Berlin. Der Fluch hält an. Wieder kein Titel. England wird sich neu sortieren. Trainer Southgate könnte aufhören. Es fällt der Name Klopp.

Montagmorgen am Potsdamer Platz, früher stand hier die Berliner Mauer, heute fahren Autos über eine große Verkehrsstraße, Fahrradfahrer huschen vorbei, Touristinnen suchen nach passenden Motiven. Vor dem Ritz-Carlton, ein Fünf-Sterne-Hotel, parken zwei blaue Busse. In weißer Schrift steht „England“ auf beiden, wodurch niemandem entgeht, dass in dem Gebäude die besten Fußballer des Landes übernachtet haben. Ein paar Fans warten vor dem Eingang in der Hoffnung auf Selfies, einige Journalistinnen und Journalisten haben ihre Kameras aufgebaut in der Hoffnung auf gute Bilder. Eigentlich sollte in dem weißen Gebäude eine große Party stattfinden. Doch wieder klappte es nicht.

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Spanien ist Europameister - verdienter geht es nicht

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England hat das Europameisterschaftsfinale 1:2 gegen Spanien verloren, der Traum vom ersten Titel seit 1996 platzte durch das späte Tor von Mikel Oyarzabal. Die Trauer darüber drückte sich in den Tränen des Torhüters Jordan Pickford aus. Sturmstar Harry Kane verzog sich in der Nacht im Stadion als erster im Mannschaftsbus. Phil Foden ging wortlos davon, Bukayo Saka folgte ihm. Jude Bellingham sagte: „Es bricht einem das Herz. Wir alle wollten nichts mehr, als Geschichte zu schreiben und die Leute in England stolz zu machen.“

EM 2024: Spanien ist Europameister - News und Hintergründe

Angetreten war die Mannschaft von Trainer Gareth Southgate, um den Fluch der Erfolglosigkeit bei großen Turnieren zu brechen. Mit Ach und Krach überstand sie die ersten Phasen der EM, steigerte sich, auch den Rasen von Berlin konnte sie erhoben Hauptes verlassen. Nach der Führung von Nico Williams (47.) hatten sich die Engländer zurückgekämpft, der eingewechselte Cole Palmer (73.) erzielte den Ausgleich. Kurz schien es so, als könnte das Momentum in Richtung der englischen Elf kippen. Dann übernahm Spanien wieder das Kommando, Mikel Oyarzabal traf zur Entscheidung (86.).

Wieder nicht. Jude Bellingham geht am EM-Pokal vorbei.
Wieder nicht. Jude Bellingham geht am EM-Pokal vorbei. © AFP | JAVIER SORIANO

England-Trainer? Jürgen Klopp wird bereits ins Spiel gebracht

Und so bleibt die Erkenntnis, dass es trotz der vielen hochbewerteten Fußballer in den eigenen Reihen nicht reichte, um den neuen Europameister ernsthaft ins Wanken zu bringen. Southgate hat seine Auswahl zweimal nacheinander in ein EM-Endspiel geführt, aber keinen Pokal in den Händen gehalten. Ob der 53-Jährige weitermacht, muss erst noch geklärt werden. „Ich glaube nicht, dass jetzt ein guter Zeitpunkt ist, eine solche Entscheidung zu treffen“, sagte er. Englands Legende Gary Lineker brachte bereits Jürgen Klopp ins Spiel. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass sich die Spekulation in den kommenden Wochen immer wieder in die Höhe stapeln werden.

Gut möglich, dass sich auch die Mannschaft verändern wird. Kapitän Harry Kane, 30, erlebte ein enttäuschendes Turnier, wirkte angeschlagen und lange nicht so bestechend wie beim FC Bayern. In der entscheidenden Phase nahm ihn Southgate vom Feld, brachte Ollie Watkins, 28. Vielleicht war dies ein Fingerzeig für die Zukunft. „Es ist nicht leicht, in diese Endspiele zu kommen. Man muss es nehmen, wenn es kommt - und das haben wir wieder nicht getan. Es ist extrem schmerzhaft und wird noch lange wehtun“, sagte Kane. Weiterhin fehlt ihm ein großer Titelgewinn in seiner Karriere.

Jude Bellingham: „Ab einem bestimmten Punkt müssen wir liefern“

Auch Jude Bellingham konnte die EM nicht so prägen, wie sich das viele erhofft hatten. Der 21-jährige Mittelfeldspieler, der vor einem Jahr von Borussia Dortmund zu Real Madrid wechselte, lieferte einen großen Moment durch sein artistisches Fallrückzieher-Tor gegen die Slowakei. Im Endspiel bereitete er den Ausgleich vor, doch die kräfteraubende Saison schien sich bei ihm bemerkbar zu machen. Nach dem Schlusspfiff trat er wütend eine Eistonne um. „Wir sind immer noch eine junge Mannschaft, aber ab einem bestimmten Punkt müssen wir auch liefern“, meinte Bellingham. „Wir haben in den letzten Wochen viele Opfer erbracht. So viel zu geben und dann auf diese Art und Weise zu verlieren, ist grausam.“  

Der englischen Elf fehlt es an einem spielstarken Sechser wie ihn Spanien in Rodri hat. Es fehlt ihr an einstudierten Offensivabläufen, an dem Mut, weit vorne anzugreifen. Durch den pragmatischen Sicherheitsfußball unter Southgate sind die Three Lions in allen Turnieren weit gekommen, für die Krönung aber fehlte die Fähigkeit, ein Spiel zu dominieren.

Später am Montag verließen Englands Fußballer das edle Ritz-Carlton, um in die Heimat zurückzukehren. Die geplante Siegesparade in London wurde abgesagt. Keine Ekstase, kein Rausch. Der Schmerz nach 58 Jahren ohne Titel hält weiter an. Aber: Bei der kommenden Weltmeisterschaft 2026 werden sie wieder versuchen.