Hamburg. Der 30-Jährige ist der neue Kicker der Hamburg Sea Devils. Der Däne hat aber noch einige andere Talente zu bieten.
Einige werden wieder die Frage nach der Moral stellen. Phillip Friis Andersen kennt das bereits, aus der Ruhe bringt es ihn keineswegs. „Es wird immer Menschen geben, denen du es nicht recht machen kannst. Aber niemand sollte sich Limits setzen. Ich hatte Lust auf das Projekt, also teste ich aus, wohin es mich führt“, sagt der 30-Jährige, der in dieser Saison als Kicker für die Hamburg Sea Devils in der neu gegründeten American-Football-Europaliga ELF aufläuft.
Das Projekt, um das es geht, trägt den Namen „Amager Gin“. Es ist ein Start-up, benannt nach der Insel in Kopenhagen, von der Phil Andersen stammt, das der Däne mit einem Freund seines Vaters, der im Weinhandel tätig ist, im vergangenen Jahr gegründet hat.
Phil Andersen folgt seinem Herzen
Mancher dürfte nun also fragen, wie das zusammengeht, harter Alkohol und Leistungssport. Für Phil Andersen war der Schritt ein logischer, er hat in seinem Leben schon häufiger Entscheidungen getroffen, indem er seinem Herzen gefolgt ist. Das erste Mal, als er mit 18 eine hoffnungsvolle Karriere als Fußballtorhüter in der höchsten dänischen Juniorenklasse aufgab, um sich dem in seiner Heimat tief in der Nische dümpelnden American Football zu verschreiben.
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„Mein Vater hat mich für verrückt erklärt. Aber es fühlte sich richtig an“, sagt er. Anfangs, bei den Amager Demons in Kopenhagen, war er Passempfänger, weil er als ehemaliger Torhüter gut Bälle fangen konnte. Als ein Kicker gebraucht wurde, meldete er sich, weil er als Torwart auch schon immer weiter abschlagen konnte als alle anderen.
Mut zur Veränderung
Die Einstellung, Dinge einfach auszuprobieren, Mut zur Veränderung zu haben, zieht sich wie ein roter Faden durch Phil Andersens Leben. „Du musst Fehler machen, um zu lernen. Aber niemals denselben zweimal“, sagt er. 2014 wechselte er zu den Berlin Adlern in die deutsche Topliga GFL, gewann mit ihnen den Eurobowl. 2019 war er der erste Däne, der es ohne eine College-Karriere in die US-Eliteklasse NFL schaffte. Die Tampa Bay Buccaneers, aktueller Super-Bowl-Champion, nahmen ihn unter Vertrag, entließen ihn ohne Angabe von Gründen allerdings noch vor Saisonstart.
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„Diese Erfahrung hatte mehr Einfluss auf mein Leben, als ich mir hätte vorstellen können“, sagt er. Vor allem, weil sie ihn lehrte, seinen Sport aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. „So komisch das klingt: Ich war zwar überwältigt, als ich verpflichtet wurde, aber nicht glücklich“, sagt er.
Hoher Druck in der NFL
Der Druck in der NFL, der durch das Wissen entsteht, an jedem Tag mit der Kündigung rechnen zu müssen, sei mit nichts zu vergleichen. „Ich habe hinterfragt, warum ich nicht glücklich war, und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich Football nur der Anerkennung wegen spielte. Das hat mir die Augen geöffnet“, sagt er.
Speedinterview: Phillip Andersen - Hamburg Sea Devils
Und es hat dazu geführt, dass er nun den Spaß in den Vordergrund stellt. „Ich bin noch nicht durch mit Football, dazu ist noch zu viel Energie in mir. Aber es geht mir nicht mehr darum, der Beste zu sein, sondern Freude zu empfinden“, sagt er. Freude, die er in seinen ersten Wochen in Hamburg spürt wie zuletzt 2014, als er sich in Berlin als Teil einer Mannschaft fühlte anstatt als Einzelkämpfer.
Phillip Andersen hätte mehr aus seiner Karriere herausholen können
Bei den Sea Devils unter Cheftrainer Ted Daisher zu arbeiten, der in der NFL als Special-Teams-Coordinator Kicker entwickelt hat, zu denen Phil Andersen aufschaut, sei ein Erlebnis, das er nicht habe verpassen wollen. Außerdem, und das passt wiederum zu seiner Lebenseinstellung, betrachte er die Sea Devils ebenfalls als ein Start-up; ein Projekt, bei dem er sich als Geburtshelfer verstehe. „Wir sind wie Pfadfinder, und die Richtung, die wir mit der ELF einschlagen, ist die richtige, um Football in Europa voranzubringen“, sagt er.
Phillip Andersen hat akzeptiert, dass er mehr aus seiner Karriere hätte herausholen können, wenn er noch fokussierter an sich gearbeitet und seine Jobs als Kellner und später als Barkeeper in Kopenhagener Nachtclubs aufgegeben hätte. Aber dann hätte er nicht nur die Leidenschaft für Gin, sondern auch die Liebe seines Lebens verpasst, die ihm in der Bar „The Bird and the Churchkey“ begegnete.
Der Gin ist nur in ausgewählten Bars und Läden erhältlich
Seine Verlobte, die mit 17 nach London ging, um eine professionelle Tanzkarriere zu starten, und mittlerweile in Kopenhagen einen Friseursalon betreibt, teile seine Lebenseinstellung. „Wir setzen einander auch niemals Limits“, sagt er. Eine gemeinsame Haarpflegeserie ist bereits in Planung. Das nächste Projekt also, das wartet.
Zunächst jedoch steht der Gin im Fokus, der nur in ausgewählten Bars und Läden erhältlich ist, die eine eigene Geschichte zu erzählen haben. „Wir machen einen Gin aus dem Volk für das Volk“, sagt Phil Andersen, der sich persönlich um den Vertrieb kümmert. 160 Flaschen pro Charge werden produziert, aktuell ist die dritte Charge im Umlauf.
15 verschiedene Zutaten werden verwendet, die Basis bilden Lemongras, Aronia und Himbeere. Es ist ein Gin, der in der Nase kaum ankommt, dafür aber mit seiner Wucht auf der Zunge überrascht. Ein Gin, der sich etwas traut und deshalb bestens passt zu dem Mann, der auf dem Weg, den sein Herz ihm vorgibt, nun in Hamburg den nächsten Schritt macht.