Hamburg. Dilar Kisikyol wollte als Sozialpädagogin arbeiten. Nun steigt sie beruflich in den Ring – am Sonnabend im Düsseldorfer Autokino.
Weltpremiere. Ein großes Wort, entsprechend gespannt ist Dilar Kisikyol darauf, Teil davon zu sein. Wenn an diesem Sonnabend (21 Uhr/Sky Free live) der Hamburger Profiboxstall Universum aus der Corona-Zwangspause zurückkehrt, wird die Halbweltergewichtlerin (Klasse bis 63,5 kg) im Hauptprogramm gegen die Tschechin Tereza Dvorakova in den Ring steigen. Dieser Ring steht im Düsseldorfer Autokino, was es bislang im Profiboxen noch nie gab. „Ich kann mir noch gar nicht vorstellen, wie die Atmosphäre sein wird. Aber ich freue mich sehr, dass Zuschauer dabei sein können, auch wenn die im Auto sitzen müssen“, sagt die 28-Jährige.
Wichtig ist ihr das in erster Linie, weil ihr dritter Profikampf ein Heimspiel ist. Die Tochter türkischer Eltern mit kurdischen Wurzeln ist in Leverkusen geboren und aufgewachsen, in Düsseldorf studierte sie soziale Arbeit und Sozialpädagogik. „Deshalb werden Familie und Freunde zahlreich dabei sein“, sagt sie. Ihre Eltern am Ring zu wissen, bedeutet ihr viel. Als Dilar Kisikyol im Alter von 16 Jahren auf einen Tipp eines Nachbarn hin beim TSV Bayer mit dem Boxen begann, war die Familie, zu der ihre Drillingsschwester und -bruder sowie eine ältere Schwester gehören, gar nicht begeistert. „Meine Eltern sind sehr liberal, haben uns immer unterstützt. Aber sie hatten einfach Sorge um mich“, sagt sie.
Schon früh war klar, dass in Dilar Kisikyol eine Kämpferin steckt
Dabei war schon kurz nach ihrer Geburt klar, dass in Dilar Kisikyol eine Kämpferin steckt. Sie war die Kleinste der Drillinge, wog nur 1500 Gramm. „Ich habe mich schon damals durchgekämpft“, sagt sie. Enormer Kampfgeist und extreme Willensstärke sind das, was sie heute auch im Boxring auszeichnet. „Ich hatte schon als Mädchen großes Interesse an Jungsthemen. Deshalb war es wahrscheinlich in meinen Genen angelegt, dass ich den Weg zum Boxen finden würde“, sagt sie.
Ein Auslandsjahr in Australien und Neuseeland zwischen Abitur und Studium, in dem sie an einer Schule und als Au-Pair-Mädchen arbeitete, bestärkte Dilar Kisikyol darin, ihre Komfortzone zu verlassen und hartnäckig ihre Träume zu verfolgen. Deshalb lehnte sie nach dem Uni-Abschluss ein Angebot der Stadt Leverkusen ab, dort als Sozialarbeiterin in den öffentlichen Dienst einzusteigen, und zog im März 2019 nach Hamburg, um sich beim von Universum-Chef Ismail Özen gegründeten Verein „Kampf deines Lebens“ als Sozialpädagogin zu bewerben. „Ismail ist auch Kurde, deshalb habe ich verfolgt, was er tut, und fand das Projekt super. Außerdem habe ich mich sofort in die Stadt Hamburg verliebt“, sagt sie. Eine Karriere als Profiboxerin stand damals nicht zur Debatte. Aber als Özen die dreifache deutsche Hochschulmeisterin, die 45 Amateurkämpfe bestritt, im Training sah, bot er ihr an, sie als erste – und bislang einzige – Frau unter Vertrag zu nehmen.
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Ein Angebot, das Dilar Kisikyol, die als Vorbilder Muhammad Ali und Susi Kentikian angibt, nicht ablehnen konnte. „Jeder Amateur träumt davon, irgendwann zu den Profis zu wechseln“, sagt sie. Also kümmert sich die 1,72 Meter große Athletin nicht nur um das Kinder- und Erwachsenentraining im Verein „Kampf deines Lebens“, für den sie auch Verwaltungsarbeit macht, sondern versucht, sich den Traum vom Weltmeistertitel zu erfüllen. „Spätestens Ende 2022 möchte ich meinen ersten WM-Gürtel haben“, sagt sie.
Dabei jedoch soll es nicht bleiben. Dilar Kisikyol, die in Ottensen in einer WG mit einer 70 und einer 30 Jahre alten Frau lebt, möchte mehr sein als „nur“ Weltmeisterin. „Aufgrund meines Aufwachsens in zwei Kulturen möchte ich ein Vorbild für Integration sein. Mein Ziel ist es, mir meine Träume zu erfüllen und damit anderen Mut zu machen, dass man alles schaffen kann, was man will, wenn man hart genug arbeitet und fest daran glaubt“, sagt sie. Eine Weltpremiere wäre das nicht, aber sehr wohl eine herausragende Leistung.