fahren.
Und im Idealfall ist es aber Gold?
Grabosch: Im Idealfall kommt eine Medaille dabei raus. (lacht) Welche Farbe es ist, ist nicht egal – aber das sehen wir dann.
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