Paris. Tennis-Star Rafael Nadal verliert bei den Olympischen Spielen in Paris gegen Novak Djokovic. Über Abschied möchte er nicht sprechen.
Ass und Aus. Rafael Nadal weiß das sofort. Der gelbe Filzball rauscht viel schneller an dem 38-Jährigen vorbei, als er sich aus der vorgebeugten Position – bereit, den Aufschlag von Novak Djokovic zu returnieren – erheben kann. Für einen Moment sind die Augen zu, Nadal nimmt sich das durchschwitzte Stirnband herunter, geht sicheren Schrittes Richtung Netz des Court Philippe Chatrier. Für das letzte Mal als Berufs-Tennisspieler in einem Einzel, hier in Roland Garros. Die beiden Generationsgefährten, die sich eben zum 60. Mal gegenüberstanden, eine Dynastie bildeten, strecken die Arme aus. Ein kurzer inniger Moment nach so viel Rivalität. Zwei Giganten, die die Welt um sich herum in diesem Augenblick so winzig erscheinen lassen.
Olympia 2024: “Game, Set, Match – und Karriere?” für Nadal?
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Gefasst klatscht Rafael Nadal nach dem 1:6, 4:6 gegen den Weltranglisten-Ersten aus Serbien ein paar Mal, wirft er Kusshändchen in die Menge, als er vor der Sentimentalität davonläuft. Auch wenn einige Fans ein paar Tränchen verdrücken, droht die Seine unweit der Anlage deswegen noch nicht über die Ufer zu treten. Es wird noch den bewegenden Abschied geben, bei dem Rafael Nadal das sagt, wovon alle ausgehen: dass er nicht mehr als der größte Spieler, den Roland Garros jemals gesehen hat, zurückkommen wird, vielleicht Paris sogar ganz als letzten Stopp seiner langen Tennisreise betrachten wird. Game, Set, Match – und Karriere? „Ich will jeden Tag mein Bestes geben“, sagt Nadal. „Wenn ich mich entscheide, nicht mehr spielen zu wollen, werde ich euch das wissen lassen.“ Mit seinem Landsmann Carlos Alcaraz steht er ja noch in der zweiten Runde des olympischen Doppel-Turniers.
Doch sein „Grande Finale“ hatte der 38-Jährige nun. Es hätte keinen besseren Ort dafür geben können als das Stade Roland Garros im 16. Arrondissement, das mit dem Namen Rafael Nadal so verbunden ist wie keine weitere Arena der Tenniswelt mit einem anderen Spieler. Auch wenn Djokovic zehnmal die Australian Open gewann und Roger Federer achtmal Wimbledon. Schon Stunden vor dem Duell mit Djokovic herrscht Trubel am südlichen Ende des Bois de Boulogne, wo alles der terre battue gewidmet ist, der ziegelroten Asche. 14 seiner 22 Grand-Slam-Titel hat der Kannibale, wie französische Gazetten Nadal nennen, hier bei den French Open gewonnen, 112 seiner 115 Partien. Viel schöner ist doch Sandkönig Rafa XIV, oder?
Olympia 2024: Kein anderer Spieler steht für Paris wie Rafael Nadal
Schließlich ist Rafael Nadal längst adoptierter Pariser. Er fühle sich „wirklich sehr geliebt von den französischen Zuschauern“, sagt er. Und er liebt Roland Garros. Die Australian Open in Melbourne sind wild, Wimbledon ist traditionell bis spießig, die US Open laut und prollig. Die French Open in Paris sind cool und lässig. Sonnig und frei. Spektakulär und sagenumwoben. Das liegt vor allem an dem Mann, der inzwischen trotz der gegerbten mallorquinischen Haut ausgelaugt aussieht, harte Kanten im Gesicht hat, aber noch Oberarme eines 20-Jährigen.
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Was es so schwierig gemacht hat, gegen ihn zu spielen, erst recht ihn zu besiegen? Für den Russen Karen Chatschanow waren Begegnungen mit dem Sand-Dominator Erfahrungen „wie an der Playstation, wenn der Ball eh immer wieder kommt“. Caspar Ruud war vor zwei Jahren der Letzte, der gegen Nadal ein Finale verlor. „Er lässt dich leiden. Er nimmt die erst die Beine, dann den Kopf“, sagte der Norweger. Auf dem Weg zum 14. Triumph traf Nadal auf Alexander Zverev, der deutsche Olympiasieger musste im Halbfinale verletzt aufgeben. Seine Lehren aus den sandigen Rutschpartien gegen den Spanier? „Du kannst dich tatsächlich auf der Siegerstraße wähnen – bist es am Ende aber doch nicht. Dieses Gefühl habe ich nur gegen Nadal auf Asche gehabt.“
Olympia 2024: Der Körper fordert bei Nadal Tribut
Nadal, der Kämpfer und der Vollstrecker. Mit Athletik und Intensität, mit Widerstandsfähigkeit und Leidenschaft. In den vergangenen beiden Jahren sei er „nicht mehr sehr wettbewerbsfähig“ gewesen; sein Körper ließ ihn zunehmend im Stich. Der Fuß, das Knie, die Bauchmuskeln, die Rippen, die Hüfte. „Ich gebe immer hundert Prozent, wenn ich auf den Platz gehe. Nur so kann ich im Profitennis überleben.“
In Paris werden die Protagonisten auf dem Centre Court mit einem Zitat von Roland Garros empfangen. Zu Ehren des französischen Luftfahrtpioniers trägt die Anlage seit fast 100 Jahren seinen Namen. „La victoire appartient au plus opiniâtre“ steht zwischen Ober- und Unterrang geschrieben: Der Sieg gehört dem Hartnäckigen. Als sich für Rafael Nadal der Kreis mit Novak Djokovic schließt – das erste ihrer 60. Matches trugen sie im French-Open-Viertelfinale 2006 aus –, fehlt dem Spanier die benötigte Widerstandskraft: „Ich konnte ihn nicht in schwierige Situationen bringen. Er hat viel besser gespielt als ich – vom Anfang bis zum Ende.“
Olympia 2024: Djokovic hofft auf weitere Duelle mit Nadal
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„Rafa, Rafa“ schreien die Zuschauer, um ihren Liebling zu pushen. Es hilft nicht viel, leichte Fehler und mit der Schlägerkante getroffene Bälle begünstigen Djokovics Überlegenheit. Nadal kann zwar immer wieder die die Hand zur Faust ballen und in den heißen Pariser Himmel strecken. Doch selbst die Aufholjagd im zweiten Durchgang zum 4:4 nach 0:4 bringt nicht die erwünschte Wende. Eben Ass und Aus. Der zwei Jahre jüngere Djokovic muss sich seiner Kaltschnäuzigkeit nicht schämen, sagt: „Ich hoffe im Sinne der Rivalität, dass wir uns zumindest einmal oder einige Male noch gegenüberstehen werden. Je mehr er spielt, desto mehr gewinnt das Tennis.“
Gut möglich, dass dem Tennis nach Paris aber schon ein großer Verlust ins Haus steht.
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