Dortmund. Drei Sprengsätze bei Fahrt zum Stadion explodiert. Staatsanwaltschaft prüft Bekennerschreiben. Marc Bartra und ein Polizist verletzt.
Schock für Borussia Dortmund vor dem Viertelfinal-Hinspiel der Champions League gegen den AS Monaco: Die Partie wurde nach einer Explosion am Mannschaftsbus des Fußball-Bundesligisten abgesagt und für Mittwoch, 18.45 Uhr, neu angesetzt. Darauf verständigten sich die Sicherheitsbehörden, Verantwortliche des BVB und eine Delegation der Europäischen Fußball-Union (Uefa) nach einer intensiven Beratung. Ursprünglich sollte das Spiel am Dienstagabend um 20.45 Uhr stattfinden. "Wir haben durch sehr professionelles Krisenmanagement eine Lösung gefunden", erklärte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke.
Kurz nach der Abfahrt des Dortmunder Mannschaftsbusses vom Hotel "L'arrivée" zum Stadion hatte es gegen 19 Uhr eine Explosion mit drei Sprengsätzen gegeben. Die Polizei spricht von "ernst zu nehmenden Sprengkörpern". Polizeisprecher Gunnar Wortmann: „Das waren keine Silvesterböller, was die Sache für uns nicht einfacher macht.“
Hinter vorgehaltener Hand ist auch die Einschätzung zu hören, dass die Bomben nicht von Profis gebaut gewesen sein können. Nichtsdestotrotz: Das Sicherheitsglas habe Schlimmeres verhindert, heißt es. Anwohner Klaus Schleppers berichtet an der Wittbräucker Straße von einem „gewaltigen Knall. Ich habe gedacht, das sei eine Gasexplosion oder sowas.“ Ein älterer Nachbar fügt hinzu: „Das war ein bisschen wie im Krieg.“
Polizei: Gezielter Angriff auf BVB
Die Sprengsätze wurden in einer Hecke nahe der Fahrbahn deponiert. "Wir gehen davon aus, dass es sich um einen gezielten Angriff auf die Mannschaft von Borussia Dortmund handelt", sagte der Polizeipräsident Dortmunds, Gregor Lange. Die Polizei ermittelt in alle Richtungen und suchte die Umgebung nach weiteren Sprengsätzen mit einer Drohne ab. Dabei wurde ein weiterer sprengsatzähnlicher Gegenstand gefunden, der nicht gezündet hat. Dieser entpuppte sich bei genauerer Untersuchung jedoch als Unrat. "Zum jetzigen Zeitpunkt ist immer noch nicht klar, was die konkreten Hintergründe der Tat sind", so Lange. "Wir schließen nichts aus."
In Nähe des Tatorts ein Bekennerbrief gefunden worden. Die Echtheit werde derzeit „intensiv geprüft“, sagte Staatsanwältin Sandra Lücke. Zu dem Inhalt des Schreibens sowie einem möglichen Motiv wollte sich Lücke aus ermittlungstaktischen Gründen nicht äußern. Es werde wegen des Verdachts eines Tötungsdeliktes ermittelt.
Der BVB-Bus wurde nach Vereinsangaben durch den Vorfall im Dortmunder Stadtteil Höchsten an zwei Stellen beschädigt. Zwei Personen wurden verletzt, eine davon schwer. Es handelt sich dabei um den spanischen BVB-Verteidiger Marc Bartra, der in ein Krankenhaus gebracht werden musste, wie Watzke bestätigte. "Er wurde notärztlich nach einer Verletzung an der Hand versorgt", sagte der Vereinsboss, der betonte: "Im Stadion gab es zu keiner Zeit Sicherheitsprobleme."
Bartra wurde noch am Abend operiert. Er erlitt eine gebrochene Speiche im rechten Handgelenk und diverse Fremdkörper-Einsprengungen. Ein Polizist erlitt bei den Explosionen ein Knalltrauma und einen Schock, er ist derzeit nicht mehr dienstfähig. Er sollte den Mannschaftsbus auf einem Motorrad zum Stadion begleiten.
Pfiffe für Watzke bei Ankündigung
Die Zuschauer wurden zunächst von Stadionsprecher Norbert Dickel informiert, der von einem „gravierenden Zwischenfall“ sprach. Er gab schließlich auch die Spielabsage weiter, die von einem Pfeifkonzert und geringem Applaus begleitet wurde. Pfiffe gab es auch bei der Ankündigung Watzkes, dass die neue Anstoßzeit nicht mit der Partie der Bayern gegen Real Madrid (Mittwoch, 20.45 Uhr/ZDF und Sky) kollidieren sollte. „Es ist aus meiner Sicht in Ordnung. So hat Monaco noch die Möglichkeit, abends nach Hause zu kommen", entgegnete Watzke den erbosten Fans souverän.
Kommentar: Vorbildliches Fan-Verhalten
Eintrittskarten behalten ihre Gültigkeit. Zahlreiche Fans des AS Monaco bemühten sich dennoch, ihre Tickets vor dem Stadion zu verkaufen, weil sie die Heimreise antreten wollten. Auch einige Dortmunder wollen ihre Karten loswerden – im Internet. Der BVB bietet an, Tickets auf dem offiziellen Zweitmarkt zu verkaufen.
Der Abzug der Fans aus dem Signal Iduna Park ist aus Sicht der Polizei reibungslos verlaufen. „Das lief völlig friedlich und gesittet“, sagte ein Polizeisprecher. Das Stadion war gut eine halbe Stunde nach der Entscheidung zur Spielabsage weitgehend leer. Die gespenstische Atmosphäre nutzten die Spieler des AS Monaco für eine ungewollte Trainingseinheit.
Watzke: Spieler in Schockstarre
An Training war bei der Borussia aufgrund der psychischen Zustände der Profis nicht zu denken. Die Spieler seien in Sicherheit, erklärte der Verein, ohne dabei genaue Angaben über den Aufenthaltsort machen zu wollen. "Das sage ich aus Sicherheitsgründen nicht", so Watzke. Entsprechende Sicherheitsmaßnahmen wurden von der Polizei eingeleitet.
Die Westfalen setzen darauf, dass die Profis den Vorfall so schnell wie möglich verarbeiten. "Die ganze Mannschaft ist in einer Schockstarre. So etwas kriegst du nicht so einfach aus dem Kopf raus. Ich hoffe, dass es uns dennoch gelingt, morgen einigermaßen wettbewerbsfähig antreten zu können", sagte Watzke. "Auch für unseren Trainer Thomas Tuchel ist es schwer. Er war natürlich auch geschockt, weil eine der Explosionen direkt an seiner Seite stattgefunden hat.“
Für den Ausgang der neu angesetzten Partie gegen Monaco klang Präsident Reinhard Rauball deutlich optimistischer als Watzke. "Es ist eine schwierige Situation für die Spieler, aber sie sind auch Profis und in der Lage, morgen ihre Leistung abzurufen", erhofft sich der 70-jährige Rauball. "Es wäre das Allerschlechteste, wenn unsere Leistung durch eine derartige Handlung am Mannschaftsbus beeinflusst wird."
Bürki: Haben uns alle geduckt
Als erster BVB-Profi äußerte sich Torhüter Roman Bürki nach dem Vorfall in den Medien. „Nach dem Knall haben wir uns alle im Bus geduckt und wer konnte, auf den Boden gelegt. Wir wussten nicht, ob noch mehr passiert. Die Polizei war schnell vor Ort und hat abgesichert. Wir sind alle geschockt, an ein Fussballspiel dachte in den Minuten danach keiner", sagte der Schweizer dem "Blick".
Nach Polizeiangaben sind die Scheiben des Busses ganz oder teilweise geborsten. Wie Augenzeuge Bürki berichtete, wurde Bartra durch Splitter einer zerborstenen Rückscheibe getroffen.
40.000 Fans waren schon im Stadion
"Man muss das akzeptieren", sagte ein Zuschauer zu "Sky" zur Absage. Schließlich könnten die Spieler nicht auf den Platz laufen, als sei nichts gewesen. Ein anderer der zu diesem Zeitpunkt gut 40.000 Fans im Stadion sagte: "Das Spiel muss ja irgendwann stattfinden. Aber ich möchte nicht einer der Spieler sein." Aus dem Monaco-Block waren zuvor "Dortmund, Dortmund"-Sprechchöre zu vernehmen.
"Dortmund" chants from the Monaco fans. #BVBASM pic.twitter.com/me8QI3Yufi
— Sandra Goldschmidt (@SanBorussia) 11. April 2017
Und die Anhänger der Borussia revanchierten sich auf ihre Art: Monaco-Fans, die nach der Verlegung des Spiels in Dortmund übernachten müssen, könnten im Internet fündig werden. Unter #bedforawayfans sollen Dortmunder posten, die einen Schlafplatz anbieten wollen - und die Anhänger des AS Monaco suchen, wie der BVB am Dienstagabend mitteilte. Viele Twitternutzer teilten den Aufruf des Vereins begeistert.
Reus wohl nicht im Kader
Rein sportlich gab es die erste schlechte Nachricht für Borussia Dortmund bereits knapp eine Stunde vor der Explosion. Nationalspieler Marco Reus erlitt womöglich einen Rückschlag und wurde aus dem Kader für die Partie gegen den französischen Tabellenführer gestrichen. Der 27 Jahre alte Offensivspieler hatte nach seinem überstandenen Muskelfaserriss bereits wieder mit der Mannschaft trainiert und war zunächst für die Jokerrolle vorgesehen.
Ebenso wie auf Reus muss Tuchel gegen Monaco auch auf die Weltmeister André Schürrle, Erik Durm und Mario Götze verzichten.
Klopp erwartet zwei Fußballfeste
Derweil zog Ex-BVB-Trainer Jürgen Klopp im Vorfeld einen interessanten Vergleich der beiden Kontrahenten. "Monaco ist ein bisschen wie Dortmund, nur in der französischen Liga – eine junge, hochtalentierte Mannschaft mit fantastischen Spielern. Sie erinnern mich an meine Dortmunder Mannschaft von vor ein paar Jahren", sagte der heutige Teammanager des FC Liverpool bei "Sky Sport News".
Aber auch Dortmund habe großes Potenzial und sei unangenehm zu spielen, sagte Klopp, der mit den Westfalen 2013 das Finale der Königsklasse erreicht hatte: "Das können zwei Fußballfeste werden. Ich glaube, dass beide Mannschaften nicht so wahnsinnig taktieren. Ich freue mich drauf.“