Essen. Christoph Daum wird in der kommenden Woche 70 Jahre alt. Im Interview spricht er über seinen Karriereweg und seine Krebserkrankung.

Christoph Daum steht vor einer großen Schrankwand in seinem Büro und zeigt stolz seine Sammlung. Er hat alles aufbewahrt, feinsäuberlich abgeheftet und nach Vereinen sortiert: Trainingspläne, Sitzungsprotokolle, Vorträge. Im Interview zu seinem 70. Geburtstag spricht er über die Erfahrungen, die er als Fußball-Trainer machte.

Herr Daum, Sie werden in der kommenden Woche 70 Jahre alt. Nennen Sie uns bitte die sieben schönsten Erlebnisse Ihres Lebens.

Christoph Daum: Damit es nicht zu langweilig wird, bündel ich die Geburten meiner vier Kinder als einen Punkt. Die Entbindungen mitzuerleben – das sind unvergessliche Momente. Der zweite Moment ist die Meisterschaft mit dem VfB Stuttgart in Leverkusen. Ich hatte zwar schon Vizemeisterschaften erlebt, aber dann war mit dem ersten Titel endlich ein Kapitel abgeschlossen. Der dritte Höhepunkt war der Aufstieg mit dem 1. FC Köln. Wir waren eine Familie! Nummer vier sind die Meisterschaften mit Fenerbahce. Warum? Wir haben die Meisterschaften 15 und 16 geholt – und für den 15. Titel gab es den dritten Stern auf den Trikots. Es war unglaublich, wie intensiv das gefeiert wurde. An fünfter Stelle muss ich Bayer Leverkusen nennen. Zwar nicht als speziellen Moment – aber dort war es das schönste Arbeiten. Wir wurden unglaublich abgefeiert, die Zusammenarbeit mit Reiner Calmund, Rudi Völler und all den anderen war intensiv und schön. Wir haben den Verein in die Moderne geführt.

Fehlen noch zwei Dinge

Ich hatte großes Glück, mit Ausnahmespielern zu arbeiten: Matthias Sammer, Michael Ballack, Pierre Littbarski… Ich könnte jetzt viele Spieler nennen. Roberto Carlos – das war mir eine Ehre. Eine Freude war es, mit Alexsandro de Souza bei Fenerbahce zusammenzuarbeiten. Den kennt man hier gar nicht, aber der Junge war ein echter Unterschiedsspieler. Ich habe so viele tolle Persönlichkeiten kennengelernt. Als siebten Punkt muss ich das Spiel mit Club Brügge im Europapokal gegen Maribor nennen. Wir liegen nach 70 Minuten mit 0:3 zurück und gewinnen noch 4:3. Das war das denkwürdigste Spiel, das ich erlebt habe.

Das wohl einschneidendste Erlebnis Ihres Lebens ist Ihre Krebsdiagnose gewesen. Wie geht es Ihnen derzeit?

Im Augenblick bin ich absolut zuversichtlich. Ich bekomme regelmäßige Infusionen und mache meine Chemo. Die Behandlungen scheinen anzuschlagen, 50 Prozent der Tumore haben sich zurückgebildet. Aber der Krebs ist heimtückisch. Die Krebs-Diagnose hat meinen Lebensrhythmus verändert, aber nicht mich. Es ist zwar manchmal wie ein Leben in einem anderen Körper, aber ich bin weiterhin der Christoph Daum, der ich immer war. Ich habe in den letzten Monaten viele Bücher gelesen und viele Filme und Serien geguckt. Die DFB-Doku über die WM zum Beispiel.

Nicht gerade aufbauend.

Vor allem nicht authentisch. Das sieht man, wenn man selbst Trainer ist. Ich verstehe ohnehin nicht, warum der DFB nicht selbst gesagt hat, das besser zu lassen. Es muss einen Rückzugsort geben, vor allem bei solch einem Turnier. Wenn da immer ein Kameramann mit dabei ist, kommt man nicht zu sich selbst. Der Teamerfolg muss an erster Stelle stehen – und das wurde beim DFB eine Zeit lang außer Kraft gesetzt. Es wurden zig Marketingmaßnahmen gemacht. Aber die hatten keine Zeit, um Standards zu trainieren? Man muss Prioritäten setzten, vor allem als Trainer. Ein Trainer kann keinen Erfolg garantieren, aber er kann ihn vorbereiten.

Das haben Sie bei Besiktas und Fenerbahce Istanbul geschafft. In einer Sky-Dokumentation über Ihr Leben ist zu sehen, wie Sie dort als Volksheld gefeiert werden. Warum sind Sie in die Türkei gegangen?

Ich bin im kulturellen Melting Pot Ruhrgebiet groß geworden und hatte als Kind schon türkischstämmige Freunde. Die Entscheidung, als Trainer in die Türkei zu gehen, reifte aber nach dem rassistischen Brandanschlag in Solingen auf die Familie Genc. Damals habe ich meinen Familienurlaub umgebucht und bin in die Türkei geflogen, habe Koffer mit Spielsachen vollgemacht und wollte dort zeigen, dass wir Deutschen keine radikalen Idioten sind. Kurze Zeit später kam das Angebot von Besiktas. Da war klar: Ich muss das machen. Ich wollte mit dem sportlichen Engagement auch als Kulturbotschafter für und in beiden Ländern wirken.

Christoph Daum: "Bei Jupp Heynckes ging ich zu weit"

Legendär sind Ihre verbalen Duelle mit Uli Hoeneß und die Angriffe auf den FC Bayern. Würden Sie das heute noch so machen?

Der FC Bayern war damals schon der Branchenführer und man hat mir gesagt, dass ich verbalen Selbstmord begehe, wenn ich den Verein attackiere. Aber ich wollte nie etwas ehrfürchtig abnicken und mich ergeben, wie das gefühlt die Vereine heute tun. Ich habe mich immer für meinen Verein, für meine Region eingesetzt. Dass man beim FC Bayern schon damals bestimmen wollte, welche Angriffe unter der Gürtellinie sind – geschenkt. Bei meinem Angriff gegen Jupp Heynckes bin ich aber zu weit gegangen. Das sehe ich heute als großen Fehler an, für den ich mich häufig entschuldigt habe. Zu meinen anderen Attacken stehe ich, wenngleich ich damit auch auf die Fresse gefallen bin. Dadurch habe ich gelernt, mit Rückschlägen umzugehen. Und es ist nicht so, dass ich die verbalen Attacken nicht auch mit sportlichen Leistungen unterlegt habe.

Der Zwist mit Uli Hoeneß gipfelte in der sogenannten Koks-Affäre, wegen der Sie damals nicht Bundestrainer wurden. Fehlt Ihnen der in der Vita?

Für das eigene Ego habe ich so viele Erfolge gefeiert, dass ich mit Dankbarkeit auf meine bisherige Karriere zurückblicke. Natürlich wäre es für mich eine Riesenehre gewesen, Nationaltrainer meines Heimatlandes zu sein. Ich hätte dem deutschen Fußball gern etwas zurückgegeben. Ich wollte etwas gestalten.

Was war – rein sportlich gesehen – Ihr größter Fehler der Karriere?

Eine Sache bereue ich wirklich: Ich hatte 2015 ein Angebot von Celtic Glasgow, das ich damals nicht angenommen habe. Mir war leider nicht bewusst, dass Celtic einer der größten Klubs der Welt ist.

Heutzutage sind Trainer taktisch hervorragend ausgebildet, dennoch wird die Trainerausbildung kritisiert.

In den letzten zehn Jahren haben sich die Trainer über Mannschaftstaktiken definiert, aber die individuelle Ausbildung ist auf der Strecke geblieben. Die Trainerausbildung hat sich schon verändert, aber ich glaube, dass man da noch mehr machen muss. Als Trainer muss ich meine Spieler dazu bringen, dass sie ihre Eigenverantwortung erkennen. Und ich muss sie richtig anlernen. In der Dokumentation kommen auch ehemalige Spieler zu Wort. Matthias Sammer und Jürgen Kohler etwa betonen, wie ich stundenlang mit ihnen an Kleinigkeiten gearbeitet habe. Ich selbst habe mich früher mit anderen Sportarten beschäftigt und beispielsweise beim Basketball gelernt, wie eng man wirklich verteidigen muss. Das habe ich an meine Spieler weitergegeben. Heute heißt es: das System regelt alles. Stimmt nicht, es geht um die einzelnen Menschen! Diese Erfahrung haben wir seit dem WM-Titel 2014 gemacht. Eine kritische Überprüfung hat beim DFB viel zu lange nicht stattgefunden.

Christoph Daum über Julian Nagelsmann: "Kann wunderbar funktionieren"

Beim DFB hoffen sie, mit Julian Nagelsmann den richtigen Trainer auf dem Weg zur Heim-EM gefunden zu haben. Wie sehen Sie das?

Julian Nagelsmann ist ein absoluter Fachmann und einer der besten Trainer, die wir haben. Julian hat wunderbare Ansätze, das habe ich aus persönlichen Gesprächen mit ihm mitgenommen. Nagelsmann ist unglaublich vorausschauend, hat einen guten Matchplan. In Kombination mit der Menschenkenntnis und Erfahrung von Rudi Völler kann das bei der Nationalmannschaft wunderbar funktionieren.

Ohne Erfahrung geht es nicht?

Nein. Deshalb werbe ich auch für Mentoren für Trainer. Zu Beginn meiner Trainerkarriere hatte ich permanente Rückmeldungen bekommen von erfahrenen Leuten. Das hat mir unglaublich gutgetan. Trotzdem haben wir unter den Trainern, die die Ausbildung durchlaufen, noch nicht die Bereitschaft, sich einen Mentor zu nehmen. Fachlich sind die alle top ausgebildet, da muss ich denen nichts erzählen. Was man aber nicht lernen kann, das ist Erfahrung. In der Wirtschaft ist es längst üblich, dass Führungspersonen Mentoren haben. Aber im Fußball tun wir uns damit schwer. Ich weiß noch, wie ich ausgelacht wurde, als ich einen Mentaltrainer beim 1. FC Köln dazu genommen habe. Heutzutage ist das Standard.

Zum Abschluss: Wird es noch ein weiteres Kapitel mit Christoph Daum im Profifußball geben?

Das wäre das schönste Geschenk. Dafür muss sich aber mein Gesundheitszustand dramatisch verändern. Es müsste garantiert sein, dass ich belastungsfähig bin. Wo Christoph Daum draufsteht, soll auch Christoph Daum drin sein.