Herzogenaurach. Die DFB-Auswahl spielt nach dem Gruppensieg im Achtelfinale in Dortmund. Was gut läuft – und wo sich Deutschland verbessern muss.
Andreas Rettig war gut vorbereitet, als er sein persönliches Vorrundenfazit zog. Der Geschäftsführer Sport des Deutschen Fußball-Bundes hatte ein Tablett Früh Kölsch dabei, ehe der Kölner im deutschen EM-Quartier in Herzogenaurach seine bisherige EM-Bilanz wie eine Büttenrede präsentierte. Zehn Spiele mit 25 Toren und drei Flitzern habe er gesehen. Die vollste Bahnfahrt erlebte Rettig in der Berliner S3 auf dem Weg zum Olympiastadion mit Fans von Polen und Österreich. Die längste Bierschlange beobachtete er in Frankfurt und die eindrucksvollsten Fangesänge hörte er in Dortmund, als die türkischen Fans „mit Inbrunst Türkiye“ skandierten. „Das war mein persönliches Highlight“, sagte Rettig.
Dass der Geschäftsführer mit der bisherigen EM zufrieden ist, liegt aber weniger an seinen persönlichen Erlebnissen, als vielmehr an den deutschen Ergebnissen. „Machen wir uns nichts vor: Am Ende geht es um Ergebnisse“, sagte Rettig nach der Gruppenphase, die die DFB-Auswahl mit zwei Siegen gegen Schottland (5:1) und Ungarn (2:0) sowie einem Last-Minute-Remis gegen die Schweiz als Gruppensieger abschloss.
Andreas Rettig spricht über Nagelsmann
Die erfolgreiche Vorrunde sei vor allem das Verdienst von Bundestrainer Julian Nagelsmann und seinem Trainerteam. Die frühzeitige Vertragsverlängerung von Nagelsmann bis 2026 war in diesem Zusammenhang ein zentraler Baustein. „Alle haben sich früh und überzeugend für eine weitere Zusammenarbeit ausgesprochen“, sagte Rettig, der durch den Gruppensieg auch nicht mehr von der Rauswurf-Klausel Gebrauch machen musste, wonach der DFB sich von Nagelsmann hätte trennen können.
EM 2024: Spanien ist Europameister - News und Hintergründe
- EM: England weint, Kane wird das „ganze Zeit lang wehtun“
- Diese sechs Spieler sind EM-Torschützenkönige
- Spanien bejubelt EM-Titel: „Wir haben sehr viel gelitten“
- Spanien siegt durch spätes Tor - England trauert weiter
- Ticker zum Nachlesen: Spanien nach Final-Drama Europameister
Stattdessen geht es nun im Achtelfinale am Samstag nach Dortmund. Rettig hofft, dass die positive Stimmung in Deutschland rund um die Nationalmannschaft dann einen weiteren Schub erhält. „Wir wünschen uns, dass da etwas entsteht. Wir wollen weiter nahbar sein und auf die Menschen zuzugehen. Dann verzeiht der Fan auch einen Fehlpass mehr.“
Deutschland führt Passstatistik bei EM an
Fehlpässe gab es im deutschen Team zuletzt gegen die Schweiz ungewohnt viele. In der Gesamtstatistik führt Nagelsmanns Mannschaft die Passbilanz aber deutlich an. 92,58 Prozent der 2022 Pässe kamen an – Platz eins vor den Titelfavoriten Frankreich (91,08) und Spanien (90,06). Die Spanier, mit drei Gruppensiegen das bislang überzeugendste Team des Turniers, spielten deutlich weniger Pässe (1599).
Maßgeblich verantwortlich für diese Bilanz ist Toni Kroos, der gleich zum Auftakt mit einer Passquote von 99 Prozent (102 von 103 Pässen kamen an) einen EM-Rekord aufstellte. Zuletzt hatten sich die Gegner aber immer besser auf das Spiel des Mittelfeldstrategen vorbereitet. „Die anderen Mannschaften stellen sich auf uns ein, die gucken auch unsere Spiele“, sagte Kroos nach dem späten 1:1 gegen die Schweiz. „Wer aufmerksam geschaut hat, konnte sehen, dass wir taktisch etwas verändert haben. Es ist wichtig, dass wir variabel sind. Jetzt kommen die Spiele, in denen wir auf verschiedene Spielstände reagieren müssen“, so Kroos, der in der K.o.-Runde ab jetzt immer das letzte Spiel seiner Karriere vor Augen hat.
DFB-Team noch mit Schwächen bei Standards
Verbessern können sich Kroos und Co. noch bei Standards. Die Deutschen schlugen bislang die meisten Eckbälle (25), ohne dabei allzu gefährlich zu werden. Bis auf den Elfmeter von Kai Havertz gegen Schottland fielen alle Tore aus dem Spiel heraus, was gleichzeitig die größte Stärke der Mannschaft ist. Die DFB-Auswahl erzielte bislang auch die meisten Tore (acht) und hat die beste Tordifferenz (+6) aller EM-Teams, was freilich auch daran liegt, dass noch nicht alle Mannschaften drei Partien absolviert haben.
Viele Gedanken gehen vor dem Achtelfinale bereits Richtung Viertelfinale. Dann könnte Deutschland in Stuttgart auf die starken Spanier treffen. „Puh“, sagte auch Rettig beim Gedanken an diese Mannschaft. „Ich bin bislang beeindruckt von den Spaniern.“
Andreas Rettig lobt Gündogan und Kimmich
Ein gutes Gefühl gibt dem Funktionär die Stimmung in der deutschen Mannschaft. Anders als bei der WM in Katar gibt es keine gesellschaftspolitischen Themen, die die Mannschaft ablenken könnten. Kapitän Ilkay Gündogan und seine Kollegen sollen sich auf die Spiele konzentrieren. „Es ist wichtig, dass wir es den Spielern nicht zu schwer machen. Es hat mir gut gefallen, wie sie sich zu einzelnen Themen äußern, Stichwort Umfrage. Das sind kleine Mosaiksteine, die ich positiv bewerte“, sagte Rettig über die Zeit vor der EM, als sich Gündogan, Nagelsmann und auch Joshua Kimmich mit klaren Worten zur Rassismus-Umfrage des WDR äußerten.
Auch die Zufriedenheit der einzelnen Spieler gilt als wichtiger Baustein. Bis auf die Innenverteidiger Waldemar Anton und Robin Koch sowie Außenverteidiger Benjamin Henrichs kamen bereits 20 Feldspieler zu Einsatzzeiten. Lediglich Leroy Sané wirkt aktuell mit seiner Rolle nicht sonderlich glücklich. Angesichts von Verletzungen und Sperren aber dürfte auch der Münchener noch seine Momente haben. Maximilian Mittelstädt, Antonio Rüdiger und Robert Andrich gehen gelbvorbelastet in das Achtelfinale.
DFB-Team: Für Rettig wäre das Erreichen des Endspiels ein EM-Erfolg
Geht es nach Rettig, führt der Weg der deutschen Mannschaft bis ins Finale nach Berlin. Auf die Frage, ab wann er die EM als Erfolg bewerte, antwortete Rettig mit einem Glas Kölsch in der Hand etwas kryptisch. „Wenn wir noch rund 900 Kilometer zurücklegen“, sagte Rettig und meinte die Einzelstrecken ab dem Achtelfinale vom Basis-Camp in Herzogenaurach aus. Nach einem kurzen Rechnen aller Medienvertreter war klar: Ein Finaleinzug über die Stationen Stuttgart (220 Kilometer/Viertelfinale), München (190/Halbfinale) bis zum Endspielort im Berliner Olympiastadion (450 Kilometer) wäre für Rettig ein Erfolg. Dann hält der Kölner womöglich noch ein echte Büttenrede.