Hamburg. Der Frauen-Bundestrainer spricht über den EM-Titel 1980, die Momente danach, den Mittelstürmer-Mangel in Deutschland und Olympia.

Horst Hrubesch lässt sich in seinen Sitz zurückfallen und fängt an zu reden. Der Bundestrainer der Frauen-Nationalmannschaft und Nachwuchsdirektor des HSV sitzt in einem Besprechungsraum im Volksparkstadion und erzählt eine Geschichte nach der anderen. Der 73-Jährige erinnert sich an den Moment, der nun schon 44 Jahre zurückliegt. Europameisterschaft 1980. Finale. Deutschland gegen Belgien. Für Hrubesch war es erst sein fünftes Länderspiel überhaupt.

Mit seinen ersten zwei Toren für die DFB-Auswahl wird der damals bereits 29 Jahre alte Mittelstürmer zum Helden des 2:1-Siegs. Hrubesch hat seitdem viel erlebt. Doch er erinnert sich noch an jeden einzelnen Moment von damals. Ein Gespräch über den EM-Triumph, den Neuner-Mangel in Deutschland und die Chancen des DFB bei der EM und Olympia.

Herr Hrubesch, bei der EM 1980 wurden Sie im Finale zum deutschen Helden. Wissen Sie eigentlich, wo Ihre Schuhe von damals heute sind?

Ja, das weiß ich. Die stehen im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund, direkt neben den Schuhen aller Doppeltorschützen der EM-Endspiele. Also die von Gerd Müller, Oliver Bierhoff und mir.

Sie wurden zum Helden, obwohl Sie bei der EM eigentlich gar nicht spielen sollten.

Das ist richtig. Ich bin nur durch den Schienbeinbruch von Klaus Fischer in die Mannschaft gerutscht. Sonst hätte ich wahrscheinlich gar nicht gespielt. Meine ersten beiden Tore waren die im Finale. Von Null auf Hundert war ich Europameister. Das war schwer greifbar. Ich musste erst einmal darüber nachdenken. Dann wirst du am Flughafen empfangen, zu Hause wirst du empfangen. Überall wirst du gefeiert. Dabei war ich eigentlich nur froh, Urlaub machen zu können.

Tor Nummer eins: Horst Hrubesch trifft im EM-Finale 1980 gegen Belgien mit rechts zum 1:0.
Tor Nummer eins: Horst Hrubesch trifft im EM-Finale 1980 gegen Belgien mit rechts zum 1:0.

Stimmt die Geschichte, dass Sie die Feier danach verpasst haben?

Das stimmt, ja. Ich wurde damals mit zur Pressekonferenz genommen. Da saßen dann die beiden Trainer, bevor ich dran kam. Es gab viele Fragen. Und als ich endlich fertig war und mit dem damaligen Pressechef Dr. Wilfried Gerhardt in die Kabine kam, war alles abgeschlossen. Keiner war mehr da. Meine Sachen waren weg. Ich hatte noch nicht geduscht.

Was ist dann passiert?

Dann haben mich die Volunteers, begleitet von der Polizei, zum Hotel gefahren. Da wartete schon der Bundeskanzler Helmut Schmidt, der hatte gerade seine Rede beendet. Und ich stand da in kurzen Hosen. Als ich dann endlich geduscht hatte, war die Party schon vorbei (lacht).

Horst Hrubesch: „Mein größer Erfolg war, dass ich 1975 in meinem ersten Spiel für Rot-Weiss Essen zwei Tore gemacht habe“

War der EM-Titel Ihr größter Erfolg als Fußballer?

Mein größer Erfolg war, dass ich 1975 in meinem ersten Spiel für Rot-Weiss Essen gegen Bayer Uerdingen zwei Tore gemacht habe, obwohl der Fußball damals eigentlich noch zu schnell für mich war. Ich hatte das Glück, dass so meine Karriere starten konnte. Denn es musste viel an mir gearbeitet werden. Aber ich habe immer wieder festgestellt, dass da noch mehr geht. Ich habe mich nie ausgeruht. Der Vorteil war, dass ich wusste, was Arbeit bedeutet, da ich so spät gestartet bin.

In der Nationalmannschaft gibt es gerade mehrere Spätstarter. Zum Beispiel Deniz Undav (27). Erinnert er Sie mit seiner Vita an den jungen Hrubesch? Undav hat vor fünf Jahren noch in der Regionalliga gespielt, Sie waren mit 24 noch Dachdecker.

Das kann man vergleichen. Aber am Ende ist Toreschießen kein Hexenwerk. Du brauchst natürlich Talent, aber du musst an deinem Talent immer weiter arbeiten. Manni Kaltz hat mir nach dem Training immer noch 30 bis 40 Flanken reingeschlagen, Uli Stein ist im Tor geblieben. Du musst es wollen. Übrigens: Ich wurde ja immer reduziert auf meine Kopfballstärke, aber die meisten Tore habe ich mit dem Fuß gemacht.

Tor Nummer zwei: Hrubesch steigt in seiner typischen Manier zum Kopfball hoch und wuchtet den Ball zum 2:1 ins Netz.
Tor Nummer zwei: Hrubesch steigt in seiner typischen Manier zum Kopfball hoch und wuchtet den Ball zum 2:1 ins Netz.

Hrubesch, Müller, Bierhoff, Klose: Wer war denn der beste Kopfballspieler?

Köpfen konnten wir alle. Aber der beste Kopfballspieler, den ich je gesehen habe, kam nicht aus Deutschland.

Sondern?

Aus Schweden. Ralf Edström. Ganz am Anfang meiner Karriere, als ich noch in Essen gespielt habe, hatten wir ein Testspiel gegen Eindhoven in Eupen. Edström hat zwei Kopfballtore gegen uns gemacht. Da habe ich das erste Mal gesehen, wie hoch man springen kann. Der hat mich fasziniert. Er hat aus 16 Metern ein Kopfballtor gemacht, genau in den Knick. Ein Mittelstürmer wie Ibrahimovic, fast zwei Meter groß, ein genialer Fußballer. Für mich war er entscheidend.

Was meinen Sie?

Ich habe mir gedacht, was der kann, kann ich doch auch. Ich hatte ja ohnehin einen Vorteil: Denn seit ich 14 Jahre alt war, habe ich immer auch Handball gespielt. Halblinks. Immer der Sprung aus dem Schritt, Körperkontakt kannte ich sowieso. Die Höhe hatte ich auch. Das hat mir geholfen. Ich bin als Trainer auch heute immer noch dankbar, wenn ich vorn einen habe, den ich immer anspielen kann, der die Bälle festmacht. So wie mit Sandro Wagner beim EM-Titel 2009 oder 2014 mit Nils Petersen bei Olympia.

Horst Hrubesch lobt BVB-Stürmer Niclas Füllkrug

Und jetzt mit Alexandra Popp und Lea Schüller bei den deutschen Frauen. Können Sie denen beim Kopfballspiel noch etwas beibringen?

Sie sind auf jeden Fall lernfähig. Poppi ist jetzt schon etwas älter, sie hat das einfach drauf. Lea macht es auch immer besser, das hat man auch zuletzt in den Spielen gegen Polen gesehen. Aber ihnen etwas vormachen? Ich nehme Blutverdünner, das hat keinen Sinn mehr (lacht).

Tipps vom Altmeister: Hrubesch gibt DFB-Stürmerin Lea Schüller die Richtung vor.
Tipps vom Altmeister: Hrubesch gibt DFB-Stürmerin Lea Schüller die Richtung vor.

1980 gab es mit Hrubesch, Fischer, Rummenigge und Klaus Allofs vier Neuner. 1996 waren es mit Klinsmann, Kuntz, Bobic und Bierhoff ebenfalls vier. Aktuell gibt es im Nationalteam nur Niclas Füllkrug als klassischen Mittelstürmer. Warum gibt es heute so wenig Neuner?

Wir wollten irgendwann wie die Spanier Tikitaka spielen. Mit einer falschen Neun. Über die Halbräume. Das ist nicht mein Spiel. Du brauchst immer auch mal den echten Neuner für die Druckphasen, wenn auch mal ein langer Ball gespielt wird. Oliver Bierhoff und ich haben beim DFB oft darüber gesprochen und Analysen gemacht, wie wir wieder mehr Stürmer entwickeln. Es gibt immer Wellenbewegungen und Jahrgänge. Die Kunst ist es, die Wellen zu vermeiden.

Wenn Sie Füllkrug und sein Kopfballspiel sehen, müsste Ihnen doch das Herz aufgehen, oder?

Niclas hat damals bei mir in der deutschen U19 gespielt, als er noch in Bremen war. Er war schon damals kopfballstark und vor allem von sich und seiner Art überzeugt. Das hat er sich bis heute bewahrt. Er ist gereift und hat sich toll entwickelt. Kompliment.

Reicht ein echter Neuner, um Europameister zu werden?

Wir haben die Qualität, den Titel zu gewinnen. Aber es muss einiges zusammenpassen. Die vergangenen drei Jahre sind nicht so gelaufen, wie wir uns das alle vorgestellt haben. Am Ende wird der Wille entscheidend sein, einen Schritt mehr zu machen als die anderen.

Wie sieht Ihr nächster Schritt nach Olympia aus? Und vor allem: Was sagt Ihre Frau?

Sie jubelt dann wahrscheinlich, wenn ich mit ihr mal wieder in den Urlaub fahre. Ich habe ja noch einen Vertrag beim HSV. Da konnte ich zuletzt nicht so viel machen, weil es bei den Frauen sehr viel wurde. Jetzt kommen erst einmal die Olympischen Spiele. Unser Ziel ist es, ins Finale einzuziehen und so auch in das Olympische Dorf zu kommen. Das Zusammenleben in Brasilien war genial und hat mich fasziniert. Das möchte ich unbedingt noch einmal erleben.