Hamburg. Moritz Petri, neuer Präsident des Deutschen Ruderverbands, über unterbezahlte Trainer und den Anspruch, wieder stärkste Nation zu werden.

Mitglied im Vorstand des Deutschen Ruderverbands (DRV) war Moritz Petri seit 2013. Deshalb glaubte der 39 Jahre alte Jurist, aufgewachsen in Osnabrück und wohnhaft in Schäftlarn bei München, als er Mitte Oktober in Schweinfurt mit 94,3 Prozent der Delegiertenstimmen zum neuen DRV-Präsidenten gewählt wurde, dass er auf alles, was kommen würde, vorbereitet wäre. Weit gefehlt, wie er im Gespräch mit dem Abendblatt erläutert.

Herr Petri, Sie waren Vorsitzender der Deutschen Ruderjugend, acht Jahre im DRV-Vorstand. Gab es in den Wochen seit Ihrer Amtsübernahme dennoch etwas, was Sie überrascht hat?

Moritz Petri: Einiges. Ich muss zugeben, dass ich dieses Amt komplett unterschätzt habe. Unser Verband ist noch immer sehr auf den Präsidenten zen­triert. Ich werde zu allem und jedem kontaktiert, das geht so weit, dass ich gefragt werde, welche Farbe denn ein neu anzuschaffender Pullover am besten haben sollte. Das sind die Momente, in denen ich mich frage: Bist du Präsident oder doch Zeugwart? Umso größer ist mein Ansporn geworden, den Kulturwandel einzuleiten, den ich auf dem Verbandstag angekündigt habe.

Sie führen den DRV ehrenamtlich, haben einen Hauptberuf und sind Vater von drei Kindern. Ist so etwas in einem Verband, der einen Jahresetat im hohen einstelligen Millionenbereich bewegt, noch zeitgemäß?

Moritz Petri (r.) und sein Vorgänger Siegfried Kaidel.
Moritz Petri (r.) und sein Vorgänger Siegfried Kaidel. © Deutscher Ruderverband | Unbekannt

Nein. Wenn ich für mein Leben eine Prioritätenliste mache, dann kommt als Erstes die Familie und dann der Beruf, der diese Familie ernährt. Erst dann kommt mein größtes Hobby, das Rudern. Ich führe also den ältesten deutschen Verband in einer olympischen Sportart als Hobby. Das kann nicht auf Dauer funktionieren, deshalb streben wir eine Strukturreform an.

Wie soll die aussehen?

Wir können auf das Ehrenamt nicht verzichten, denn reines Hauptamt können wir uns schlicht nicht leisten. Es muss also eine hybride Form gefunden werden. Die Führung des Verbands gehört in hauptamtliche Hände, und das Hauptamt muss angemessen bezahlt werden, damit wir die besten Kräfte rekrutieren können. Dazu muss es ein Präsidium geben, das ehrenamtlich beratend zur Seite steht und klare Vorgaben macht, wer für was zuständig ist. Das Präsidium soll die Strategie bestimmen, die der Vorstand dann umsetzt. Mein Ziel ist, dass wir beim nächsten Verbandstag im Oktober 2022 eine neue Satzung mit neuer Struktur verabschieden können.

Wie sieht denn konkret Ihre Vision von einem modernen DRV aus?

Diese habe ich auf dem Verbandstag dargelegt und ein, wie ich finde, sehr vertrauensvolles Mandat dafür erhalten. Wir machen uns auf eine Reise, die zweigeteilt ist. Die erste ist ein Kurztrip hin zur neuen hybriden Führungsstruktur. Diese ergibt aber nur Sinn, wenn wir sie mit Leben füllen. Deshalb ist die zweite Reise eher ein Langstreckenflug, bei der geht es um einen Kultur- und Wertewechsel. Stichworte dafür sind zum Beispiel Gender Equality und Inklusion. Mit Katharina von Kodolitsch (neue Präsidentin des Hamburger Sportbundes, die Red.) haben wir erstmals, seit wir 2009 das aktuelle Führungssystem etabliert haben, eine Frau im Vorstand. Das ist ein erster Schritt, aber es sind noch viele weitere zu gehen.

Das ist im DRV, der ein Verband der Vereine ist, traditionell nicht ganz einfach. Alle wollen mitgenommen werden, Veränderung braucht viel Zeit. Wie soll das funktionieren?

Es wird tatsächlich nur funktionieren, indem wir alle einbinden. Einen ersten Anstoß hat das neue Präsidium im November auf seiner konstituierenden Sitzung gemacht. Nun gibt es eine Strukturkommission, die einen Partizipationsprozess in Gang bringen soll. Dieser beinhaltet viele Regionalkonferenzen, auf denen alle Vereine gehört werden, denn die Vereine sind unser Souverän und sollen es, wenn es nach meiner Auffassung geht, auch bleiben. Ich bin überzeugt, dass es eine Stärke ist, so nah an den Mitgliedern zu sein, auch wenn es bisweilen Prozesse verlangsamt.

Wer sich die Ergebnisse von den Olympischen Spielen in Tokio anschaut, wo es nur zwei der angepeilten vier Medaillen und keine in Gold gab, der weiß, dass Sie sich Langsamkeit nicht leisten können. Wie wollen Sie dafür sorgen, dass der Leistungssport wieder die Leistung bringt, die sich alle von ihm erwarten?

Das ist eine gute und wichtige Frage, die wir uns alle gemeinsam stellen müssen. Meine erste Antwort darauf ist, dass wir die Verantwortung für den Leistungssport in die Hände unseres Sportdirektors Mario Woldt legen. Das wurde auf dem Verbandstag im Oktober auch bereits so beschlossen.

Über Mario Woldt sagen einige, dass er eher der Kern der Probleme ist und nicht deren Lösung.

Das höre ich auch, aber ich weise das deutlich zurück und stärke unserem Sportdirektor den Rücken. Er hat jede Menge guter Ideen, war aber bisher noch nie in der Situation, Verantwortung zu tragen. Diese erhält er nun, und dann werden wir schauen, was er umsetzt und wie sich das auswirkt.

Können Sie nachvollziehen, dass es eine Reihe an Athletinnen und Athleten gibt, die sich von der Verbandsführung nicht mehr gehört fühlen und das Vertrauen verlieren, weil all das, was sie als Probleme erkannt und vorgebracht haben, nicht angegangen wird?

Das kann ich absolut nachvollziehen. Die Sportlerinnen und Sportler, das möchte ich hier einmal ganz klar sagen, sind der Bereich, über den ich mir am wenigsten Sorgen mache. Es ist Wahnsinn, wie sie sich auf ihren Sport fokussieren. Aus ihrer Sicht liegen die Lösungen manchmal auf der Hand, und dann können sie nicht verstehen, warum wir nicht einfach Lösung A wählen. Aber in einer Basisdemokratie ist es eben nicht immer so einfach. Es wurmt mich doch selbst, dass wir manches nicht schneller umgesetzt bekommen. Aber genau das ist es, was ich mit der langen Reise hin zu einem Kulturwechsel meine.

Um nach Jahren des sportlichen Niedergangs wieder erfolgreich zu werden, bräuchte es vielen Aktiven zufolge vor allem Veränderungen im Trainerbereich. Doch an manchen Stellen, zum Beispiel beim Achter, sind weiterhin die tätig, die von den Sportlern als Hauptproblem ausgemacht wurden. Warum ist das so?

Ich werde hier sicherlich nicht auf einzelne Personen eingehen. Fakt ist: Seit 30 Jahren fordert man die Traineroffensive, nicht nur im Rudern, im gesamten deutschen Sport. Ich möchte festhalten, dass wir viele sehr gute Trainer haben, einzelne wären aber sicherlich einen Austausch wert. Aber wir sind einerseits an Verträge gebunden und haben andererseits leider keinen Topf, aus dem wir Abfindungen zahlen könnten.

Die Folge ist ein Verschiebebahnhof unter den Trainern. Wer auf dem einen Posten scheitert, rotiert halt auf den nächsten. Dass das für Frust bei allen Beteiligten sorgt, ist programmiert.

Dieses Trainerkarussell bringt uns langfristig nicht weiter, das ist klar. Aber man darf Misserfolge auch nicht nur an den Trainern festmachen. Außerdem muss man zugestehen, dass die Ausgestaltung des Trainerjobs so sexy wie Fußpilz ist. Das Gehalt steht in keinem gesunden Verhältnis zu den Arbeitszeiten und der Verantwortung.

Warum zahlen Sie dann nicht mehr?

Wir sind wir an fixe Gehaltsobergrenzen gebunden, die uns das Bundesinnenministerium vorgibt. Und wir haben leider nicht mehr die Flexibilität, das Budget so zu verteilen, wie wir es für richtig hielten. Das bedeutet: Wenn man internationale Spitzentrainer haben will, reicht das Geld vorn und hinten nicht. Wir bräuchten dringend wieder die Kompetenz, das vom BMI vorgegebene Budget freier verteilen zu können, damit wir flexibler auf die Bedürfnisse reagieren können. Nach der Leistungssportreform ist das aber leider gar nicht mehr vorgesehen. Im Gegenteil, wir müssen jede einzelne Maßnahme beim DOSB beantragen und absegnen lassen, und dann entscheidet das BMI über die Budgetierung. Das nimmt uns Flexibilität und bindet Arbeitskraft, die wir anderswo benötigen.

Wie steht es denn grundsätzlich um die Finanzen im DRV? Auch da gab es immer wieder Gerüchte um Unregelmäßigkeiten.

Wir nagen nicht am Hungertuch und sind demütig und dankbar für das, was wir erhalten. Mehr geht immer, das ist klar, und durch die Einstufung im Ranking der Potenzialanalyse von DOSB und BMI (Rang 18 von 26 Sommersportarten, die Red.) haben wir Einbußen, die uns schmerzen. Viel mehr schmerzt aber die damit verbundene Bürokratie. Immerhin müssen wir keine Trainer entlassen und können trotz Mitteleinbußen von rund 500.000 Euro alle geplanten Projekte im Zyklus bis Paris 2024 durchführen.

Wenn es nicht die Finanzen sind, was bereitet Ihnen im Hinblick auf die kommenden Jahre am meisten Sorge?

Unsere Struktur und Kultur. Unsere Aktiven sollen sich mit der Weltelite messen, die sich aber zu großen Teilen voll auf den Sport fokussieren kann. Wir hingegen hängen in Deutschlands dualem System immer noch der Idee nach, dass unsere Athleten sich zwar auch voll auf das Rudern konzentrieren sollen, nebenbei aber auch ihre beruflichen Karrieren vorantreiben und deshalb möglichst heimatnah trainieren sollen. Deshalb haben wir möglichst viele Stützpunkte, um es allen recht zu machen. Genau das aber hat leider zum Ergebnis, dass wir international nicht mehr auf die obersten Ränge kommen.

Wie passt diese Aussage damit zusammen, dass die Zentralisierung, die für den vergangenen Olympiazyklus galt, jetzt wieder ausgesetzt wird?

Das gilt lediglich für das nacholympische Jahr bis Herbst 2022, damit die Athletinnen und Athleten beruflich einiges von dem aufholen können, was sie wegen der Olympiavorbereitung verpasst haben. Aber vom Herbst 2022 an gilt wieder die Maßgabe, dass möglichst zentralisiert trainiert werden soll. Aus meiner Sicht müsste man sagen: Wir konzentrieren das Training auf ein bis zwei Standorte in Deutschland, um das Beste für alle Aktiven rauszuholen. Der Stützpunkt Ratzeburg zum Beispiel, wo der männliche Skullbereich trainiert, wird für zwölf Millionen modernisiert. Normalerweise müsste ich sagen: Dort ziehen wir zumindest alle Skuller zusammen.

Warum sagen Sie es nicht?

Weil es über eine Pflicht nicht funktioniert, sondern nur über das beste Angebot. Das ist das, was mich an meinem neuen Amt am meisten überrascht hat: Dass jeder nur an sich denkt und glaubt, damit wäre allen geholfen. Aus meiner Sicht verzetteln wir uns mit der Vielzahl an Stützpunkten. Und ich versuche, das allen klarzumachen.

Wagen wir einen Ausblick: Was wird 2024 bei Olympia in Paris anders sein als in diesem Jahr in Tokio?

Ich erwarte nicht, dass in Paris gegenüber Tokio Bäume ausgerissen werden. Die Strukturen werden bis dahin nicht deutlich verändert sein, und die Aktiven, die in drei Jahren zu Olympia fahren, kennen wir auch schon. Meine Zielvorgabe für 2024 ist, dass wir eine Trendwende hinbekommen, indem wir uns alle hinter dem großen Ziel versammeln, bei Olympischen Spielen erfolgreich zu sein, und gemeinsam innerhalb der uns gesteckten Grenzen danach handeln. Für 2028 in Los Angeles dagegen erwarte ich ganz deutlich, dass wir als größter, mitgliederstärkster Ruderverband der Welt diesem Stellenwert dadurch Rechnung tragen, dass wir in den Finals die meisten Boote stellen und auch die meisten Medaillen gewinnen. Diesen Anspruch müssen wir haben.

Wenn das gelingt, dürfte das Fazit über Ihre Präsidentschaft deutlich freundlicher ausfallen als das über Ihren Vorgänger Siegfried Kaidel. Wie gedenken Sie sich in den kommenden Monaten von ihm abzugrenzen, um die Gerüchte zu widerlegen, Sie seien nur eine jüngere Kopie?

Wir sind eigenständige Persönlichkeiten, die allein aufgrund des Alters anders sozialisiert sind. Ich werde sicherlich nicht anfangen, Dinge aufzuzählen, die unter Herrn Kaidel schlecht gelaufen sind, es bedarf auch keiner Absetzbewegung. Er hat das Bestmögliche für das Rudern gewollt und sich wahnsinnig reingehängt. Die Zeit, die er investiert hat, werde ich nicht investieren können. Aber er war in seiner Zeit verhaftet, so wie ich es in meiner bin. Ich werde auch das Beste fürs Rudern wollen, aber vor einem ganz anderen Hintergrund. Wer mit mir zu tun hat, wird Unterschiede bemerken. Zum Beispiel gehört heute eine anständige Feedbackkultur zu Führung selbst­verständlich dazu, während Kritik früher Majestätsbeleidigung war. Ich stehe für einen Generationenwechsel und wünsche mir, dass wir gemeinsam die lange Reise zum Kulturwechsel zu einem erfolgreichen Ende bringen.