Essen. Lamine Yamal begeisterte bei der EM – viele deutsche gleichaltrige Spieler, die kürzlich U17-Weltmeister wurden, sind im Wartestand. Warum?

Stolz sitzt Lamine Yamal am späten Sonntagabend im Berliner Olympiastadion auf den Aufbauten für die Siegerehrung, auf denen er wenige Minuten zuvor noch wippend stand und auf den magischen Moment wartete, in dem Spaniens Kapitän Álvaro Morata den EM-Pokal in die Höhe reckt. Während Yamal dort sitzt, ist ihm möglicherweise auch kurz durch den Kopf gegangen, welch kometenhaften Aufstieg im Profifußball er bereits hingelegt hat. Mit gerade einmal 17 Jahren Europameister, bester junger Spieler des Turniers, jüngster EM-Torschütze der Geschichte – diese Bestmarken stellte er allein in den vergangenen Tagen auf. Dass er bereits mit 15 Jahren bei den Profis des großen FC Barcelona debütierte, dass er längst nicht mehr aus der Mannschaft wegzudenken ist, die neuerdings von Ex-Bundestrainer Hansi Flick trainiert wird, das gehört inzwischen auch zu den Beschreibungen über Yamal.

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Der Zahnspangenträger ist schon in seinem jungen Alter ganz oben angekommen im Fußball-Geschäft, in dem die Früchte oft so hoch hängen, wie in keiner anderen Sportart. Zu „rising stars“ werden viele Jugendspieler gemacht, den konsequenten Durchbruch schaffen nur die Wenigsten. Diese Erkenntnis reift dieser Tage auch in Deutschland. Gut ein halbes Jahr ist es her, da gewann die U17 des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) die Weltmeisterschaft, angeführt von Paris Brunner, der dieser Tage mit den Profis von Borussia Dortmund die Saisonvorbereitung bestreitet. Sie wurden zur goldenen Generation heraufbeschworen. Vereinzelt forderten Experten und Reporter etwa Brunner damals sogar für den EM-Kader von Julian Nagelsmann. Mit etwas Abstand aber lässt sich festhalten, dass zwischen dem deutschen Nachwuchs und einem Yamal momentan Welten liegen.

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Spanien ist Europameister - verdienter geht es nicht

19:04 - Inside Schalke

DFB-Talent Noah Darvich spielt beim FC Barcelona – aber nur in der 2. Mannschaft

Zumindest räumlich nah dran war in der vergangenen Saison U17-Weltmeister-Kapitän Noah Darvich. Der ebenfalls 17-Jährige wechselte im vergangenen Sommer vom SC Freiburg zum FC Barcelona, groß genug ist das Talent des zentralen Mittelfeldspielers allemal. Doch anders als Yamal, der in La Liga zum Stammpersonal gehörte, konnte sich Darvich in der zweiten Mannschaft der Katalanen in der 3. spanischen Liga nicht durchsetzen, ähnlich erging es auch Brunner beim BVB. Und auch andere U17-Weltmeister wie Bilal Yalcinkaya (Hamburger SV) und Final-Torhüter-Held im Elfmeterschießen Konstantin Heide (SpVgg Unterhaching) sind im Profi-Geschäft bislang nicht angekommen. Einzig Assan Ouedraogo (18) ließ seine Fähigkeiten in der 2. Bundesliga beim FC Schalke 04 immer wieder aufblitzen und ist in diesem Sommer auch aufgrund dessen zum Champions-League-Klub RB Leipzig gewechselt.

Noah Darvich spielt beim FC Barcelona und war Kapitän der U17-Weltmeister.
Noah Darvich spielt beim FC Barcelona und war Kapitän der U17-Weltmeister. © dpa | Achmad Ibrahim

Ein deutscher Yamal? Der ist derzeit also erst einmal nicht in Sicht, um in zwei Jahren bei der Weltmeisterschaft in Nordamerika eine ähnliche Rolle im DFB-Team einzunehmen, wie Lamine Yamal es für die Spanier während der EM tat. Das Problem haben sie beim DFB längst erkannt. „Ich habe da von meiner Seite erheblichen Druck drauf gegeben, weil ich glaube, dass wir da zu einem Ergebnis kommen müssen“, sagte DFB-Präsident Bernd Neuendorf schon im März. Zwar haben bei der EM mit Jamal Musiala und Florian Wirtz (beide 21) zwei Jungspunde überzeugen können, doch die Generationen danach schicken sich derzeit nicht an, den ganz großen Sprung zu schaffen. Spanien, Frankreich, England, selbst Italien – in vielen europäischen Ländern scheint der Quell an jungen Talenten deutlich effektiver zu sprudeln.

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Denn zur Wahrheit gehört auch, dass in Deutschland viele als „Toptalente“ hochgejubelte Spieler wie etwa Youssoufa Moukoko den finalen, großen Schritt nicht gehen konnten. Einen Tag nach seinem 16. Geburtstag wurde der heute 19-Jährige 2020 bei Borussia Dortmund zum jüngsten Debütanten in der Fußball-Bundesliga. Doch obwohl der BVB ihm anschließend auch immer wieder Zeit zur Entwicklung gab, gelang es dem Stürmer bislang nicht, eine prägende Rolle beim Champions-League-Finalisten der vergangenen Saison einzunehmen.

„Wir sind in den letzten zehn Jahren sukzessive schlechter geworden, was die Anzahl der Spitzenspieler angeht“, sagte deshalb Professor Ralf Lanwehr in der ZDF-Doku „Keine Talente, keine Titel – Deutscher Fußball-Nachwuchs in der Krise“. Vor allem die Quantität lässt zu wünschen übrig, was auch daran liegt, dass viele Bundesligisten ihre zweiten Mannschaften im Seniorenbereich vor Jahren abgeschafft hatten. Der VfL Bochum etwa korrigierte diesen vermeintlichen Fehler zu dieser Saison, will so seinen Nachwuchsspielern einen Zwischenschritt vom Jugendbereich zur Bundesliga ermöglichen.

Im Eishockey halfen Quoten in der Entwicklung der Nationalmannschaft

Die Fehler der Vergangenheit aber haben noch länger Auswirkungen. Dabei ist der DFB mit 7,1 Millionen Mitgliedern noch immer der größte Sportverband der Welt, doch die Jugendförderung hat der Verband verschlafen. Aus diesem Grund hat der DFB die Spielformen in der Jugend geändert, die Ausbildung wurde angepasst. Doch bis sich das in der Durchlässigkeit widerspiegelt, braucht es Zeit. Vielleicht sogar feste Quoten, wie es sie in der Deutschen Eishockey-Liga DEL gibt. Die Erfolge der vergangenen Jahre geben den Machern im deutschen Eishockey recht.

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Für Darvich, Brunner und Co. wird das aber keine Auswirkungen mehr haben. Sie müssen sich nun im Profibereich durchsetzen. So sind die größten Hoffnungen aus deutscher Sicht für die WM 2026 daher ohnehin eher Maximilian Beier (TSG Hoffenheim) und Brajan Gruda (Mainz 05) – aber die sind eben schon jetzt mindestens 20 Jahre alt. Die Generation dahinter muss erst noch zeigen, dass sie in den Kreis mit vorstoßen kann.

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