Hamburg. Stimmungsreport vom Tennisturnier in Hamburg: Es fehlt an Flair und an Zuschauern – aber die, die da sind, sind zufrieden.
Corona hat die Welt aus dem Takt gebracht. Die Auswirkungen dessen spürt jeder Mensch anders; Veranstalter von Großevents jedoch gehören definitiv zu den Krisengeplagten. Auch bei den Hamburg European Open der Tennisprofis sind die Einschränkungen unübersehbar. Wer in den vergangenen zehn Turniertagen – inklusive des nach 19 Jahren Abstinenz an den Rothenbaum zurückgeholten Damenturniers – über die Anlage spazierte, der nahm vor allem Leere wahr. 3500 Zuschauer pro Tag wären erlaubt gewesen, 2300 am Mittwoch waren der Höchstwert.
Ob die Maskenpflicht und die geforderten Test- oder Impfnachweise dafür verantwortlich sind, dass die Fans ausbleiben, ob es die Eintrittspreise (30 Euro für das billigste Damenticket, 145 für das teuerste Herrenbillet) sind – man weiß es nicht genau. Was man weiß: Die, die da sind, sind zufrieden. Die Hamburgerin Vanessa Böinghoff, die zum ersten Mal ein Tennisturnier besucht, sagt: „Als Familienevent ist das hier super für uns.“
Kaum gastronomische Angebote bei Tennisturnier
Test- und Maskenpflicht seien für sie kein Hindernis gewesen. „Wir sind einfach froh, dass das Turnier überhaupt stattfindet.“ Nele Fritsch aus der Nähe von Tornesch, die bereits zum fünften Mal am Rothenbaum ist, sagt; „Ich finde es schön, dass es nicht so überlaufen ist. Unter Corona-Bedingungen ist es fast angenehmer. Gerade wenn die Spiele vorbei sind, wird es mir unter normalen Umständen auf den Aufgängen zu voll.“
Es fehlen indes nicht nur die Fans; auch das Zeltdorf auf dem Hockey-Kunstrasen vor dem Stadion, wo in normalen Jahren die Besucher gastronomische Angebote genießen und sich mit Tennisausrüstung eindecken konnten, gibt es in diesem Jahr nicht. Corona lässt Menschenansammlungen nicht zu, und für die beschränkte Anzahl an Gästen muss die Auswahl aus Wraps am Stand von Hauptsponsor Edeka, Burgern von der „Speisenwerft“, Wurstvariationen von der „Curryburg“ und australischen Mini-Kroketten mit Topping ausreichen.
3800 Zuschauer bei Tennisturnier in Hamburg
Zumal die Anbieter zumindest ihre Standmieten refinanzieren müssen. Der Australier Luke Welch, der an seinem Food-Truck mit den „Tater Tots“ genannten Kroketten eine abwechslungsreiche, preislich und geschmacklich überzeugende Alternative auch für vegane Ernährung bietet, ist mit dem Umsatz bislang durchaus zufrieden. „Wir haben am Dienstag 400 Mahlzeiten verkauft, viel mehr können wir im Zwei-Mann-Betrieb gar nicht leisten“, sagt er.
Sandra Reichel lässt die Diskussion über das mangelhafte Zuschauerinteresse nicht an sich heran. Tatsächlich gibt es nachvollziehbare Gründe dafür, dass zum Damenturnier statt der 3500 täglich gestatteten Besucher insgesamt nur 3800 kamen. Werbung war praktisch nicht möglich, weil der Termin sehr kurzfristig feststand – und parallel mit der zweiten Wimbledon-Woche so ungünstig lag, dass ein hochkarätigeres Feld nicht zusammenzustellen war. Auch Turnierbotschafterin Andrea Petkovic (33/Darmstadt) war entsprechend kurzfristig verpflichtet worden und hielt sich, da sie im Hauptfeld mitspielte, mit Social-Media-Beiträgen deutlich zurück.
Vorverkauf in Hamburg schwierig
Auch das Herrenturnier leidet unter dem „Sandwich-Termin“ zwischen Wimbledon auf Rasen und dem olympischen Tennisturnier in Tokio (Start 24. Juli) auf Hartplatz. Da dessen Datum zwar längerfristig feststand, die Freigabe der Zuschauerkapazität aber nicht, war auch hier der Vorverkauf schwierig, zumal Sandra Reichel der Gesundheit aller Beteiligten oberste Priorität einräumt.
„Deshalb bin ich froh, dass wir nicht sofort die Grenzen ausgereizt haben. Unter den gegebenen Umständen bin ich sehr zufrieden. Die Alternative wäre gewesen, dass zwei Jahre kein Turnier stattfindet“, sagt sie. Die Aktiven freuen sich, dass überhaupt Zuschauer erlaubt sind.
Turnierchefin hofft auf schwarze Null
In der Etatplanung hatte die 50-Jährige für Damen- und Herrenturnier je eine Gesamtzuschauerzahl kalkuliert. „Bei den Damen sind wir darunter geblieben, bei den Herren müssen wir abwarten“, sagt sie. Für die letzten drei Tage sei der Vorverkauf stark gelaufen, Sonnabend und Sonntag darf nach einem behördlichen Bescheid am Mittwoch die Kapazität auf 4000 erweitert werden. Auch deshalb, so die Turnierchefin, hoffe sie insgesamt auf eine schwarze Null.
„Mit dem Herrenturnier werden wir die sicher erreichen, mit den Damen machen wir dieses Jahr ein Minus. Aber das war kalkuliert, wir wollten das Comeback dennoch unbedingt, denn mit dem Versprechen sind wir 2019 hier angetreten.“ Die Stadt zahlt auch in diesem Jahr einen sechsstelligen Betrag als Sondermittel für die Bewältigung der Corona-Maßnahmen, zudem durften die Preisgeldzahlungen reduziert werden.
Mehr Fans für Tennis am Rothenbaum
Im kommenden Jahr soll es am Rothenbaum wieder das von Reichels Premiere 2019 gewohnte Bild geben. „Wir werden mehr Entertainment anbieten, mehr gastronomische Angebote und mehr Aussteller haben“, sagt sie. Im Herbst, wenn nach Absprache mit allen Partnern feststeht, ob das Damenturnier erneut in der Woche vor den Herren stattfindet oder ein kombiniertes Turnier möglich ist, werde man mit umfangreicher Promotion starten.
Die Lizenz für das Damenturnier gehört Sandra Reichel und ihrem Vater Peter-Michael und läuft unbefristet. Das ATP-Turnier dürfen die beiden Österreicher bis 2023 ausrichten, dann kann der Deutsche Tennis-Bund (DTB) als Lizenzinhaber eine Neuvergabe starten. Sobald Corona bezwungen ist, wollen die Reichels zeigen, dass dazu keine Notwendigkeit besteht.