Dortmund. Dank eines späten Tors von Ollie Watkins zieht England ins EM-Finale ein und die Niederlande scheiden trotz ordentlicher Leistung aus.
Ollie Watkins war nicht zu bremsen: Der englische Angreifer sprintete los, in Richtung Seitenlinie, mit weit aufgerissenen Augen und noch weiter aufgerissenem Mund. Erst vier, fünf, sechs englische Ersatzspieler, die allesamt auf den Rasen gelaufen waren, konnten Watkins stoppen, brachten ihn zu Fall, begruben ihn unter einer Jubeltraube.
Denn Watkins hatte spät, ganz spät, in der 90. Minute dieses Europameisterschafts-Halbfinals gegen die Niederlande die entscheidende Aktion gesetzt, hatte mit seinem Treffer zum 2:1 dafür gesorgt, dass England am Sonntag das Finale gegen Spanien spielen darf – und die Niederländer ins Tal der Tränen gestürzt, die Party in Oranje jäh beendet.
Denn genau das hatte Dortmund den ganzen Tag über erlebt: Über 100.000 Niederländer waren gekommen, sie hatten es ja nicht weit, die ganze Stadt war in Orange getaucht, die immerhin 25.000 Engländer klar in der Unterzahl. Im Stadion dominierte Oranje ebenfalls auf den Rängen – und auch auf dem Rasen gelang ihnen das erste Ausrufezeichen: Xavi Simons jagte Declan Rice tief in der englischen Hilfe robust den Ball ab, machte ein paar Schritte und zog aus 20 Metern ab. Der Ball flog scharf und mit unangenehmer Flugkurve über Torhüter Jordan Pickford hinweg, sah dabei aber nicht unhaltbar aus (7.).
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Früher Führungstreffer für die Niederlande
Das ganz frühe 1:0 für die Niederlande und damit die Frage: Wie würden die Engländer damit umgehen, die bislang in diesem Turnier mit äußerst vorsichtigem Fußball aufgefallen waren, die trotz aller Offensivpower im Kader stets auf eine sichere Defensive bedacht waren. Nun aber mussten sie reagieren, und sie reagierten erstaunlich angriffslustig, kombinierten rasch nach vorne.
Wie nach rund einer Viertelstunde: Bukayo Sakas Schuss wurde zwar noch geblockt, Harry Kane jagte den Abpraller über das Tor – machte dabei aber äußerst unangenehme Bekanntschaft mit Denzel Dumfries, der mit gestrecktem Bein in den Fuß des englischen Stürmers flog.
Der deutsche Video-Assistent Bastian Dankert bat den deutschen Schiedsrichter Felix Zwayer vor den Bildschirm, und es war klar, was kommen musste: Elfmeter. Kane nahm sich der Sache an, schoss entschlossen neben den Pfosten und ließ Bart Verbruggen, der die Ecke sogar geahnt hatte, ohne Abwehrchance (18.).
Engländer spielen druckvoll und angriffslustig
Der schnelle Augleich, der zeigen sollte: Dieses Spiel würde ganz anders werden als erwartet. Die im bisherigen Turnier so uninspirierten Engländer spielten druckvoll und angriffslustig, wie man sie noch nicht gesehen hatte, vorne durften sich Kane, Phil Foden, Kobbie Mainoo und Jude Bellingham als Freigeister austoben, um das mannorientierte Spiel der Niederländer immer wieder auseinanderzuziehen.
Das schien auch die Elftal zu überraschen, sie musste mit ansehen, wie Mainoo wunderbar durchsteckte auf Foden, wie Verbruggen den Schuss des Engländers nicht entscheidend abwehren konnte, aber Dumfries auf der Linie klärte (23.). Nicht viel später setzte Foden einen Schlenzer aus 20 Metern an den Pfosten (32.).
Zuvor waren auch die Niederländer wenigstens einmal richtig gefährlich geworden: Dumfries köpfte nach einem Eckball an die Latte (23.). Doch die Engländer waren gefährlicher, bestimmten das Spiel. Bondscoach Ronald Koeman reagierte entsprechend: Als sich Angreifer Memphis Depay verletzte, brachte er Mittelfeldspieler Joey Veerman, um das Zentrum abzudichten (35.). Zur zweiten Halbzeit allerdings wechselte er dann den kantigen Mittelstürmer Wout Weghorst für den Dortmunder Donyell Malen ein, der in seinem Heimstadion äußerst blass geblieben war.
Letzter Angriff sorgt für die englische Party
Tatsächlich sollte dies den Schwung der Engländer einbremsen, im zweiten Durchgang passierte erst einmal lange nichts – und dann waren es wieder die Niederländer, die zuerst gefährlich wurden: Virgil van Dijk lenkte einen Freistoß aufs Tor, doch Pickford reagierte diesmal stark und klärte zur Ecke (65.). Oranje gab nun den Ton an und die Engländer spielten wieder den passiven Part, den man von ihnen erwartet hatte, verteidigten aber konsequent. So bleiben Torchancen eine Rarität.
Dann aber ein letzter Angriff: Cole Palmer spielte einen flachen Pass in den Strafraum, Watkins nahm auf, bei ihm Stefan de Vrij. Die Situation sah harmlos aus, doch Watkins drehte sich blitzschnell und drosch die Kugel aus spitzem Winkel ins lange Eck, Verbruggen flog abermals vergeblich – und der Rest war nun eine gigantische englische Party.