Berlin/Hamburg. Ex-Vorstandsmitglied des HSV, St. Paulis Aufsichtsratschefin Sandra Schwedler und andere Frauen veröffentlichen ein Positionspapier.

Die Pläne für mehr Frauenpower an der Spitze von Vereinen und Verbänden inklusive des krisengeplagten Deutschen Fußball-Bundes (DFB) werden immer konkreter. Neun prominente Frauen aus dem Bereich des Fußballs haben sich zu einem Netzwerk zusammengetan und fordern in einem Positionspapier, das auch dem Abendblatt vorliegt, weitreichende Veränderungen.

Zu den Unterzeichnerinnen des Konzepts gehören neben Sandra Schwedler (Aufsichtsratsvorsitzende FC St. Pauli) und dem ehemaligen HSV-Vorstandsmitglied Katja Kraus unter anderem Nationaltorhüterin Almuth Schult, die ehemaligen Bundesliga-Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus-Webb, ZDF-Journalistin Claudia Neumann und die ehemalige Sportstudio-Moderatorin Gaby Papenburg, die sich um das Präsidentenamt des Berliner Fußball-Verbandes (BFV) bewirbt.

St. Paulis Aufsichtrsatchefin Sandra Aschwdler hat das Positionspapier ebenfalls unterzeichnet.
St. Paulis Aufsichtrsatchefin Sandra Aschwdler hat das Positionspapier ebenfalls unterzeichnet. © Witters | Unbekannt

Ex-HSV-Vorstand Kraus DFB-Kandidatin?

Kraus gilt dabei als Kandidatin für die Nachfolge des zurückgetretenen DFB-Präsidenten Fritz Keller. Sie habe eigentlich „keine Ambitionen“ auf das Amt und liebe ihr aktuelle Unabhängigkeit, sagte die frühere HSV-Funktionärin und jetzige geschäftsführende Gesellschafterin der Hamburger Sportmarketingagentur Jung von Matt/sports bei Zeit-Online.

Dort sagte die 50-Jährige aber auch: „Klar, eine Forderung nach Veränderung ist auch eine Verpflichtung, Verantwortung zu übernehmen. Ich schaue mir sehr genau an, wo, unter welchen Umständen und vor allem in welchen Konstellationen ich das tun würde“. Fürsprache erhielt Kraus von Papenburg. „Sie wäre für mich die perfekte Kandidatin“, sagte die frühere Fußball-Moderatorin in dem Doppelinterview.

Papenburg: "Katja ist absolut glaubwürdig"

„Sie hat den großen Vorteil, dass sie bereits in einer Führungsposition bei einem Bundesliga-Club gearbeitet hat als Vorstand beim HSV. Das ist ein Merkmal, das nicht viele vorzeigen können“, führte Papenburg gegenüber dem Sport-Informationsdienst weiter aus: „Sie hat definitiv die Fähigkeiten, die es braucht. Was aber noch wichtiger ist: Katja hat eine wahnsinnig große Liebe zum Fußball. Darauf kommt es an. Denn der DFB hat in den letzten Monaten gezeigt, dass es um Einzelinteressen, Macht und Kontrolle geht. Der Kontakt zur Basis ist komplett verloren gegangen. Und da ist Katja absolut glaubwürdig, denn sie hat sich immer für den Fußball als Sport und Lebenseinstellung interessiert. Und Besinnung auf das eigentliche Thema ist dringend notwendig.“

Kraus & Co. fordern eine DFB-Frauenquote

In dem Positionspapier werden explizit mehr weibliche Führungskräfte gefordert. „Die Integration neuer Entscheidungsträger*innen ist ein zentraler Aspekt bei der Gestaltung der Zukunft des deutschen Fußballs“, heißt es darin: „Frauen in Führungspositionen erhöhen nachweislich die Wahrscheinlichkeit zukünftigen Herausforderungen mit neuen Lösungen zu begegnen, strukturelle Schwächen schneller zu erkennen und Handlungsmuster zu hinterfragen, die sie nicht selbst etabliert haben.“

In dem Papier wird unter anderem eine verbindliche Frauenquote von 30 Prozent in Führungspositionen bei Fußballverbänden gefordert: „Unser Anliegen ist es, dass es alsbald deutlich mehr Frauen in allen Bereichen des Fußballs gibt, die in Spitzenpositionen wirken und ein gerechtes und zeitgemäßes Bild des Fußballs zeichnen.“ Bei dem Konzept gehe es um die Rolle von Frauen im Fußball, sagte Claudia Neumann. „Das hat nicht mit der aktuellen Krise im DFB zu tun“, betonte sie.

DFB-Präsidentin: Ute Groth steht bereit

Nach dem Aus der zerstrittenen Männer-Clique an der Spitze des DFB werden die Rufe nach weiblichen Führungskräften immer lauter. Mit der Frauenpower soll endlich ein anderer Ton und ein Mit- statt Gegeneinander im krisengeplagten DFB Einzug halten. Weibliche Netzwerke formieren sich im Hintergrund – und Ute Groth steht schon für die „Machtübernahme“ bereit.

Zwei Jahre nach ihrer ersten Bewerbung für das Amt der Präsidentin wird die Amateursportvertreterin eine erneute Kandidatur wagen. „Die Bewerbung ist noch nicht abgeschickt, aber einen zweiten Versuch wird es auf jeden Fall geben“, hatte die Vereinsvorsitzende der DJK Tusa 06 Düsseldorf am Dienstag im WDR-Radio gesagt.

Auch Nadine Keßler eine Kandidatin?

Mit ihrem Vorstoß als Folge des Rücktritts von Fritz Keller traf Groth pünktlich zum deutschen „Diversity-Tag“ den Nerv der Zeit. Schließlich wurde in den vergangenen Tagen bei der Debatte um die Keller-Nachfolger von zahlreichen Seiten eine wichtigere Rolle von Frauen an der Verbandsspitze angemahnt. Auch eine Frau als Keller-Erbin wurde gefordert.

Die frühere Weltfußballerin Nadine Keßler hat sich als Funktionärin bereits bewiesen.
Die frühere Weltfußballerin Nadine Keßler hat sich als Funktionärin bereits bewiesen. © Imago/regios24 | Unbekannt

Einige Namen sind in der Verlosung. Dabei dreht es sich neben Kraus in erster Linie auch um Steinhaus sowie um die frühere Weltfußballerin und jetzige Uefa-Frauenfußballchefin Nadine Keßler. Anti-Korruptions-Expertin Sylvia Schenk hat sich selbst als Übergangs-Führungskraft angeboten.

Eine Präsidentin wäre ein DFB-Novum

Derzeit sitzt im DFB-Präsidium in der Hamburgerin Hannelore Ratzeburg nur eine Frau. Die Regional- und Landesverbände werden ausschließlich von Männern geführt. Eine Frau auf dem Chefsessel wäre ein Novum in der 121-jährigen DFB-Geschichte.

„In der Satzung steht schon lange, dass es die gleichen Möglichkeiten für Frauen und Männer gibt“, sagte Groth: „Entscheidend ist, dass jemand an der Spitze ist, der die Vielfalt der Gesellschaft darstellt. Und jemand, der die Basis repräsentiert. Es muss endlich mal was passieren beim DFB. Da werden Entscheidungen getroffen, die nicht transparent sind.“

NOFV-Boss: "Brauchen die Kompetenz der Frauen"

Ähnlich äußerte sich Almuth Schult. „Der Verband muss das widerspiegeln, was er ist – denn er ist eigentlich divers“, sagte die Nationaltorhüterin in der ARD: „Das sollte sich zeigen im Vorstand und im Präsidium - und dann können wir auch vernünftig arbeiten.“

Das sehen mittlerweile sogar Teile der Männerriege so. „Wir brauchen die Erfahrungen, die Kompetenz der Frauen“, sagte Hermann Winkler, der Präsident des Nordostdeutschen Fußballverbandes (NOFV), im Deutschlandfunk: „Und deshalb darf es für mich nicht bloß eine Phrase bleiben, sondern wir müssen wirklich alle gemeinsam versuchen, in den nächsten Jahren uns in allen Gremien diverser aufzustellen, als wir das bisher sind.“

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In die gleiche Richtung geht Günter Distelrath bei seinem Vorstoß für mehr Vielfalt beim DFB. „Wir wollen mehr Frauen in verantwortungsvolle Positionen des Fußballs holen. Dann aber dürfen wir sie auf dem Platz nicht weiter ausschließen“, äußerte der DFB-Vizepräsident: „Die strikte Trennung zwischen Frauen und Männern ist mit Blick auf die Geschlechtergerechtigkeit auch im Amateurfußball nicht mehr zeitgemäß.“

Umfrage: Viele Fans haben keine Meinung

Angesichts dieser Forderungen erscheinen die ersten Vizepräsidenten Rainer Koch (Amateure) und Peter Peters (Profis), die den DFB bis zu einem vorgezogenen Bundestag Anfang des kommen Jahres interimsmäßig führen sollen, als Auslaufmodelle.

Dass Frauen in das Machtvakuum stoßen könnten, zeigt auch eine aktuelle Forsa-Umfrage für das RTL/ntv-Trendbarometer. Demnach haben 49 Prozent der Befragten noch keine Vorstellung von einem geeigneten Keller-Nachfolger. Die sechs Prozent Zustimmung für Groth auf Platz drei der Kandidatenliste (hinter Philipp Lahm und Rudi Völler) sind also noch ausbaufähig.