Hamburg. Seit vier Monaten können Sportler und Sportlerinnen mit geistigen Behinderungen nicht mehr trainieren. Das trifft einige besonders hart
Leo Heckel ist genervt. Seit über einem Vierteljahr geht das jetzt schon so. „Ich will doch zu den Weltspielen in zwei Jahren, da muss ich doch trainieren“, sagt der 21 Jahre alte Eppendorfer, „darf ich aber nicht.“ Heckel ist einer der besten Schwimmer in Hamburg. Viermal in der Woche ist er deswegen im Wasser, normalerweise. Wer aussichtsreich zu den Special Olympics World Games 2023 in Berlin fahren möchte, der treibt Leistungssport. Auch als Mensch mit einer geistigen Beeinträchtigung.
Das nützt Leo aber gar nichts. Ausnahmegenehmigung zum Training wie bei anderen Olympiakandidaten aus dem Spitzensport? Fehlanzeige. „Seit dem zweiten Lockdown ist jeder Sport bei uns eingestellt“, sagt Barbara Grewe (62), die Präsidentin von Special Olympics Deutschland in Hamburg e. V., der als Fachverband die Interessen der Sportler mit einer geistigen Behinderung vertritt: „Wir befürchten, dass unsere Athleten, bei allem was in Zukunft kommt, wieder hinten dranhängen.“
Teilhabe und Lebensfreude
Da geht es um Zeiten auf Sportplätzen oder in Sporthallen, um Möglichkeiten zum organisierten Sport. Tatsächlich also um Teilhabe, Lebensfreude, Emotionen. Sport ist hier für weit mehr wichtig als „nur“ die körperliche Fitness. „Das Training, das Treffen mit anderen Athletinnen und Athleten ist für viele neben der Arbeit ein ganz wichtiger Termin, auf den sie sich freuen“, sagt Grewe, „gerade diese sozialen Kontakte fehlen jetzt besonders.“
Es ist schwierig. Die „Special Olympier“ haben bislang eine weit geringere Lobby und Präsenz als beispielsweise der Behindertensportverband oder der Gehörlosensportverband. In Deutschland leben etwa 450.000 Menschen mit einer geistigen Einschränkung, davon sind rund 40.000 im organisierten Sport aktiv, rund acht Prozent. Für Hamburg geht man von 12.000 Menschen mit einer entsprechenden Behinderung aus. „Davon sind 200 bis 300 Mitglieder in Sportvereinen“, sagt Grewe, „über Werkstätten und Schulen erreichen wir geschätzt bis zu 1500 Teilnehmer.“
Interne Differenzen und fehlende finanzielle Mittel
Seit zwei Jahren steht die Juristin ehrenamtlich an der Spitze von Special Olympics Hamburg. Prominent unterstützt wird sie von Vizepräsident Hans-Jürgen Schulke (75). Der ehemalige Hamburger Sportamtsleiter engagiert sich seit 2004 vor allem auf nationaler Ebene für Special Olympics. Der 75-Jährige ist ein Antreiber und Macher und steht neben Grewe für den Neuanfang der Organisation in Hamburg. „Es war nicht richtig weitergegangen. Wir haben dann vor etwas mehr als einem Jahr begonnen, den Verband neu aufzustellen.“
Es hatte tatsächlich über einige Jahre kräftig geknirscht im Hamburger Zweig der weltweit tätigen Organisation. Interne Differenzen und fehlende finanzielle Mittel behinderten die Tätigkeiten. Ersteres ist mittlerweile überwunden. Seit dem 1. Januar dieses Jahres ist Special Olympics Hamburg auch als Fachverband vollwertiges Mitglied beim Hamburger Sportbund. Das erleichtert Anträge auf Förderung und Unterstützung.
Die Mitgliedsbeiträge reichen vorne und hinten nicht
Natürlich sind die Finanzen immer noch ein Thema. Die Mitgliedsbeiträge reichen vorne und hinten nicht. Stiftungen, Spenden, das Sportamt, die Aktion Mensch helfen. Die Kooperationen mit Sportvereinen soll verstärkt werden. „Unser Ziel ist es, dass 16 Prozent der infrage kommenden Sportler und Sportlerinnen reguläre Mitglieder in den Vereinen werden“, sagt Grewe.
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Das wären knapp 2000. Dafür müssten die Angebote ausgeweitet werden, auch inklusive Gruppen geschaffen werden. In einigen Clubs wie dem SV Eidelstedt, der TSG Bergedorf oder TuS Alstertal gibt es so etwas schon. Leo Heckel, der auch zweiter Athletensprecher in Hamburg ist, ist Mitglied im Eimsbütteler TV. Noch aber werden die meisten Sportler und Sportlerinnen in Werkstätten und Wohneinrichtungen erreicht.
Um mehr Menschen zu aktivieren, hat Special Olympics Hamburg deshalb nach einer Pilotphase im Vorjahr am 1. Januar offiziell das Projekt „Sei Aktiv!“ gestartet. „Unser Ziel ist es, Sport und Bewegung in die Einrichtungen zu bringen“, sagt Projektleiterin Ilka Meis (36), „wenn die Sportler nicht zu uns kommen können, kommen wir eben zu ihnen.“
Ein niedrigschwelliger Einstieg ist so möglich. Manche Werkstätten haben nach der Arbeitszeit extra Zeit eingeräumt, in der die Mitarbeiter sich noch sportlich bewegen können. Sei es in Werkhallen, Höfen oder auch Parks. Die Übungsleiterinnen kommen dahin und leiten die Gruppen an. Theoretisch. Praktisch ist Corona und Lockdown.
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Also hat Meis begonnen, auch Onlinekurse zu organisieren. Auch das ist allerdings äußerst kompliziert. „Oft sind die technischen Voraussetzungen nicht gegeben, Tablets müssen angeschafft werden, die Übungen den Fähigkeiten der Sportler angepasst werden“, erzählt die freiberuflich tätige Sportwissenschaftlerin, „wir achten auch darauf, dass sich die Übungsleiter in leichter Sprache ausdrücken.“
Trotzdem gelingt dieser Onlinesport nicht immer. Leo Heckel hat selbst festgestellt, dass er bei einem Stretchingvideo nicht geschafft hat, die richtigen Körperteile anzusteuern. Das frustriert zusätzlich – und so hat nicht nur er den verständlichen Wunsch, „dass ich bald wieder richtig schwimmen kann“. Er will doch 2023 nach Berlin.