Hamburg. Der Hamburger Olympiadritte kämpft seit dem Wechsel zum Profiboxen um Aufmerksamkeit. Am Sonnabend kehrt er nach langer Pause zurück.
Sich überflüssig zu fühlen, kann schön sein, wenn es ein Zeichen dafür ist, dass alles nach Plan läuft. Artur Grigorian zumindest muss nicht eingreifen, während sein Schützling wie eine frisch geölte Maschine das Trainingsprogramm abspult. Schlagfolgen, schnelle Intervalle, harte Einzeltreffer – alles, was Artem Harutyunyan auf den Sandsack abfeuert, hat Methode. „Er ist richtig gut drauf. Jetzt wird es Zeit, dass er wieder in den Ring steigen kann“, sagt Cheftrainer Grigorian.
Dem kann Artem Harutyunyan uneingeschränkt zustimmen. Neun Monate ist sein bislang letzter Boxkampf her, insgesamt hat der Olympiadritte von Rio 2016 seit seinem Wechsel ins Profilager im Herbst 2017 lediglich elfmal im Seilgeviert gestanden.
Profiboxen: Harutyunyan verteidigt seinen Titel
An diesem Sonnabend (21 Uhr/live bei Universum-TV auf YouTube) verteidigt der 31-Jährige im Gym seines Promoters Universum an der Großen Elbstraße seinen WBC-International-Titel im Leichtgewicht (bis 61,2 kg). Zweimal hatte das Duell mit dem US-Amerikaner Humberto Galindo (22) verschoben werden müssen, zunächst aus vertraglichen Gründen, das zweite Mal wegen einer Erkrankung Harutyunyans.
Wenn es stimmt, dass aller guten Dinge drei sind, dann sollte dem zwölften Sieg im zwölften Profikampf nichts im Wege stehen. Galindo hat zwar elf seiner 14 Siege vorzeitig gefeiert, Gegner vom Kaliber Harutyunyans kann er in seinem Rekord allerdings nicht vorweisen.
"Ich muss also von Beginn an aktiv sein"
„Wie immer werde ich ihn nicht unterschätzen. Er ist ein Kämpfer, der gern die Kontrolle übernimmt und Druck macht. Ich muss also von Beginn an aktiv sein und ihm zeigen, dass ich bestimme. Dann werde ich gewinnen“, sagt der gebürtige Armenier, der mit seinen Eltern und Bruder Robert (32), der bei Universum mittlerweile Sportdirektor ist, im Kleinkindalter nach Hamburg kam.
Die langen Pausen zwischen seinen Kämpfen, verursacht durch Verletzungen, Krankheiten, aber auch organisatorisch begründete Absagen, nerven ihn zunehmend. 250 Amateurkämpfe lassen ihn zwar mit einer gewissen Gelassenheit ans Werk gehen. „Aber um besser zu werden, muss ich kämpfen. Kein Sportler erreicht Weltklasse durch Training. Je länger die Pausen sind, umso mehr Stillstand herrscht, und das ist schlecht“, sagt er.
Harutyunyan verschwand aus Scheinwerferlicht
Das gilt auch für seinen Bekanntheitsgrad. Als der 172 Zentimeter große Topathlet in Rio Bronze im Halbweltergewicht holte, hatte er den Zenit seiner Karriere erreicht. Die Geschichte vom Flüchtlingsjungen, der sich aus eigener Kraft nach oben gekämpft hatte und die in Hamburg bekannt war, wurde im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bundesweit publik. Mit dem Wechsel ins Profilager verschwand er angesichts der Absenz von TV-Partnern im deutschen Profiboxen aus dem Scheinwerferlicht, sieben seiner Kämpfe fanden im Universum-Gym statt.
„Es ist schon traurig, dass ich darum kämpfen muss, dass 400 Leute bei meinen Kämpfen zuschauen“, sagt er. Angesichts seiner Erfolge – vor dem Bronzegewinn bei Olympia war er Weltmeister der semiprofessionellen APB-Serie – sagt er: „Mich müsste eigentlich in Hamburg jeder Zweite erkennen, wenn ich über die Straße gehe. Das ist aber bei Weitem nicht so. Ich bin einfach nicht bekannt genug.“
Profiboxen braucht mehr Aufmerksamkeit
Mitschuld an diesem Umstand schreibt er den Medien zu. „Ich verstehe nicht, warum so wenig über erfolgreiche Sportler außerhalb des Fußballs berichtet wird“, sagt er. Auch die Stadt Hamburg sehe er in der Pflicht. „Ich bin bereit, für meine Stadt und mein Land in den USA um die WM zu kämpfen. Dafür brauche ich mehr Unterstützung. Ein Händedruck und ein Dankeschön genügt da nicht“, sagt er.
Dass sein Promoter Ismail Özen-Otto seit diesem Jahr YouTube-Stars eine Plattform gibt, die sich im Boxring duellieren, hält Artem Harutyunyan deshalb für den richtigen Weg, um mehr Aufmerksamkeit fürs Boxen zu generieren. Auch wenn das bedeutet, dass sein Duell am Sonnabend zwischen zwei Influencer-Kämpfe gepresst wird. „Die YouTuber holen ein Millionenpublikum ab. Wenn davon ein Drittel meinen Kampf sieht, ist mir schon geholfen“, sagt er. Man müsse jede Möglichkeit ausschöpfen, um die Bekanntheit zu erhöhen. „Ich möchte nicht in zehn Jahren sagen müssen, dass wir nicht alles versucht haben.“ Sich überflüssig zu fühlen, kann eben auch verdammt hart sein.