Düsseldorf/Paderborn. Ein Jahr war N‘Golo Kanté verletzt, ein Jahr spielte er in Saudi-Arabien. Bei der EM 2024 gelingt ihm ein bemerkenswertes Comeback.
Natürlich gehörten die Schlagzeilen wieder anderen, vor allem dem Mann mit der Maske. Gefühlt gibt es ja nur noch das eine Thema für die Franzosen, zumindest für jenen Teil der Grande Nation, die sich für Fußball interessiert: Wie steht es um Kylian Mbappé? Zunächst kreisten die Fragen vor allem darum, ob der wohl beste Angreifer der Welt nach seinem Nasenbeinbruch gegen die Niederlande würde spielen können. Antwort: Konnte er nicht. Und nun kreisen die Fragen darum, ob er im abschließenden Spiel gegen Polen am Dienstag (18 Uhr/ZDF und Magenta) auflaufen kann. Antwort: Weiß man noch nicht.
Klar, Mbappé ist der größte Name, der spektakulärste unter vielen spektakulären Offensivspielern, die der Vizeweltmeister aufzubieten hat. Beim 0:0 gegen die Niederlande zeigte sich allzu deutlich, wie abhängig die Équipe Tricolore vom pfeilschnellen Stürmer ist, ohne ihn fehlte den Offensivaktionen die Zuspitzung – weshalb anschließend vor allem über den Mann gesprochen wurde, der nicht dabei war und weniger über jene, die auf dem Platz gestanden hatten.
Zum Beispiel über N‘Golo Kanté, der gegen die Niederlande in Abwesenheit Mbappés zum Spieler des Spiels gekürt wurde – wie übrigens auch in der Partie zuvor beim 1:0 gegen Österreich in Anwesenheit Mbappés. Das war vor allem deswegen erstaunlich, weil diesen Kanté vor dieser Europameisterschaft niemand so richtig auf der Rechnung gehabt hatte. Zwei Jahre hatte der einstmals beste defensive Mittelfeldspieler nicht mehr für die Nationalmannschaft gespielt.
Frankreichs Trainer Didier Deschamps setzte von Beginn an auf N‘Golo Kanté
Fast ein komplettes Jahr war der damalige Chelsea-Profi verletzt ausgefallen und dann wie so viele alternde Stars dem Ruf des noch größeren Geldes gefolgt und in die saudi-arabische Wüste zu Al-Ittihad gewechselt. Dorthin also, wo die Petro-Dollars sprudeln, der Fußball aber bestenfalls mittelmäßig ist. Kann so einer überhaupt noch mithalten in der hochkarätig besetzten französischen Nationalmannschaft? Mehr noch: Kann so einer der Taktgeber sein auf der neuralgischen Position im Zentrum des Spielfelds? Hat er mit 33 Jahren noch die nötige Fitness?
Antwort: ja, ja und ja. Deschamps hatte den Sechser sogleich in die Startelf beordert, ihn den Real-Stars Eduardo Camavinga und Aurelien Tchouameni vorgezogen. Und Kanté spielte, als sei er nie weg gewesen, er rannte, er kämpfte, er fing gegnerische Angriffe ab wie zu besten Zeiten. 73 Ballkontakte, 92 Prozent Passquote, zehn Balleroberungen – das waren die Kennzahlen nach dem Auftaktspiel gegen Österreich. Geniale Dinge stellte er mit dem Ball zwar nicht an, aber das war noch nie seine Stärke und muss es auch gar nicht sein in dem zweckmäßigen Fußball, den Deschamps spielen lässt.
Die Kollegen loben N‘Golo Kanté überschwänglich
Kantés Rolle ist klar umrissen: Er soll selbst nicht zaubern, sondern den Feinfüßen in Angriff den Rücken freihalten, er muss die Balance wahren, die Lücken stopfen und die Bälle zurückholen, wenn sie mal verloren gehen. Jahrelang gab es niemanden im Weltfußball, der das besser konnte als dieser 1,69 Meter große und 68 Kilogramm leichte Musterprofi. So wie er es jahrelang in Perfektion gemacht hat, wie eine beeindruckende Statistik beweist: 16 Turnierspiele hat er für Frankreich bestritten, ein einziges ging verloren – und das erst im Elfmeterschießen.
Und Kanté scheint in zwei Jahren Nationalmannschaftspause kaum etwas verlernt zu haben. „Natürlich war er brillant, er war hellwach und genau das haben wir gebraucht“, lobte Deschamps seinen zentralen Mann nach zwei starken EM-Auftritten, auch die Mitspieler Olivier Giroud und Adrien Rabiot lobten ihn überschwänglich. Unter den Kollegen ist Kanté ohnehin äußerst beliebt: „Er ist ein Engel, jeder mag ihn“, sagt Deschamps.
Auch N‘Golo Kanté hofft auf die Rückkehr von Kylian Mbappé
Der französische Trainer hatte die skeptischen Fragen nach Kanté ohnehin nie verstanden, das ließ er nach dem gelungenen Auftakt gegen Österreich auch recht unverblümt durchblicken. War doch klar, dass so einer nichts verlernt, war doch klar, dass dieser Musterprofi sich auf vorbildliche Weise fit hält, auch wenn er in der Wüste nicht Woche für Woche ans Leistungsmaximum gehen muss.
In der französischen Startelf hat sich Kanté nun erstmal wieder festgespielt, obwohl er doch eigentlich nur als Notnagel für den im Mai noch verletzten Aurélien Tchouameni mitgenommen worden war. Nun hat er den Real-Star verdrängt, wird aller Voraussicht auch gegen die bereits ausgeschiedenen Polen wieder durchs Mittelfeld pflügen – die ganz großen Schlagzeilen aber wird dieser bemerkenswert uneitle Fußballer wieder bereitwillig anderen überlassen. Am liebsten natürlich dem sehnsüchtig zurückerwarteten Maskenmann Kylian Mbappé.