Schönberg. Wingfoiling ist der größte Boom seit Erfindung des Kitesurfens. Eine kleine Region an der Ostsee wurde zu einem Hotspot der Szene.
Klaas Voget gehörte von 2008 bis 2016 zu den zehn besten Windsurfern der Welt. Auf Maui ritt er zwölf Meter hohe Wellen, in der Brandung von Gran Canaria sprang er bei acht Windstärken Doppelloops. Jetzt steht er in Schönberger Strand nahe dem Eingang der Kieler Förde, eine leichte Brise umspielt die blonden Haare, Wellen plätschern an den Strand. Niemals hätte Klaas Voget hier früher surfen wollen, doch inzwischen ist viel passiert: Unter seinem Surfbrett ist jetzt so ein scharfkantiges Ding.
„Das ist das Foil“, sagt der 42-Jährige und streicht mit der Hand den 90 Zentimeter langen Carbonschaft entlang. An seinem Ende stehen seitlich zwei Tragflächen ab. In der anderen Hand hält Voget den Wing. So heißt das Segel, das wie ein zu klein geratener Gleitdrachen aussieht.
Es ist ein besonderer Moment an diesem Tag Ende Juli am Schönberger Strand: Die ersten deutschen Meisterschaften im Wingfoiling beginnen – und das, obwohl diese Spielart des Windwassersports erst zweieinhalb Jahre alt ist. Klaas Voget ist daran nicht ganz unschuldig. Als Marketingchef der Surfartikelhersteller Fanatic und Duotone bekam er – vielleicht als erster Deutscher überhaupt – Prototypen des Equipments frei Haus nach Mönkeberg bei Kiel geliefert. Voget testete, war begeistert, begeisterte seine Freunde und trug so mit dazu bei, dass die Region an der Kieler Förde zu einem Hotspot der Szene wurde. Allein 20 der knapp 50 Wingfoiler, die in Schönberger Strand um die deutsche Meisterschaft konkurrieren, kommen aus der näheren Umgebung.
Wingfoiling – wenn das Brett wie von Geisterhand abhebt
„Aufgeregt bin ich nicht, ich mache eher zum Spaß mit“, sagt Voget und trägt sein Board samt Wing ins Wasser. Er muss weit genug reingehen, damit das Foil unter seinem Brett nicht auf den Grund kommt. Dann kniet er sich aufs Board und hält das Segel in den Wind. Es ist eine etwas unwürdige Figur, die der ehemalige Worldcup-Profi da abgibt. Doch dann greift der Wind in den Wing, Voget steht mit dem vorderen Fuß zuerst auf – und plötzlich fliegt er. Natürlich fliegt er nicht wirklich, aber es sieht so aus. Im Wasser ist nur noch das untere Ende des Carbonschafts mit den Tragflächen. Das Board schwebt etwa einen halben Meter über der Oberfläche, sodass Voget nun wie von Geisterhand dahingleitet.
„Es ist ein unbeschreibliches Gefühl der Schwerelosigkeit,“ schwärmt er. „Ich habe noch nie jemanden getroffen, der es erlebte und danach gesagt hat: ‚Das ist nichts für mich.‘“ Das physikalische Prinzip ähnelt tatsächlich dem Fliegen. Bei Beschleunigung entwickelt sich an den Tragflächen im Wasser eine Strömung, die sie nach oben zieht. Wassersportpioniere versuchen bereits seit den 70er-Jahren, das Prinzip für ihre Zwecke zu nutzen, doch erst jetzt seien die Materialien und Fertigungsprozesse ausgereift, sagt Voget.
Das kommt übrigens nicht nur Wingfoilern zugute: Surfen, Windsurfen, Kitesurfen und Stand-up-Paddeln – alles gibt es inzwischen auch als hochhackige Foilvariante. Selbst Profisegler Boris Herrmann hatte Foils am Rumpf seiner „Seaexplorer“, als er bei der Vendée Globe die Welt umrundete. Sie konnten seine 18 Meter lange Yacht komplett aus dem Wasser heben.
So funktionieren die Foils
Größter Vorteil der Foils ist ihr geringer Wasserwiderstand. Der Windvortrieb wird fast unmittelbar in Fahrt umgesetzt. Deswegen haben Wingfoiler kaum Druck im Segel und können es ganz ohne Mast und Trapez in den Händen halten. Außerdem braucht es nicht viel Wind. „Geübte Fahrer kommen mit einem Sechs-Quadratmeter-Wing schon bei drei Windstärken ins Fliegen“, sagt Voget. Diese Vorteile lassen besonders Windsurfer aufhorchen. Sie brauchen riesige Segel sowie sperrige Boards und Masten, um bei so wenig Wind ins Gleiten zu kommen. Wings sind hingegen aufblasbar. Sie lassen sich auf Rucksackgröße zusammenfalten und wiegen keine drei Kilogramm. Auch das Brett ist mit 1,5 bis zwei Meter relativ kurz. Sperrig ist nur das Foil. Man kann es aber vom Board trennen und für den Transport zerlegen.
Windsurfer Andreas aus dem Münsterland ist als Zuschauer bei den Wingfoil-Meisterschaften. Vor einigen Wochen hat er seinen ersten Kurs auf Fehmarn gemacht: „Es ist wirklich nicht leicht zu lernen, aber das Feeling ist unbeschreiblich. Das holt dich ab.“ Inzwischen besitzt Andreas das komplette Equipment – für Wing, Board und Foil hat er etwa 3500 Euro bezahlt. Damit gehört er zu einer Welle von Anfängern, die der Branche mit hohen Pro-Kopf-Ausgaben gerade einen Boom beschert. Klaas Voget schätzt, dass Duotone und Fanatic bis Jahresende mehr Umsatz im Wingfoil- als im Windsurfmarkt machen werden. Auf Platz eins sei immer noch das Kitesurfing, sagt Voget. Die Geschwindigkeit, mit der Wingfoiling gerade die Surfszene erobere, sei aber mit dem Kitesurfboom vor 20 Jahren vergleichbar.
Geschätzt sind 50 Kilometer pro Stunde möglich
Schon damals wies die Entwicklung in den USA Deutschland den Weg. Das könnte nun wieder so sein. Während Wingfoiler an hiesigen Surfspots noch eine Minderheit darstellen, ist die Szene auf Hawaii Robby Naish zufolge rasant gewachsen. Die Surflegende gehörte zu den Wingfoilern der ersten Stunde und sagte unlängst im Windsurfing-Podcast: „Das wird gewaltig“, vor allem, weil der Sport auch so viele Kinder anziehe.
Die Anziehungskraft rührt auch vom Manöverpotenzial der Foils her. Der Auftrieb an den Tragflächen kann Wingfoiler auch ohne Wellen aus dem Wasser katapultieren. Auf dem Flachwasser vor Schönberger Strand zeigen die Fahrer in der Disziplin „surf-freestyle“ etwa drei Meter hohe Sprünge, wobei sich viele um die eigenen Achsen drehen. In der zweiten Disziplin „surf-race“ geht es um Geschwindigkeit. Klaas Voget schätzt, dass derzeit etwa 50 Kilometer pro Stunde möglich sind. Das sei zwar deutlich weniger als beim Windsurfen, aber darin steckten auch 40 Jahre Entwicklung. Wingfoiling ist dagegen gerade mal zweieinhalb Jahre alt. Die Entwicklung der Wings und vor allem der Foils sei noch lange nicht ausgereizt, sagt Voget.
In Schönberger Strand müssen sich die Wingfoiler von der Kieler Förde am Ende der europäischen Elite geschlagen geben. Aber was soll’s! Bester Deutscher im Freestyle und Race und damit deutscher Meister wird jedoch ein Fahrer aus Mönkeberg: Er heißt Klaas Voget.