Hamburg. Senad Gashi kämpft in Hamburg in einer neu eingeführten Gewichtsklasse. Das passt zu seinem Leben. Über den facettenreichen Boxer.
Nicht einmal eine halbe Minute dauert das YouTube-Video, aber es erzählt alles, was man über den Boxer Senad Gashi wissen muss. Der Brite Eddie Hearn, einer der weltweit führenden Promoter dieser Zeit, lobt darin den Mut des 31-Jährigen, sich auch spontan Gegnern von Weltklasseformat zu stellen. Er streicht den aggressiven und daher für das Publikum attraktiven Kampfstil heraus und endet schließlich mit dem Satz: „Dieser Gashi ist ein total Verrückter!“
Seine diebische Freude über diese Einschätzung kann Senad Gashi kaum verbergen, als er dem Abendblatt-Reporter am Dienstagmittag im Universum-Gym an der Großen Elbstraße die kleine Sequenz vorführt. Mehr als eine Stunde dauert das Gespräch danach, aber nur wenige Minuten wären nötig gewesen, um zu wissen, dass Hearn mit seiner Aussage höflich untertrieben hat. Um jedoch die Facetten abzubilden, die der Profiboxer außerhalb des Rings zu bieten hat, braucht es deutlich mehr als kurze Videos, auch wenn Senad Gashi seinen Lebensweg in den sozialen Medien gern in Filmform darstellt. Mehr als einer Million Followern gefällt das.
Profiboxen: Gashi führte ein Boxgym
Senad Gashi ist in Peja (Albanien) geboren, hat seine Kindheit in Russlands Hauptstadt Moskau und die Jugend in Zweibrücken (Rheinland-Pfalz) verbracht. Er besitzt nur die deutsche Staatsangehörigkeit, aber wer ihn nach seiner Nationalität fragt, der erhält als Antwort: „Ich bin Mensch.“ Als Weltbürger versteht sich der Mann, der ein Vordiplom in Finanzdienstleistung und ein Bachelorstudium der Sportökonomie vorweisen kann.
Der sich fließend in Deutsch, Albanisch, Englisch, Russisch, Französisch, Spanisch und Italienisch verständigen kann. Der in Marbella mehrere Jahre für ein russisches Unternehmen arbeitete, sehr viel Geld damit verdiente und nebenbei ein Boxgym führte. Der in seinem Lieblingsland Thailand an mehreren veganen Restaurants beteiligt ist und sich dort zwei Jahre lang in verschiedenen Kampfkünsten fortbildete. Und der von Adidas als Markenbotschafter ausgewählt wurde, um den Kampfsport weltweit zu repräsentieren.
„Ich bin ein Straßenkämpfer"
Warum sich einer, der so viele Möglichkeiten hätte, sein Leben zu gestalten, als wichtigsten Broterwerb das Profiboxen aussucht, erschließt sich nicht sofort. Vor allem nicht, wenn man den 183 Zentimeter großen und aktuell 104 Kilogramm schweren Athleten kämpfen sieht. Ohne Rücksicht auf Verluste – ob an der eigenen Gesundheit oder der des Gegenübers – stürmt er durch den Ring, das Austeilen und Einstecken von Schlägen hält sich meist die Waage, die Pausentaste kennt er nicht. „Ich bin ein Straßenkämpfer. Ich weiß, dass mir Langzeitschäden drohen, aber das nehme ich in Kauf, weil ich nicht anders kann, als mit Vollgas zu kämpfen“, sagt er.
Schon immer sei sein Antrieb gewesen, sein Talent für Bewegung mit einer Arbeitsmoral zu paaren, die alle anderen in den Schatten stellen würde. „Ich brauche den Wettkampf, ich mache nichts einfach nur so“, sagt er. Das war so, als er in der Jugend Fußball spielte, aber bald merkte, dass es ihm keinen Spaß bereitete, einem Ball hinterherzulaufen.
Gashi verliert schnell die Lust an Dingen
Stattdessen begann er, die Kunststoffkugel zu jonglieren – bis er deutscher Meister im Freestyle-Football war und im ZDF-„Sportstudio“ an der Torwand gegen Ex-Profi Andreas Görlitz antreten durfte. Aber auch vor Brettspielen macht sein Siegeshunger nicht halt, im Backgammon habe er es in den Rang eines Großmeisters geschafft, sagt er.
Das Problem ist, dass Senad Gashi dazu tendiert, die Lust an Dingen zu verlieren, wenn er sie beherrscht. „Wenn ich das erreicht habe, was ich erreichen wollte, höre ich auf und suche mir etwas Neues“, sagt er. Deshalb neige er dazu, sich vom Jetset-Leben, das ihm ermöglicht habe, seinen Eltern in Zweibrücken eine Villa zu kaufen, in den besten Restaurants zu essen („Ich bin ein Gourmet, Essen ist meine Leidenschaft“) und Ferrari zu fahren, bisweilen ein wenig den Kopf verdrehen zu lassen.
„Auf diese Gewichtsklasse habe ich lange gewartet"
Umso bewusster hat er deshalb die Entscheidung getroffen, sich beim Universum-Stall einzubringen. Als Sparringspartner war der als „Free Agent“ an keinen Promoter gebundene Schwergewichtler vor eineinhalb Jahren nach Hamburg gekommen, hatte Universum-Chef Ismail Özen mit seinem Kampfstil überzeugt und bestreitet an diesem Sonnabend (19.30 Uhr/Livestream bei Universum TV auf YouTube) bereits seinen vierten Kampf für das Unternehmen, dem er mittlerweile auch auf administrativer und operativer Ebene hilft. „Ich bringe meine internationalen Kontakte und Erfahrungen ein“, sagt Senad Gashi, der eine kleine Wohnung oberhalb des Gyms bezogen hat. „Ich wollte mich neu erden“, sagt er.
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Das Interessanteste an seinem Duell mit dem Argentinier Jairo Joaquin Diaz (29) ist die Gewichtsklasse, in der es stattfindet. Der Weltverband WBC hat, um Kämpfern aus dem Cruisergewicht (bis 90,718 kg) den Aufstieg ins nach oben offene Schwergewicht zu erleichtern, das Bridgergewicht bis 102 kg neu eingeführt. „Auf diese Gewichtsklasse habe ich lange gewartet, die ist genau das Richtige für mich“, sagt Gashi, der angesichts seiner Körpergröße bislang auch deshalb so aggressiv boxte, um die deutlich größeren Rivalen stellen zu können.
Profiboxen: Senad Gashi hat ein Ziel
Dass er nun abwartender agieren wird im Ring, um sich zu schonen, ist nicht zu erwarten. Schließlich hat er ein Ziel, das er schnellstmöglich erreichen will. „Ich werde Weltmeister im Bridgergewicht, das ist völlig klar“, sagt er. Und wenn er auch das geschafft hat, ist dann Schluss mit dem Boxen? Senad Gashi grinst. Weil er weiß, dass er immer etwas findet, für das es zu kämpfen lohnt.