Berlin/Leipzig. Merih Demiral feiert seinen Treffer für die Türkei mit dem faschistischen Wolfsgruß. Wird die UEFA ihn im EM-Viertelfinale sperren?
Demiral trifft zum 0:2 – und reckt die Hände in den Nachthimmel über Leipzig. Zeigefinger und kleiner Finger streckt er aus, Ring- und Mittelfinger treffen den Daumen – fertig ist der „Wolfsgruß“, ein Handzeichen, das als Symbol der „Grauen Wölfe“ gilt. Nach dem Spiel wird er zum Man of the Match gewählt, trotzdem.
Der Gruß, den Demiral da zeigt, ist eine als rechtsextrem eingestufte Geste, angeleht an die Geste vom „Grauen Wolf“, ein Erkennungszeichen der nationalistischen und rechtsextremen „Ülkücü“-Szene, schreibt der Bundesverfassungsschutz.
12.000 Mitglieder hat die Bewegung in Deutschland, der Verfassungsschutz beobachtet sie. Sie ist die größte rechtsextreme Organisation hierzulande. In der Türkei ist die ultranationalistische MHP ihre politische Vertretung und Bündnispartnerin der islamisch-konservativen AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Die „Idealisten“ haben in den 1970er-Jahren zahlreiche Morde begangen, andere Gewalttaten gehen ebenfalls auf ihr Konto.
Kurdisch-stämmige Menschen sprechen von „Menschenverachtung“
Was für eine Dimension Demirals Gruß hat, erklärt die kurdisch-deutsche Autorin Düzzen Tekkal schon kurz danach. Bei X schreibt sie, sie bekäme seit Jahren Morddrohungen von Anhängern der „Grauen Wölfe“. Sie stellt klar: „Dass Merih Demiral hier den rechtsextremen Wolfsgruß zeigt, ist eine Verhöhnung der Opfer.“ Demirals Gruß sei so „bitter für die türkischen Fans“.
Ich kann und werde hierzu nicht schweigen. Seit Jahren bekomme ich von Anhängern der #GrauenWölfe, einer der größten rechtsextremen Gruppen in 🇩🇪Morddrohungen. Dass Merih Demiral hier den rechtsextremen Wolfsgruß zeigt, ist eine Verhöhnung der Opfer. So bitter für die 🇹🇷 Fans. pic.twitter.com/MOp4Sed7Wt
— Düzen Tekkal (@DuezenTekkal) July 2, 2024
Der türkische Exiljournalist und Autor Can Dündar schreibt dazu auf X: „Glückwunsch, Merih! Mit einem einzigen Zeichen hast du die 100-prozentige Freude auf 5 Prozent verringert.“
Der in Duisburg geborene, kurdisch-stämmige Autor Burak Yilmaz erklärt ebenfalls bei X: „Heute ist der Gedenktag an Madimak (ein Pogrom an alevtischen Menschen im Jahr 1993 mit 37 Toten, d. Red.). Dass Demial den rechtextremen Wolfsgruß zeigt, ist nicht nur pure Menschenverachtung, sondern eine widerliche Verhöhnung der Opfer.“ Er fordert „harte Konsequenzen“ seitens der Uefa.
Bundesinnenministerin Faeser: „Völlig inakzeptabel“
Nicht nur Kurden und Türken sind angesichts der Geste Demials empört. Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) findet deutliche Worte: „Die Symbole türkischer Rechtsextremisten haben in unseren Stadien nichts zu suchen. Die Fußball-Europameisterschaft als Plattform für Rassismus zu nutzen, ist völlig inakzeptabel“, teilte die SPD-Politikerin am Mittwoch mit.
Faeser forderte in einem Beitrag auf der Plattform X die Europäische Fußball-Union zu einer Reaktion auf. Die Innenministerin schrieb weiter: „Unsere Sicherheitsbehörden haben türkische Rechtsextremisten in Deutschland fest im Blick. Die „Grauen Wölfe“ stehen unter der Beobachtung des Bundesamts für Verfassungsschutz.“
Demiral redet sich raus: „Bin stolz“
Und Demiral? Scheint sich keines Vergehens bewusst. „Wie ich gefeiert habe, hat etwas mit meiner türkischen Identität zu tun“, sagte Demiral nach Mitternacht im Leipziger EM-Stadion. „Deswegen habe ich diese Geste gemacht. Ich habe Leute im Stadion gesehen, die diese Geste auch gemacht haben.“ Es stecke „keine versteckte Botschaft“ dahinter.
„Wir sind alle Türken, ich bin sehr stolz darauf, Türke zu sein und das ist der Sinn dieser Geste“, sagte er. „Ich wollte einfach nur demonstrieren, wie sehr ich mich freue und wie stolz ich bin.“ Es werde hoffentlich noch mehr Gelegenheiten geben, diese Geste zu zeigen.
Lesen Sie auch: Faschistisches Handzeichen: Was steckt hinter dem „Wolfsgruß“?
Nach Wolfsgruß: Wird Demiral von der UEFA gesperrt?
Doch wird Demiral seine Mannschaft im Viertelfinale überhaupt unterstützen können? Am Mittwoch werden Forderungen nach einer Sperre für Demiral laut. Die UEFA war in den Vorrunden-Spielen gegen politischen Extremismus vorgegangen. Der albanische Spieler Mirlind Daku soll Fans nach dem 2:2 gegen Kroatien Mitte Juni mit einem Megafon zugerufen haben: „Tötet die Serben, tötet die Mazedonier“. Aufgrund dieser nationalistischen Gesänge sperrte die UEFA den Spieler für zwei Partien.
Die Kontroll-, Ethik- und Disziplinarkammer der UEFA habe Daku gesperrt, „weil er die allgemeinen Verhaltensgrundsätze nicht beachtet, gegen die Grundregeln des anständigen Verhaltens verstoßen, Sportveranstaltungen für unsportliche Äußerungen genutzt und den Fußballsport in Verruf gebracht hat“, hieß es in einer offiziellen Mitteilung.
Ähnliches könnte nun auch für Merih Demiral gelten. Die UEFA hat ein Untersuchungsverfahren eingeleitet, es gehe um angeblich unangemessenes Verhalten, teilte der Verband mit. Sollte Demiral bestraft werden, könnten ihm Folgen für das anstehende Viertelfinale gegen die Niederlande drohen.
pcl/pvt/mit dpa