Hamburg. Deutsches Triathlon-Team rettet dennoch Bronze. 300.000 Fans sorgen für eine beeindruckende Atmosphäre in Hamburg.
Wenn das Wörtchen „wenn“ nicht wäre, dann wäre der Leistungssport möglicherweise berechenbarer, aber auch um viele faszinierende Geschichten ärmer. Natürlich konnte man am Sonntagnachmittag auf dem Hamburger Rathausmarkt die Frage stellen, ob die deutsche Triathlon-Mixedstaffel die Goldmedaille gewonnen hätte, wenn sie ihr Rennen regelkonform bestritten hätte.
20 Sekunden fehlten Valentin Wernz (27/St. Ingbert), Lisa Tertsch (23/Darmstadt), Lasse Nygaard Priester (26/Quickborn) und Laura Lindemann (26/Potsdam) nach viermal 300 Meter Schwimmen, sieben Kilometer Radfahren und 1,7 Kilometer Laufen in der Gesamtzeit von 1:21:10 Stunden auf das siegreiche britische Quartett, nur sieben auf Australien, das Silber holte.
Triathlon Hamburg: Zeitstrafen-Drama um deutsche Staffel
Es waren exakt jene 20 Sekunden, die Lindemann kurz vor dem Ziel in der Penalty Box abbrummen musste, weil sich zunächst Tertsch wegen unerlaubten Festhaltens einer Kontrahentin auf der Schwimmstrecke in der 22 Grad warmen Binnenalster und dann Priester wegen Überschreitens der vorgeschriebenen Wechselmarke Zehn-Sekunden-Zeitstrafen aufgehalst hatten.
Dass sich die deutsche Staffel aber letztlich dafür entschied, den Podestplatz zu feiern, anstatt mit dem Schicksal zu hadern, war ein schöner Schlusspunkt für das Weltserien-Wochenende in der Hansestadt, das wieder einmal den Beweis dafür erbrachte, warum Hamburg weltweit als Triathlon-Mekka gilt.
Triathlon Hamburg vor 300.000 Fans
Rund 300.000 Fans an beiden Renntagen sorgten an der Strecke für eine Atmosphäre, die Lokalmatador Priester stellvertretend für das gesamte Team als Erfolgsfaktor Nummer eins heraushob. „Es ist Wahnsinn, wie die Menschen einen pushen. Du willst alles aus dir herausholen, wenn du die Anfeuerung hörst“, sagte der Pechvogel des Wochenendes. Nicht nur, dass er in der Staffel mit zu hohem Tempo Richtung Wechselzone preschte und deshalb zu spät aus dem Radschuh schlüpfte. Am Sonnabend hatte er das Einzelrennen über die Sprintdistanz (750 m Schwimmen, 20 km Rad, 5 km Laufen) zum Ende der ersten Radrunde wegen eines aufgeschlitzten Reifens aufgeben müssen.
Dass er trotzdem in der Staffel starten durfte, für die normalerweise die zwei besten Frauen und Männer der Einzelrennen nominiert werden, hatte er Lasse Lührs (26) zu verdanken. Der Potsdamer hatte nach Rang zehn am Sonnabend als damit bester Deutscher auf seinen Staffelplatz verzichtet, weil er sich nicht in Vollbesitz seiner Kräfte fühlte. „Das war eine große Geste und echtes Teamplaying“, lobte Chef-Bundestrainer Louis Delahaije. Der Niederländer ist seit 1. April im Amt und zeigte sich von der Gesamtleistung der Mannschaft in Hamburg absolut angetan. „Wir haben gezeigt, dass das deutsche Triathlon auf einem sehr guten Weg ist. Ich bin mit allen Rennen sehr zufrieden, vor allem aber mit den Frauen, die zur Weltspitze zählen“, sagte er.
Triathlon Hamburg: Tertsch überrascht als Dritte
Tatsächlich war der Arbeitsnachweis der weiblichen Nationalmannschaft am Sonnabend beeindruckend gewesen. Lisa Tertsch saß in der kleinen Interviewzone, wo nur diejenigen sitzen dürfen, die einen Podiumsplatz erreicht haben, und wusste nicht so recht, was sie erwarten würde. „Ich weiß noch gar nicht, was jetzt passiert, aber es ist cool“, sagte sie und strahlte mit der Hamburger Sommersonne um die Wette. Die Freude über den größten Erfolg ihrer Karriere war mehr als verständlich. Mit einer überragenden Gesamtleistung hatte sie sich auf der vierten von sieben Stationen der WTS-Serie 2022 Rang drei gesichert.
58:53 Minuten standen für die Hessin auf der Uhr, die damit lediglich den Weltklasseathletinnen Flora Duffy (34/Bermudas/58:37) und Beth Potter (30/Großbritannien/58:43) den Vortritt lassen musste. Duffy gewann 2021 in Tokio Olympiagold und ist seitdem in ihrer Heimat Volksheldin, der Tag ihres Goldtriumphs wurde zum nationalen Feiertag erklärt. Mit ihrem Sieg schob sie sich in der Gesamtwertung hinter die Britin Georgia Taylor-Brown (28), in Hamburg nicht am Start, auf Rang zwei vor. Die Schottin Potter, 2019 Europameisterin auf der Kurzdistanz und Dritte der Gesamtwertung, gilt als aktuell stärkste Läuferin der Welt.
Besonders viel Vergnügen bereitete Lisa Tertsch die Atmosphäre an der Strecke und vor allem beim Zieleinlauf auf dem Rathausmarkt. Im Corona-Jahr 2020, als sie mit Platz 16 ihr bis dato bestes Ergebnis auf der WTS-Serie schaffte, hatte das Rennen unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Stadtpark ausgetragen werden müssen. „Jetzt erleben zu können, wie toll die Stimmung während des gesamten Rennens ist, war sehr besonders für mich“, sagte die U-23-Europameisterin von 2019.
Frauen mit beeindruckender Triathlon-Bilanz
Wie hart der Kampf um die begehrten Plätze in der Staffel war, zeigt ein Blick auf das Endergebnis. Mit Lindemann (Fünfte in 59:00), Anabel Knolll (26/Ingolstadt/Sechste in 59:03) und der Itzehoerin Nina Eim (23), die mit der zweitbesten Laufzeit hinter Duffy in 59:09 Minuten noch auf Rang neun stürmte, schafften es vier Deutsche in die Top Ten. „Das ist wirklich ein super Ergebnis für das Team. Wir haben gezeigt, dass wir in die Weltspitze gehören“, sagte Lindemann, als Sechste beste Deutsche im Gesamtranking.
Die Titelverteidigerin, die mit Tertsch auf Wettkämpfen ein Zimmer teilt und dieser als Ratgeberin dient (Tertsch: „Es ist toll, wie sie ihre Erfahrungen mit mir teilt. Sie ist immer für mich da, das weiß ich sehr zu schätzen“), konnte ihre Enttäuschung über die eigene Leistung allerdings nicht ganz verbergen. „Ein fünfter Rang bei einem WTS-Rennen ist normalerweise völlig okay, hier hätte ich aber gern wieder gewonnen“, sagte sie. Am Sonntag konnte sie aber wieder strahlen, auch wenn sich die 20 Sekunden Strafzeit wie eine Ewigkeit anfühlten. „Über eine Medaille sollte man sich immer freuen. Bis auf die Penaltys war es ein tolles Rennen“, sagte sie.
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Sieger lobt Hamburg für Triathlon
Nicht zu schlagen war im Männerrennen der Neuseeländer Hayden Wilde, der in 53:10 Minuten den Australier Matthew Hauser (24) um drei Sekunden distanzierte und dank des Triumphs die Führung in der Gesamtwertung übernahm, in der Priester als Achter bester Deutscher ist. „Für mich geht mit dem Sieg hier ein Traum in Erfüllung“, jubelte Wilde, „in Hamburg stehen so viele große Namen in der Siegerliste. Nun dazuzugehören ist sehr besonders für mich.“ Auch der 24-Jährige lobte die „herausragende Atmosphäre, für die Hamburg in der ganzen Triathlon-Welt bekannt ist“.
Oliver Schiek, Geschäftsführer von Veranstalter Ironman Germany GmbH, freute sich über dieses Lob, vor allem aber darüber, dass das Wochenende reibungslos abgelaufen war. Auch wenn von den 9000 angemeldeten Jedermännern lediglich 5800 über die Sprint- und olympische Distanz antraten, sagte er: „Nach zwei Jahren harter Einschränkungen sind wir zurück und haben gezeigt, dass Hamburg den Triathlon lebt. Das war der perfekte Aufgalopp für nächstes Jahr.“ Dann ist Hamburg vom 13. bis 16. Juli Gastgeber der WM – und bereit dafür, ohne Wenn und Aber.