Paris.. Michael Jung ist mit nun drei Einzel-Siegen der erfolgreichste Vielseitigkeitsreiter der Olympia-Geschichte. Sein Dank gilt Partner Chipmunk.
Es war nur ein kurzer Moment. Ein winziges Innehalten. Gerade hatte Michael Jung Olympia-Gold in der Vielseitigkeit um den Hals gehängt bekommen. Die 15.000 Zuschauer im Stadion vor dem Schlosspark von Versailles feierten den Reitmeister aus Horb in Baden-Württemberg. Da nahm er sich diesen einen Moment für sich: Sanft hielt der 41-Jährige die Medaille in der Hand, schaute sie an. Stolz, beinahe zärtlich. Er war tief bewegt. Dann nahm er sie hoch, präsentierte sie mit breitem Grinsen bei strahlendem Sonnenschein dem Publikum, das noch einmal an Lautstärke nachlegte.
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Versailles hat einen neuen Sonnenkönig. Anders als Ludwig XIV. ist dieser jedoch nicht dem Größenwahn verfallen. Großartiges geleistet hat er dennoch: Zum dritten Mal ist Michael Jung Einzel-Olympiasieger in der Vielseitigkeit. Was ihm schon 2012 in London und 2016 in Rio de Janeiro auf Sam gelungen war, wiederholte er nun mit Chipmunk auch in der royalen Schlosskulisse von Paris. „Das ist schon etwas ganz, ganz Außergewöhnliches, etwas Besonderes“, sagte er später. „Ich habe versucht, hier Schritt für Schritt zugehen. Ich habe an alles andere gar nicht gedacht. Das wird etwas Zeit brauchen, bis ich das realisieren kann.“
Michael Jung krönt gigantische Woche
Michael Jung, König der Reiterei. „The one, the only“, rief die Stadionsprecherin bei seiner Ehrenrunde auf seinem Wallach Chipmunk dem begeisterten Publikum zu. Chipmunk jagte so befreit und mit gespitzten Ohren durch das Stadion, dass er zu ahnen schien, dass ihm und seinem menschlichen Begleiter Besonderes gelungen war. Drei Olympia-Siege im Einzel – das war noch keinem Vielseitigkeitsreiter zuvor gelungen. Dazu kommen Team-Gold (2021 in Tokio) und -Silber (2016). Sein Meisterstück bedeutet nicht nur einen prächtigen Start in die Reiterwettbewerbe, sondern nach dem Triumph von Lukas Märtens im Schwimmbecken auch die zweite Medaille für Deutschland bei diesen Spielen in Frankreichs Hauptstadt – und wieder ist es Gold.
Dreimal habe er nach seinem abschließenden Springen auf die Anzeige schauen müssen, „ob das jetzt tatsächlich stimmt“, gestand Michael Jung. „Ich habe wackelige Knie, ich bin ein bisschen geflasht, überglücklich, es war eine gigantische Woche.“
Nerven behalten, Gold gewonnen
Nach starken Auftritten in der Dressur und im Geländeritt war Jung als Führender ins abschließende Springen gestartet. Doch er machte es spannend. Im ersten Umlauf hatte er sich einen Abwurf geleistet. Der Druck an diesem heißen Tag in Versailles hätte größer nicht sein können. Ein Fehler und die ersehnte Goldmedaille wäre futsch gewesen. So wie am Sonntag bei Ricarda Funk. Die Olympiasiegerin von Tokio lag im Wildwasserkanal von Paris erneut auf Goldkurs, doch ein Fehler am viertletzten Tor kostete sie nicht nur den Sieg, sondern auch die Medaille. Tal der Tränen statt der Gipfel der Freude.
Michael Jung aber behielt die Nerven. Und das obwohl die Konkurrenz herangerückt war. Ein weiterer Patzer, und es hätte noch maximal zu Bronze gereicht. Die Spannung vor seinem Ritt, dem letzten in diesem olympischen Wettbewerb, war zum Greifen. Das ganze Stadion schien den Atem anzuhalten, als der Baden-Württemberger in den Parcours startete. Vor jedem Sprung ein kurzes Zittern, doch Michael Jung meisterte seine letzte große Prüfung. „Ich freue mich riesig über das Gold“, sagte Bundestrainer Peter Thomsen: „Michi hat seinen Traum wahr gemacht, darüber bin ich megaglücklich.“ Mit der Mannschaft hatte Deutschland Gold nach einem Sturz von Christoph Wahler im Geländeritt verpasst, belegte Platz 14. Doch die Enttäuschung wich nun großer Freude.
Tokio-Olympiasiegerin Julia Krajewski wird Elfte
Im Ziel riss Michael Jung die Faust nach oben, klopfte seinem Partner Chipmunk lobend den starken Hals, gab ihm einen Kuss. Ohne ihn, das weiß ein Reitmeister wie Jung, wäre sein Erfolg nicht möglich gewesen. „Ich bin so dankbar meinem Pferd gegenüber“, sagte der goldene Reiter anschließend. „Er hat mich wieder gerettet auf der letzten Linie. Was der für eine Kraft hat, für eine Ruhe, das ist wirklich phänomenal.“
Immer wieder schloss er im ersten Interview nach seinem Triumph die Augen, als müsse er alles, was gerade geschah, in sein Inneres schieben. Er gestand gerührt und mit gesichtsfüllendem Grinsen: „Ich muss das irgendwie erstmal verinnerlichen.“ Tokio-Siegerin Julia Krajewski war mit ihrem jungen Pferd Nickel Elfte geworden. Silber gewann die Britin Laura Collett, die mit Großbritannien Team-Olympiasiegerin wurde, auf London 52. Bronze ging an Christopher Burton aus Australien mit Shadow Man.
Bei der Siegerehrung applaudierten die beiden Medaillengewinner Michael Jung mehr als nur anstandshalber. Der freundliche, zurückhaltende Deutsche wird von der Konkurrenz extrem geschätzt, schon lange gilt er als bester komplettester Reiter. Seit Montag gibt es daran keine Zweifel mehr.
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