Hamburg. Seit die Torjägerin des Clubs an der Alster als Ärztin in St. Georg arbeitet, weiß sie den Sport viel mehr zu schätzen.
Die vielen Tage, an denen sie das Training verflucht hat, weil nicht alles so gelang, wie sie es wollte, hat Hannah Gablac nicht vergessen. Aber mit dem Perspektivwechsel der vergangenen Wochen wundert sich die Hockey-Nationalstürmerin manchmal, über was sie sich früher aufregen konnte. „Heute genieße ich jede Trainingseinheit, zu der ich es in die Halle schaffe, denn der Sport ist für mich gerade das wichtigste Ventil zum Stressabbau“, sagt die 26-Jährige, die seit ihrem Wechsel von Rot-Weiß Köln zum Club an der Alster im Sommer 2018 zum ersten Mal für den Hamburger Traditionsclub in der Hallenbundesliga aufläuft.
Zwei Gründe gibt es dafür, dass die Torjägerin ihren Sport aktuell so sehr genießt wie nie zuvor in ihrer Karriere. Der eine ist ihr Beruf. Seit 1. November arbeitet sie im Asklepios-Klinikum St. Georg als Stationsärztin in der Herzchirurgie und erlebt die Überlastung des deutschen Gesundheitssystems am eigenen Leib mit. In Details zu gehen, das verbietet zwar ihre Schweigepflicht. „Aber ich habe erst jetzt, da ich es selbst erlebe, kapiert, was die Pandemie für ein Krankenhaus wirklich bedeutet“, sagt sie. Von morgens um 7 Uhr bis abends um 19 Uhr sei sie ohne Pause im Dienste der Patienten eingespannt.
„Es reicht nicht mal zum Essen. Mir haben sogar schon Mitspielerinnen selbst gekochtes Essen in Tupperdosen mitgebracht, damit ich wenigstens nach dem Training noch etwas Warmes zu mir nehmen kann“, sagt sie. Umso mehr genießt die in Rosenheim aufgewachsene Angreiferin die Zeit mit ihrem Team, „weil ich spüre, dass Hockey mir den Kopf freimacht. Wenn ich nach der Arbeit direkt auf die Couch fallen würde, würde ich durchdrehen.“
Hannah Gablac arbeitet im Asklepios-Klinikum St. Georg als Stationsärztin
Der zweite Grund für ihr aktuelles Hochgefühl hat seinen Ursprung im Juni dieses Jahres. Bei der letzten Kaderreduzierung für die Olympischen Sommerspiele in Tokio strich Bundestrainer Xavier Reckinger Hannah Gablac aus seinem Aufgebot. Eine Entscheidung, die für viele Beobachter überraschend kam, schließlich gilt die 1,80 Meter große Athletin als eine, die durch ihre unkonventionelle Art und ihre Einstellung, sich im Schusskreis ohne Rücksicht auf Verluste in jeden Ball zu werfen, die besonderen Aktionen liefern kann.
Für Hannah Gablac war die Ausbootung noch dazu ein Déjà-vu, fünf Jahre zuvor war sie vor den Sommerspielen 2016 in Rio de Janeiro ebenfalls in der letzten Nominierungsrunde durchgefallen. „Im ersten Moment war das natürlich ein riesiger Schock für mich. Die Vorstellung, in meiner Karriere niemals das Highlight Olympia erlebt zu haben, war und ist noch immer richtig krass“, sagt sie. Umso überraschender war, dass sie nicht in das tiefe Loch fiel, das viele ihr prophezeit hatten und sie selbst gefürchtet hatte, sondern das Gegenteil erlebte. „Ich hatte den besten Sommer meines Lebens, weil ich zum ersten Mal vollkommen frei war, das zu tun, worauf ich Lust hatte“, sagt sie.
„Ich kannte nur den Leistungssport-Lifestyle"
Das starre Korsett aus Termindruck und Anspruchsdenken, das der Hochleistungssport seinen Protagonistinnen und Protagonisten aufzwingt, konnte Hannah Gablac eintauschen in einen bunten Flickenteppich aus Unternehmungen, für die sie in den vielen Jahren zuvor nie Zeit gefunden hatte. Sie nahm Spanischunterricht an einer Sprachschule, machte ihren Bootsführer- und Angelschein, spielte viel Tennis und arbeitete als Kellnerin in einem italienischen Restaurant. „Ich kannte nur den Leistungssport-Lifestyle. Jetzt, da ich ein anderes Leben kennengelernt habe, macht mir Hockey ohne Druck Spaß wie nie“, sagt sie.
Diese Spielfreude will sie in die Hallensaison, in die Alsters Damen als Titelverteidiger gestartet sind, einbringen. An diesem Wochenende stehen in der heimischen Halle an der Hallerstraße die Stadtderbys gegen den Uhlenhorster HC (Sa., 13.30 Uhr) und den Hamburger Polo Club (So., 13 Uhr) an. Wie lange sie angesichts der beruflichen Belastung noch Hockey spielen wird, weiß Hannah Gablac nicht einzuschätzen. Selbst aus dem Nationalteam, das nach Reckingers jüngst vollzogenem Rücktritt einen neuen Coach bekommen wird, ist sie noch nicht offiziell zurückgetreten. „Solange ich mithalten kann und Spaß habe, werde ich spielen“, sagt sie. Und sie wird es genießen, weil sie jetzt noch besser weiß, was sie hat an ihrem Sport.